Raumkapsel-Testflug: Boeings Starliner startet mit Triebwerksproblemen
Was lange währt, wird endlich gut: Trifft das auch auf den CST-100 Starliner von Boeing zu? Immerhin ist die wiederverwertbare Raumkapsel nach etlichen Rückschlägen nun auf dem richtigen Weg – nämlich gen Internationaler Raumstation ISS. Am 19. Mai um 18.54 Ortszeit (20. Mai, 0.54 MEZ) startete der Starliner vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida an der Spitze einer ULA Atlas V Rakete ins All. Verläuft die Reise erfolgreich, soll Starliner künftig neben Gütern und Ausrüstung auch Astronauten der NASA zur Raumstation bringen.
Zwei der vier Triebwerke, die das Raumschiff in die richtige Umlaufbahn bringen sollten, fielen allerdings aus. Insgesamt verfügt die Kapsel über zwölf Triebwerke, die für solche Manöver verwendet werden können. Mit Hilfe der Ersatztriebwerke gelangte das Raumschiff in die korrekte Umlaufbahn. Noch untersuchen Ingenieure, was schief gelaufen ist.
Mit an Bord sind mehr als 225 Kilogramm Fracht, das meiste davon Lebensmittel. Der einzige Passagier ist eine Puppe, genannt »Rosie the Rocketeer«, die mit unterschiedlichen Sensoren ausgestattet ist. Wie bereits beim ersten Testflug der Raumkapsel liefert sie den Ingenieuren Daten über die auf den Körper wirkenden Kräfte während des Starts. Rund 24 Stunden nach dem Abheben, also Samstagmorgen gegen 1.00 Uhr MEZ, soll die Kapsel zum ersten Mal an der Raumstation andocken.
So weit kam es beim ersten Testflug im Dezember 2019 gar nicht: Eine Atlas-V-Rakete brachte die Kapsel zwar planmäßig in eine Erdumlaufbahn, dort zündeten allerdings die Triebwerke nicht. Schuld war ein Fehler in der Programmierung. Infolgedessen strandete das Raumschiff in einer falschen Umlaufbahn und konnte nicht zur Internationalen Raumstation manövrieren. Ein weiterer Fehler in der Software führte sogar fast dazu, dass die Kapsel steuerlos geflogen und womöglich abgestürzt wäre. Glücklicherweise konnte das Raumschiff schließlich doch unversehrt am White Sands Space Harbor im US-Bundesstaat New Mexico landen.
Der CST-100 Starliner
Der CST-100 Starliner wurde für eine Mischung aus Besatzung und Fracht für Missionen in eine niedrige Erdumlaufbahn konzipiert und besteht aus einem Mannschafts- und einem Servicemodul. Das kegelförmige Mannschaftsmodul hat einen Durchmesser von 4,5 Metern und kann bis zu sieben Passagiere aufnehmen. Die Sitze der Astronauten sind dabei in zwei Reihen übereinander angeordnet und so gelagert, dass sie den Aufprall abdämpfen. Das mit LEDs beleuchtete Innere der Kapsel verfügt über moderne, tabletähnliche Bordcomputer, die mit dem Internet verbunden sind.
Bei jedem Flug wird ein neues Servicemodul verwendet, das den Antrieb und die Energieerzeugung für das Raumschiff übernimmt. In den Außensektionen befinden sich die Treibstofftanks. Für Bahnänderungen sind 20 Kleintriebwerke vorhanden, hinzu kommen 28 Triebwerke zur Lagekontrolle und vier Notfalltriebwerke. An der Spitze der Kapsel befindet sich ein Kopplungsadapter, mit dem das Raumschiff an die entsprechenden Kopplungsstutzen der ISS andocken kann. Das Anlegen gelingt ganz ohne menschliche Steuerung, genauso wie Start, Ablegen und Landung. Eine manuelle Steuerung ist lediglich als Back-up für Notfälle vorgesehen. Zur Landung auf hartem Boden nutzt die Starliner-Kapsel Airbag-Kissen, mit denen es sanft aufsetzen kann. Insgesamt sind fünf Landeplätze im Westen der Vereinigten Staaten geplant, was dem Starliner etwa 450 Landemöglichkeiten pro Jahr bietet. Das Raumschiff ist außerdem so konzipiert, dass es mit mehreren Trägerraketen kompatibel ist, einschließlich Atlas V, Delta IV und Falcon 9 sowie dem in der Entwicklung befindlichen Vulcan Centaur. Obschon sieben Menschen in den Starliner passen, werden auf NASA-Missionen nur maximal fünf Personen mitfliegen – der Rest ist für Fracht reserviert.
Nach dem gescheiterten Jungfernflug dauerte es bis zum erneuten Start deutlich länger, als die Verantwortlichen bei Boeing und der NASA gehofft hatten. Ursprünglich sollte das Gefährt nämlich im vergangenen Sommer 2021 zum zweiten Mal abheben. Doch Techniker entdeckten bei einer Routinekontrolle kurz vor dem Flug, dass 13 der 24 Oxidationsmittelventile im Antriebssystem klemmten. Das Problem war angeblich durch eine Reaktion zwischen dem Oxidationsmittel und Wasser aus der feuchten Umgebungsluft verursacht worden. Infolgedessen hatte sich Salpetersäure gebildet, die das Aluminiumgehäuse der Ventile korrodierte. Indem man die Komponenten besser von der Luft abschottete, ließ sich das Problem nach rund acht Monaten beheben.
Für die Verantwortlichen war diese Verzögerung jedoch nichts Ungewöhnliches, war doch auch der erste Testflug zweimal verschoben worden: Ursprünglich plante man, 2018 zu starten. Dann im Frühjahr 2019. Beide Termine fielen flach. Unter anderem hatten die Rettungs- und Landesysteme Probleme bereitet. Erst im Dezember 2019 gelang – wie erwähnt – zwar der Start, das Ziel blieb aber in weiter Ferne.
Zum Spott der Netzgemeinde wurde der Starliner schließlich kurz vor dem aktuellen Flug: In einem auf Twitter geteilten Video war zu sehen, wie die Raumkapsel ein Teil verliert, während sie zur Abschussrampe transportiert wird. Ein Nutzer kommentierte: »Klar, dieses Baby wird eines Tages mit Mach 25 fliegen, warum sollten wir uns also darüber aufregen, dass sich die Abdeckung bei 15 Meilen pro Stunde gelöst hat?« Und da die Raumkapsel in Zukunft auch irgendwann Weltraumtouristen ins All fliegen will, twitterte ein anderer: »You couldn't pay me enough to ride that thing, because dead men spend no money«, sinngemäß also: »Für kein Geld in der Welt würde ich in dem Ding mitfliegen, denn Tote können nichts ausgeben.« Um den Imageschaden zu begrenzen, teilte Boeing jedoch schnell mit, dass es sich bei dem abgefallenen Teil lediglich um eine Schutzabdeckung der Starliner-Fenster handelte.
OFT-2: During the rollover to pad 41, as the Starliner neared the Vehicle Assembly Building, a protective window cover somehow fell off the capsule and tumbled to the road; after a brief stop to determine what had happened, the trip continued pic.twitter.com/GAS6VwxYf5
— William Harwood (@cbs_spacenews) May 4, 2022
Ungeachtet der Pleiten, Pech und Pannen hat die US-amerikanische Weltraumbehörde eigentlich große Pläne mit der Raumkapsel. Im Jahr 2014 unterzeichnete Boeing den dazugehörigen milliardenschweren Vertrag mit der NASA, der vorsah, Astronauten zur Raumstation und zurück zu befördern. Laut einer Broschüre zum Projekt entwickele man bei Boeing »die Zukunft der Weltraumerforschung«. Der CST-100 Starliner werde gebaut, um sicherzustellen, dass die USA über redundante Startkapazitäten für die Besatzung der ISS verfügen. Dahinter steckt das Bestreben der NASA, bei Transportflügen zur ISS nicht mehr vom russischen Raumfahrtbahnhof abhängig zu sein. Bisher kann Boeing dazu aber noch nichts beitragen. Ganz anders der Konkurrent SpaceX, mit dem die NASA 2014 eine ähnliche Abmachung geschlossen hatte: Bereits viermal brachte die Dragon-2-Kapsel Astronauten zum Weltraumlabor.
Die Crew steht schon lange bereit
Doch sollte der zweite Testflug des Starliners erfolgreich sein, dann wird auch Boeing bald sein Astronautentaxi betreiben können. Die Passagiere stehen schon bereit – schon so lange, dass manche gar nicht mehr dabei sind. 2018 hatte die NASA für die erste bemannte Testmission drei Piloten ausgewählt. Auf Grund der Verzögerungen wurden inzwischen zwei davon aus gesundheitlichen Gründen durch andere ersetzt. Der dritte ist bereits der fünften SpaceX-Mission zugeordnet. Ähnlich erging es einem Teil der Besatzung, die für den zweiten bemannten Starliner-Flug ausgewählt worden war. Der Starliner-Vertrag mit der NASA sieht vor, dass nach dem bemannten Testflug ins All insgesamt sechsmal bis zu vier Astronauten zur ISS gebracht werden sollen.
Daneben darf Boeing pro Flug laut Vertrag einen Platz an einen gut betuchten Weltraumenthusiasten verkaufen. Noch steht nicht endgültig fest, was eine Passage kosten wird. Der Preis wird sich aber wahrscheinlich in ähnlichen Bereichen wie bei SpaceX bewegen: nämlich um die 50 Millionen Dollar. Ob der bisherige Verlauf der Starliner-Missionen aber dazu beiträgt, zahlungskräftige Kunden anzuziehen, bleibt freilich zweifelhaft.
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