Direkt zum Inhalt

Entomologie: Der Sonnenkompass des Monarchen

Überwintern im Süden ist kein Privileg für Rentner und Vögel: Auch Schmetterlinge machen davon Gebrauch. Doch wie finden sie ihren Weg dorthin?
Der Monarch unter den Faltern
Alljährlich im Herbst begeben sich Abermillionen von orange-braun gefärbten Monarchfaltern (Danaus plexippus) auf eine lange Wanderung aus dem Norden und Osten der Vereinigten Staaten und angrenzender Gebiete Kanadas. Ihr Ziel sind bestimmte Nadelwaldgebiete in der Sierra Chincua nahe der Millionenmetropole Mexiko-Stadt. Dicht an dicht gedrängt und als bewegliche, bunte Verkleidungen an den Kiefern hängend wollen sie dort den nordamerikanischen Winter überleben, damit sie im nächsten Frühling wieder in ihre alte Heimat zurückkehren und eine neue Schmetterlingsgeneration begründen können.

Was aber lässt jedes Jahr neue Monarchpopulationen den Weg in den Süden finden? Da zumeist nur die zweite oder dritte Generation eines Sommers lange genug überlebt, um diese Reise überhaupt anzutreten, muss diese Fähigkeit genetisch veranlagt sein: Elterntiere, die zum Ziel leiten könnten, gibt es schließlich bei Antritt der Wanderung nicht mehr. Einmal unterwegs, richten sich die Kerfe denn auch am Stand der Sonne aus, indem sie den Winkel polarisierten Lichts am Himmel als Orientierungshilfe gen Süden verwenden – eine Denkleistung, die ihnen bereits mit in die Larvenstube gelegt wurde.

Monarchfalter | Die zweite und dritte Generation von Monarchfaltern (Danaus plexippus) zieht alljährlich aus dem Norden und Osten der Vereinigten Staaten und angrenzender Gebiete Kanadas in die Kiefernwälder des zentralen Mexikos, um dort zu überwintern. Auf ihrem Weg bedienen sie sich dabei eines Sonnenkompasses, der vom Einfallswinkel ultravioletten Lichts gesteuert wird.
Diese Erkenntnis ist aber nur der bislang bekannte grobe Wissensstand, dessen detaillierte Aufschlüsselung sich nun ein Team um Ivo Sauman von der tschechischen Akademie der Wissenschaften in Ceske Budejovice zur Aufgabe machte. So untersuchten die Wissenschaftler das winzig kleine Gehirn der Schmetterlinge und ließen die Falter Flugtests absolvieren, um ihre Navigationsleistungen zu überprüfen.

In einem ersten Schritt betrachteten die Forscher, ob etwa die spektralen Bestandteile des Sonnenlichts Einfluss auf die Orientierung der Monarchen nehmen. Dazu klonten sie die einzelsträngigen komplementären DNA-Moleküle – die so genannte cDNA – von drei Sehfarbstoffen, die für ultraviolette, blaue und sehr lange Lichtwellen empfänglich sind, um herauszufinden, wo diese Eiweiß-Bauanleitungen besonders aktiv ausgeführt werden. Schließlich fanden sie, dass die Produkte – so genannte Opsin-Proteine – besonders im zentralen Teil der Schmetterlingsnetzhaut einheitlich verteilt entstehen. In den randlichen Sehbereichen des Facettenauges jedoch bilden sich fast ausschließlich Fotorezeptoren für ultraviolettes Licht – und genau jene Randbezirke sind anerkanntermaßen speziell an der Erkennung polarisierten Lichts beteiligt.

Also schlossen die Wissenschaftler, dass jenes hier wahrgenommene ultraviolett polarisierte Licht Danaus plexippus den Weg weisen musste – eine Hypothese, die sie in einem Flugsimulator für Insekten überprüfen wollten. Sauman und seine Kollegen sperrten dazu mehrere Schmetterlinge in Behältnisse, in denen die Sonne für die Falter nicht direkt ersichtlich war und deren Lichtverhältnisse die Forscher mit Polarisationsfiltern kontrollieren konnten.

Wann immer die Wissenschaftler der Winkel des polarisierten Lichts änderten, wechselten auch die Monarchen ihre Flugrichtung hin zum gewünschten Ziel – allerdings nur so lange, wie auch UV-Licht eingestrahlt wurde. Als die Experimentatoren Licht dieser Wellenlänge herausfilterten, verloren die Insekten ihre Orientierung und flogen oder krabbelten die meiste Zeit ziellos im Kreise herum. Die Abhängigkeit von UV-Licht als Navigationshilfe in den Winterurlaub erklärt, warum diese Insektenart nur tagsüber zieht und sich in Gruppen sammelt, sobald es zum Abend hin dämmert.

Der von den Tageszeiten abhängige Sonnenkompass sollte demzufolge, so die Ansicht der untersuchenden Entomologen, natürlich ebenso in einem Zusammenhang mit der inneren Uhr der Falter stehen, die den Stoffwechsel und die zeitliche Aktivität der Tiere regelt. Um herauszufinden, ob und wie nun der Chronometer die navigatorischen Erkenntnisprozesse des Schmetterlings steuert, machten sich Sauman und seine Kollegen zunächst einmal daran, den genauen Ort des Tickens der inneren Uhr präzise einzugrenzen. Dazu injizierten ihren Versuchstieren fluoreszierende Antikörper, die an Proteine binden, welche bei Taufliegen bekanntermaßen essentielle Bestandteile des inneren Uhr-Tickens sind.

Sammlung der Falter | Die Navigationsfähigkeit der Falter ist nur tagsüber gegeben. Daher sammeln sich die Tiere in der Abenddämmerung, um zu ruhen. Die Steuerung der inneren Uhr der Schmetterlinge läuft dabei über neu entdeckte Nervenfasern zwischen den Fotorezeptoren im Facettenauge und dem Protocerebrum – eine bislang erst einmalig entdeckte Wirkungskette.
Auf diese Weise lokalisierten sie, wo die Schlüsselgene besonders aktiv sind – und damit den exakten Sitz der inneren Monarchen-Uhr. Sie arbeitet demnach im hinteren Teil des Protocerebrums, das wiederum den größten Teil des Insektengehirns ausmacht. Dort fanden die Forscher zudem winzige Nervenfasern mit hohen Produktionsrate eines "Uhren"-Protein, das offenbar zwischen den Fotorezeptoren im Auge mit der inneren Uhr vermittelt – ein Wirkungspfad, wie er bislang noch bei keinem anderen Insekt entdeckt wurde. Er lässt die Monarchen immer wieder während der Migration ihren Kompass neu justieren und löst durch die verkürzte Tageslänge im Herbst die Südwärtsbewegung überhaupt erst aus.

Eine weitere neu entdeckte Nervenverbindung zwischen zwei Bereichen des Protocerebrums deutet zudem auf eine zweite von der inneren Uhr gesteuerte Funktion hin, die das Hormonsystem der Schmetterlinge reguliert und folglich eine Diapause auslöst. Erst sie verlängert überhaupt das Leben von überwinternden Danaus plexippus in den nächsten Frühling hinein. Es ist allerdings fraglich, wie lange diese bislang einzigartige evolutionäre Entwicklung noch die Zeiten überleben wird: Illegaler Holzeinschlag lässt die wenigen, kleinen Winterrefugien des farbenprächtigen Insekts zunehmend schrumpfen und ausdünnen, sodass die Wälder ihre klimatische Pufferfunktion verlieren. In kalten, feuchten Wintern erfrieren dann die ungeschützten Schmetterlinge zu Hunderttausenden und regnen als tote Insektenleiber auf den Boden – so wie es im letzten Winter der Fall war. Der Zug der Monarchen und damit ihre navigatorische Großtat könnten also schon bald der Vergangenheit angehören.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.