Geomorphologie: Der Stempel des Lebens
Wie sähe das Relief der Erde aus, wenn es keine Tiere und Pflanzen gäbe? Könnte man eine "biotische" von einer "abiotischen" Landschaft anhand geomorphologischer Merkmale zweifelsfrei unterscheiden? Ein Gedankenspaziergang.
Stellen Sie sich einmal eine extrem detaillierte Landkarte der Erde vor, auf der Objekte von bis zu einem Meter Größe noch zu sehen wären. Auf dieser Karte fehlten menschlichen Artefakte – Häuser, Straßen, Steinbrüche – ebenso wie die gesamte Vegetation. Könnte man trotzdem eine unverkennbare Signatur des Lebens erkennen?
Was die Landschaft prägt
Die Entwicklung von Landschaften ist im Wesentlichen gesteuert von Tektonik und Klima. Im Zuge der Plattentektonik kollidieren die verschiedenen Lithosphärenplatte, werden Gebirge gehoben und wieder abgetragen. Das Klima steuert Art und Intensität der Verwitterung: Ist es feucht und heiß, werden die Gesteine durch chemische Prozesse zermürbt. Gibt es dagegen häufige Frostwechsel, sprengt das gefrierende Wasser die Felsen. Auf den ersten Blick scheinen Lebewesen keinen großen Einfluss auf das Geschehen zu haben.
Doch schon im eigenen Garten zeigt sich die deutliche Wirkung der Vegetation: Ist das Pflanzenkleid einmal entfernt, schwemmt ein einziger starker Regen bereits bei schwacher Neigung des Geländes die ungeschützte Bodenkrume einfach weg. Mühevoll angelegte Beete sind danach von Furchen durchzogen, und weiter unten am Hang sammelt sich das abgeschwemmte Solum wieder. Pflanzen bremsen also die formenden Kräfte der Natur.
Sprengende Wurzeln und wühlende Tiere verändern die Erdoberfläche ...
Aber wie ist das bei den langfristigen und großräumigen Abläufen? Inwiefern greifen lebende Organismen beispielsweise spürbar bei der Verwitterung von Gesteinen ein? Bäume zwängen ihre Wurzeln in kleine Haarrisse und sprengen Brocken aus dem Fels. Wühlende Bodentiere helfen bei der Verkleinerung abiotisch gelockerter Partikel und Mikroben beeinflussen die Intensität der Verwitterung. Die Menge des feinkörnigen, lockeren Sediments, in dem sich Böden entwickeln können, ist also ebenso von Lebewesen abhängig wie seine Abtragung und das Einsickern des Regenwassers.
... ebenso wie die Sprengkraft wachsender Kristalle
Mäander – ein Lebenszeichen?
Der Einfluss der Vegetation auf die Stabilität von Flussufern ist bekannt: Flüsse der baumlosen Tundren sind verzweigt, sie mäandrieren nicht. Könnten also mäandrierende Flüsse das eindeutige Kennzeichen einer belebten Welt sein? Der Blick auf unseren Nachbarn im Sonnensystem, den Mars, widerlegt auch diese Hypothese: Jüngste Forschungsergebnisse belegen die Existenz weit schweifender Mäandersysteme, sogar mit abgeschnittenen Altläufen, wie wir sie beispielsweise am Oberrhein häufig finden. Von Leben aber gibt es bislang auf dem Roten Planeten keine Spur.
Aber es treten auch Formen auf, die uns fremd sind: Massenweise Meteoritenkrater, endlose Ebenen und die ausgeprägte hemisphärische Asymmetrie des Roten Planeten sind extraterrestrisch. Dietrich und Perron drehen daher die Eingangsfrage um: Gibt es Formen auf dem Mars, die unter dem Einfluss von Lebewesen nicht auftreten könnten? "Vielleicht", spekulieren die Autoren. "Aber wir wären womöglich genauso wenig in der Lage, sie zweifelsfrei als solche zu identifizieren."
Lebewesen entscheiden über Häufigkeit und Verteilung
Als Fazit bleibt: Die Morphologie unserer Erde wird durch biotische wie durch abiotische Prozesse gleichermaßen geprägt, und die dabei entstehenden Formen unterscheiden sich nicht in der Qualität – ob sie auftreten oder nicht –, sondern durch ihre Quantität, also wie deutlich sie ausgeprägt und wie sie verteilt sind. Um die Häufigkeitsverteilung der Formen mit ihrer Entstehung – biotisch oder abiotisch – zweifelsfrei zu verknüpfen, müsste es nach Ansicht von Dietrich und Perron exakte mathematische Landschaftsmodelle geben, die alle einwirkenden Prozesse genau beschreiben. Doch so weit ist die Forschung noch nicht – gerade der Einfluss der Lebewesen ist in den meisten Modellen noch unzureichend repräsentiert.
Aber es lohnt sich, dieses ambitionierte Ziel zu verfolgen. Denn mit solchen Modellen könnten beispielsweise Prognosen von Naturgefahren wie Erdrutschen, Bergstürzen oder auch Vulkanausbrüchen zuverlässiger erstellt werden. Der Blick auf den Mars könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen, indem Vergleichsdaten seiner Oberfläche terrestrische Landschaftsmodelle überprüfbar machen. Und vielleicht ist er dann doch eines Tages diagnostizierbar – der topografische Stempel des Lebens, den unsere Erde trägt.
Was die Landschaft prägt
Die Entwicklung von Landschaften ist im Wesentlichen gesteuert von Tektonik und Klima. Im Zuge der Plattentektonik kollidieren die verschiedenen Lithosphärenplatte, werden Gebirge gehoben und wieder abgetragen. Das Klima steuert Art und Intensität der Verwitterung: Ist es feucht und heiß, werden die Gesteine durch chemische Prozesse zermürbt. Gibt es dagegen häufige Frostwechsel, sprengt das gefrierende Wasser die Felsen. Auf den ersten Blick scheinen Lebewesen keinen großen Einfluss auf das Geschehen zu haben.
Doch schon im eigenen Garten zeigt sich die deutliche Wirkung der Vegetation: Ist das Pflanzenkleid einmal entfernt, schwemmt ein einziger starker Regen bereits bei schwacher Neigung des Geländes die ungeschützte Bodenkrume einfach weg. Mühevoll angelegte Beete sind danach von Furchen durchzogen, und weiter unten am Hang sammelt sich das abgeschwemmte Solum wieder. Pflanzen bremsen also die formenden Kräfte der Natur.
Sprengende Wurzeln und wühlende Tiere verändern die Erdoberfläche ...
Aber wie ist das bei den langfristigen und großräumigen Abläufen? Inwiefern greifen lebende Organismen beispielsweise spürbar bei der Verwitterung von Gesteinen ein? Bäume zwängen ihre Wurzeln in kleine Haarrisse und sprengen Brocken aus dem Fels. Wühlende Bodentiere helfen bei der Verkleinerung abiotisch gelockerter Partikel und Mikroben beeinflussen die Intensität der Verwitterung. Die Menge des feinkörnigen, lockeren Sediments, in dem sich Böden entwickeln können, ist also ebenso von Lebewesen abhängig wie seine Abtragung und das Einsickern des Regenwassers.
"Sanft hügelige Landschaften mit feinkörnigen, lockeren Böden sind der deutlichste Ausdruck einer belebten Welt"
(William Dietrich)
William Dietrich und Taylor Perron von der Universität von Kalifornien gehen daher davon aus, dass in einer Welt ohne Lebewesen die Niederschläge sämtliches Feinmaterial abtragen würden. "Die Landschaften wären kahl und schroff", sind sich Dietrich und Perron sicher, "sanft hügelige Landschaften mit feinkörnigen, lockeren Böden sind der deutlichste Ausdruck einer belebten Welt." (William Dietrich)
... ebenso wie die Sprengkraft wachsender Kristalle
Und doch fanden die beiden Forscher Gegenbeispiel für diese These: die karge, trockene Landschaft der chilenischen Atacama-Wüste. Auch in dieser lebensfeindlichen, ariden Welt gibt es weich geschwungene Hügel, bekleidet mit Lockermaterial, das aber nicht von biologischen Prozessen herrührt. Hier zerkleinerte die Sprengkraft wachsender Salzkristalle über Jahrtausende das Gestein, und zusätzlich gelangten große Mengen Staub sozusagen per Luftpost mit dem Wind in die Wüste. Zu einem eindeutigen Lebens-Stempel der Landschaft führt die Fährte des sanften Hügel also nicht.
Dietrich und Perron wenden sich daher dem Einfluss von Pflanzen auf die Form der Flüsse zu – den Lebensadern unseres Planeten. Ein so reichhaltiges Biotop sollte doch unverkennbar von seinen Bewohnern geprägt sein.
Mäander – ein Lebenszeichen?
Der Einfluss der Vegetation auf die Stabilität von Flussufern ist bekannt: Flüsse der baumlosen Tundren sind verzweigt, sie mäandrieren nicht. Könnten also mäandrierende Flüsse das eindeutige Kennzeichen einer belebten Welt sein? Der Blick auf unseren Nachbarn im Sonnensystem, den Mars, widerlegt auch diese Hypothese: Jüngste Forschungsergebnisse belegen die Existenz weit schweifender Mäandersysteme, sogar mit abgeschnittenen Altläufen, wie wir sie beispielsweise am Oberrhein häufig finden. Von Leben aber gibt es bislang auf dem Roten Planeten keine Spur.
Und dabei zeigten die Bilder der vergangenen Marsmissionen noch weitere unerwartet vertraute Landschaften – es fehlte eigentlich nur die Vegetation: Weit verzweigte Flussnetze durchziehen die Marsoberfläche, man sieht Felsrücken, schuttbedeckte Berghänge und vom Wind geformte Dünen. Sogar ausgedehnte, von Gletschern geformte Landschaften und Vulkane gibt es auf dem Mars.
Aber es treten auch Formen auf, die uns fremd sind: Massenweise Meteoritenkrater, endlose Ebenen und die ausgeprägte hemisphärische Asymmetrie des Roten Planeten sind extraterrestrisch. Dietrich und Perron drehen daher die Eingangsfrage um: Gibt es Formen auf dem Mars, die unter dem Einfluss von Lebewesen nicht auftreten könnten? "Vielleicht", spekulieren die Autoren. "Aber wir wären womöglich genauso wenig in der Lage, sie zweifelsfrei als solche zu identifizieren."
Lebewesen entscheiden über Häufigkeit und Verteilung
Als Fazit bleibt: Die Morphologie unserer Erde wird durch biotische wie durch abiotische Prozesse gleichermaßen geprägt, und die dabei entstehenden Formen unterscheiden sich nicht in der Qualität – ob sie auftreten oder nicht –, sondern durch ihre Quantität, also wie deutlich sie ausgeprägt und wie sie verteilt sind. Um die Häufigkeitsverteilung der Formen mit ihrer Entstehung – biotisch oder abiotisch – zweifelsfrei zu verknüpfen, müsste es nach Ansicht von Dietrich und Perron exakte mathematische Landschaftsmodelle geben, die alle einwirkenden Prozesse genau beschreiben. Doch so weit ist die Forschung noch nicht – gerade der Einfluss der Lebewesen ist in den meisten Modellen noch unzureichend repräsentiert.
Aber es lohnt sich, dieses ambitionierte Ziel zu verfolgen. Denn mit solchen Modellen könnten beispielsweise Prognosen von Naturgefahren wie Erdrutschen, Bergstürzen oder auch Vulkanausbrüchen zuverlässiger erstellt werden. Der Blick auf den Mars könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen, indem Vergleichsdaten seiner Oberfläche terrestrische Landschaftsmodelle überprüfbar machen. Und vielleicht ist er dann doch eines Tages diagnostizierbar – der topografische Stempel des Lebens, den unsere Erde trägt.
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