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Strömungsphysik: Der Turbulenz auf der Spur

Mit Hilfe von Simulationen untersuchen Forscher, wie wirbelnde Strudel in einer Flüssigkeit Energie transportieren und zerstreuen. Die Herausforderungen sind enorm.
Turbulenzen im Qualm

»Wenn ich Gott treffe, dann werde ich ihm zwei Fragen stellen: warum Relativität? Und warum Turbulenz? Ich glaube schon, dass er auf die erste Frage eine Antwort parat hat.«

Dieses dem Physiker Werner Heisenberg zugeschriebene, aber wahrscheinlich so nie gefallene Zitat beschreibt das Gefühl vieler Wissenschaftler, wenn sie sich mit Turbulenz beschäftigen: jenem Phänomen, bei dem die ordentliche Strömung eines Fluids – also einer Flüssigkeit oder eines Gases – in scheinbar unberechenbare Wirbel zerlegt wird. Wir beobachten es etwa an umströmten Felsen in einem Fluss oder beim Umrühren von Milch im Kaffee.

Immerhin macht die Wissenschaft Fortschritte darin, Turbulenz zu verstehen. In einem im Fachblatt »Science« erschienenen Aufsatz präsentierte ein Team von Luftfahrtingenieuren aus Spanien Simulationen, die helfen könnten zu erklären, wie Energie in turbulenten Fluiden transportiert wird. Außerdem vermeldeten Mathematiker inzwischen Fortschritte beim Beschreiben der Prozesse, durch die Turbulenz die Energie in Fluiden zerstreut und so deren Bewegung zum Stillstand bringt.

Ein besseres Verständnis der Turbulenz und ihrer Folgen könnte sich für Wissenschaftler vieler Bereiche auszahlen – von Astrophysikern, die Gasströmungen in Galaxienhaufen modellieren, bis hin zu Klimaforschern, die den Wärmetransport in ozeanischen Strömungen simulieren.

In der Theorie beschreiben die bereits vor fast 200 Jahren entwickelten Navier-Stokes-Gleichungen die Physik von Fluiden. Doch diese Gleichungen sind nur schwer zu lösen. Deshalb verwenden Ingenieure vereinfachte Modelle oder numerische Simulationen, wenn sie die Strömungsdynamik in Fluiden vorhersagen wollen. Diese Herangehensweise hat allerdings ihre Grenzen: Die Modellierung der Turbulenz zwingt selbst Supercomputer in die Knie. Der Luftfahrtingenieur José Cardesa von der Polytechnischen Universität Madrid und seine Kollegen behaupten, sie hätten erstmals vollständig simuliert, wie Turbulenz die Bewegungsenergie auf kleinere Wirbel umverteilt. Beispielsweise könne ihre Simulation verfolgen, wie in einem großen Wassertank die Energie von einem ein Meter großen Wirbel innerhalb von etwa einer Minute auf Wirbel mit Größen bis hinunter zu zwölf Zentimetern übertragen wird.

Die Ergebnisse des Teams bestätigen eine Theorie, die der russische mathematische Physiker Andrei Kolmogorow schon in den 1940er Jahren formulierte. Zu den Konsequenzen dieser Theorie zählt, dass Turbulenz in Kaskaden auftritt: Große Wirbel zerfallen in kleinere, die wiederum in noch kleinere zerfallen, und so weiter in fraktaler Art und Weise. Im von Kolmogorov entworfenen Bild wird die Energie von großen Wirbeln lokal auf kleinere übertragen und nicht über größere Strecken hinweg transferiert. Ebendas bestätigen die Simulationen von Cardesa und seinen Kollegen. Damit ließe sich künftig die Vorhersage des Energieflusses beispielsweise beim Luftwiderstand verbessern, so der Ingenieur.

Turbulenz-Kaskade

Die Forscher glauben, dass diese »Turbulenz-Kaskade« erklären kann, wie sogar Fluide mit geringer Viskosität – wie etwa Gase – schnell ihre Bewegungsenergie in Wärme umwandeln und so beim Einsetzen von Turbulenz langsamer werden können. Turbulenz verteilt die Energie auf immer kleinere Wirbel, die auf kleinster Skala die lokale Viskosität erhöhen. Ähnlich wie Reibung zwischen festen Körpern vergrößert die Viskosität den Widerstand gegen Bewegungen zwischen den Schichten eines Fluids und dissipiert so Bewegungsenergie in Wärme.

Mathematiker treiben unterdessen die Erforschung von Fluiden mit geringer Viskosität bis an die äußerste Grenze. Der Physiker, Chemiker und Mathematiker Lars Onsager vermutete bereits 1949, dass – rein theoretisch – ein Fluid selbst dann noch Energie zerstreuen kann, wenn seine Viskosität verschwindend klein oder gar null wird. Das passiert natürlich in der realen Welt nicht. In einem solchen rein hypothetischen Szenario verteilt sich die Bewegungsenergie des Fluids weiterhin auf immer kleinere, schließlich infinitesimal kleine Wirbel, und so kommt die Bewegung des Fluids irgendwann vollkommen zum Stillstand. »Das war eine schockierende Idee«, sagt Philip Isett, Mathematiker an der University of Texas in Austin.

»Das war eine schockierende Idee«Philip Isett

Onsager vermutete, dass Turbulenz nicht viskose Flüssigkeiten nur unter bestimmten Bedingungen verlangsamen kann. In anderen Situationen würde das Fluid sich immer weiterbewegen, ganz wie ursprünglich erwartet. In den 1990er Jahren bewies Gregory Eyink, theoretischer Physiker an der Johns Hopkins University in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland, dass diese Idee korrekt ist. Und in einem 2016 veröffentlichten Aufsatz präsentierte Isett Lösungen der Navier-Stokes-Gleichungen, die zeigen, dass manche Fluide mit verschwindender Viskosität tatsächlich allein durch Turbulenz zum Stillstand kommen können. Seine Analyse wurde im Fachblatt "Annals of Mathematics" publiziert.

Die Bewegung der von diesen Lösungen beschriebenen Fluide ist allerdings nicht allzu realistisch: Sie sind zunächst in Ruhe, beginnen dann, sich zu bewegen, und kommen wieder zum Stillstand. Doch zuletzt stießen andere Mathematiker, darunter Camillo De Lellis von der Universität Zürich in der Schweiz und László Székelyhidi von der Universität Leipzig, auf etwas realistischere Lösungen derselben Gleichungen, in denen Flüssigkeiten zum Stillstand kommen, die sich am Anfang bewegen.

Physiker tendieren dazu, aktuelle mathematische Forschungsarbeiten nur dann wahrzunehmen, wenn sie eine Bedeutung für die reale Welt besitzen, sagt Székelyhidi. Lösungen, die ein zunächst viskoses und dann zunehmend dünnflüssigeres Fluid beschreiben, wären da ein guter Anfang. Charles Doering, mathematischer Physiker an der University of Michigan in Ann Arbor, hofft sogar, dass diese Herangehensweise den Weg zu einem Modell der Turbulenz aufzeigt, der einfacher zu nutzen ist als die Navier-Stokes-Gleichungen und alle Situationen abdeckt. »Das ist der große Traum«, sagt er.


Der Artikel ist im englischen Original unter dem Titel »Mysteries of turbulence unravelled« in »Nature« erschienen.

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