Gefühle: Des einen Freud, des anderen...
Machen wir uns mal einen Moment lang nichts vor: Wir alle kennen das stechende Gefühl, das uns manchmal befällt, wenn jemand etwas besitzt, was wir eigentlich auch gern hätten. Das mag der lukrative Auftrag sein, den eine Kollegin an Land gezogen hat, oder die bewundernswerte Belesenheit eines Freundes, das schicke neue E-Bike des Nachbarn oder das tolle Wetter, das er im Urlaub hatte. Oder sei es auch nur, dass wir dem Sitznachbarn in der Kantine ein besseres Händchen bei der Wahl seines Gerichts zugestehen müssen.
Tagtäglich haben wir zahlreiche Gelegenheiten, unsere Besitztümer, Erfahrungen und Eigenschaften mit denen anderer Menschen zu vergleichen. Und wenn wir dabei schlecht abschneiden, ist das mitunter schmerzhaft. Auch wenn wir es nur ungern zugeben: Jene ungeliebte Emotion, die wir in solchen Situationen häufig erleben, ist Neid. Warum können uns teils völlig triviale Vorteile anderer Menschen so in den Bann ziehen? In welcher Form beeinflusst Neid, wie wir denken und wie wir uns verhalten? Und wann tritt er besonders stark zu Tage?
Laut jüngeren Forschungen handelt es sich beim Neid um eine Emotion, die uns dazu treibt, die eigene Unterlegenheit zu bemerken und auszugleichen. Das hat auch Schattenseiten: So können Neidimpulse dazu beitragen, dass wir unser Gegenüber anfeinden und uns unsozial verhalten. Manchmal spornen sie uns aber auch schlicht zu größerer Anstrengung an. Die Evolutionspsychologen Sarah Hill von der Texas Christian University in Fort Worth und David Buss von der University of Texas in Austin interessieren sich dafür, welchen Anpassungsvorteil Neid im Lauf der menschlichen Entwicklungsgeschichte bot. Den Forschern zufolge liefern uns Vergleiche mit anderen Menschen wertvolle Informationen darüber, wie wir uns im Wettbewerb um knappe Ressourcen bewähren. Demnach sollten wir besonders sensibel etwaige Vorteile unserer Mitmenschen aufspüren können.
In der Tat haben Experimente von Sozialpsychologen gezeigt, dass der Vergleich mit anderen ein allgegenwärtiger Bestandteil unseres Denkens und Erlebens ist. Wir messen uns permanent an unseren Nächsten, spontan und unwillkürlich. So wie andere Emotionen auch kann Neid ganz automatisch entstehen und sich auf unser Verhalten auswirken, manchmal ohne (oder sogar gegen) unseren Willen. Die unangenehmen Empfindungen, die mit Neid oft einhergehen – etwa Frustration und Unterlegenheitsgefühl –, stellen laut Hill und Buss vor allem ein Warnsignal an uns selbst dar: einen emotionalen Alarm, der zunächst die Aufmerksamkeit darauf lenkt, dass wir gegenüber anderen im Nachteil sind. Er soll uns mental dazu in die Lage versetzen, dieses Manko auszugleichen.
Emotionale Gedächtnisstütze
Wie das genau vonstattengeht, untersuchten Hill und Kollegen im Jahr 2011. Die Psychologen baten Studierende, sich an Situationen zu erinnern, in denen sie Neid gegenüber Freunden oder Bekannten empfunden hatten. Allein der Gedanke daran sollte bei ihnen erneut die leidige Emotion hervorrufen. Anschließend lasen die Teilnehmer in einer scheinbar unabhängigen Untersuchung fiktive Interviews mit gleichaltrigen Studierenden, in denen es unter anderem um deren Karriereziele ging. Eine Kontrollgruppe bekam nur die Interviews zu lesen, ohne zuvor auf Neid gepolt worden zu sein. Das Ergebnis: Die neidischen Probanden beschäftigten sich freiwillig länger mit den Gesprächsprotokollen und konnten sich in einem folgenden Gedächtnistest besser an Details über die Protagonisten erinnern. Offenbar schärft Neid unsere Aufmerksamkeit für unser soziales Umfeld, schlussfolgerten die Forscher: Wir interessieren uns mehr für potenzielle Konkurrenten.
Laut Evolutionspsychologen motiviert uns die Emotion vor allem dazu, den Vorsprung der anderen zu verringern. Eine Möglichkeit besteht etwa darin, den Erfolg des anderen zu schmälern – beispielsweise, indem man den Lack von Nachbars schicker Limousine verkratzt. Für diese destruktive Seite des Neids gibt es zahlreiche Belege. Manchmal sind wir sogar dazu bereit, eigene Vorteile aufzugeben, nur damit andere nicht besser sind als wir selbst!
Aus diesen Gründen hielten viele Forscher in der Vergangenheit Neid für eine Emotion, deren zentrales Charakteristikum in der Feindseligkeit gegenüber anderen, besser gestellten Menschen bestehe. Doch diese Sichtweise greift zu kurz, wie Niels van de Ven und seine Kollegen von der Universität Tilburg (Niederlande) feststellten. Die Sozialpsychologen baten Menschen verschiedener Nationen, konkrete Situationen zu beschreiben, in denen sie schon einmal Neid empfunden hatten. Alle Erlebnisse waren von hoher Frustration und einem bohrenden Unterlegenheitsgefühl geprägt.
Vom guten und vom bösen Neid
Sie ließen sich aber verlässlich in zwei qualitativ unterschiedliche Formen unterteilen: »Bösartiger Neid« ging in der Tat mit missgünstigen Gedanken und destruktiven Absichten einher. Zum Beispiel hofften viele der Befragten insgeheim, die beneidete Person würde in irgendeiner anderen Hinsicht scheitern. Es gab aber auch »gutartigen Neid«, bei dem Feindseligkeit keine große Rolle spielte. Zwar schwangen auch hier negative Gefühle mit, doch das beschriebene Erlebnis war vor allem von Sympathie und Bewunderung für die bessergestellte Person geprägt. Insbesondere hegten die Betroffenen den Wunsch, den Vorsprung durch eigene Anstrengung aufzuholen.
Dass uns gutartiger Neid tatsächlich zu höheren Leistungen anspornen kann, zeigten die niederländischen Psychologen im Jahr 2011. Sie konfrontierten Studierende zum Beispiel mit der Beschreibung eines im Studium besonders erfolgreichen Kommilitonen. Währenddessen sollten sich die Probanden vorstellen, gutartigen Neid, bösartigen Neid oder Bewunderung zu empfinden. Anschließend bearbeiteten sie eine Denksportaufgabe, die scheinbar gar nichts mit dem Vorangegangenen zu tun hatte.
Wie erwartet, strengten sich die Teilnehmer, die sich zuvor eine gutartige Neiderfahrung ausgemalt hatten, stärker an als die »missgünstigen« Probanden. Interessanterweise schnitten sie sogar noch besser ab als die Kandidaten, die ihre Kommilitonen nur bewundert hatten. Das Gefühl des Neids kann uns also in seiner positiven Variante durchaus zu höheren Leistungen beflügeln. Auch wenn wir vermutlich öfter neidisch sind, als wir es uns eingestehen, reagieren wir sicherlich nicht auf jeden für uns nachteiligen Vergleich mit dieser ungeliebten Emotion. Warum eigentlich nicht? Wie Studien unserer Arbeitsgruppe an der Universität Köln nahelegen, erleben wir zwar häufig Anflüge von Neid – so genannte Neidimpulse –, können diese aber oft im Keim ersticken.
Eine Frage der Selbstkontrolle
Laut zahlreichen psychologischen Theorien wird Verhalten durch das Zusammenwirken von Impulsen und rationalen Erwägungen gesteuert. Stehen diese im Konflikt miteinander, ist entscheidend, ob die Ratio die Oberhand über das entwicklungsgeschichtlich ältere impulsive System gewinnt. Tatsächlich sind wir oft sehr gut darin, unsere inneren Regungen per Selbstkontrolle in Schach zu halten. Das dürfte ganz besonders auf Neidgefühle zutreffen: Sie sind nicht nur sozial unerwünscht, sondern können, wie gesagt, auch als sehr unangenehm und schmerzhaft empfunden werden. Deshalb setzen wir alles daran, stets unseren Neid zu verbergen. Ja sogar die entsprechenden Gedanken und Gefühle versuchen wir zu unterdrücken oder zu verändern.
Emotionale Reaktionen lassen sich auf vielfältige Weise willentlich kontrollieren – etwa, indem man sich auf andere Aspekte der auslösenden Situation konzentriert, deren subjektive Bedeutung durch gezieltes Nachdenken verändert oder gar versucht, potenzielle Neidsituationen gänzlich zu vermeiden. Wovon es abhängt, ob das tatsächlich gelingt, ist inzwischen gut erforscht. Zum Beispiel hat sich herausgestellt, dass unsere Willenskraft relativ schnell ermüdet.
Bemühen wir uns etwa mit allen Kräften, auf einer Party unsere schlechte Laune zu unterdrücken, ist damit ein guter Teil der Kapazitäten erst einmal erschöpft. Der Pralinenschachtel auf dem Küchentisch können wir danach nicht mehr so leicht widerstehen. Außerdem müssen wir hierzu den Kopf frei haben und geistig auf voller Höhe sein: Eine effektive Selbstkontrolle wird von allen Faktoren behindert, die uns mental einschränken – etwa wenn wir uns komplizierte Dinge merken, unter Zeitdruck stehen oder gestresst sind. Sogar mit einem niedrigen Blutzuckerspiegel und einem Bier zu viel intus können wir uns nicht mehr so gut beherrschen.
Ob das auch für die Kontrolle von Neidimpulsen zutrifft, untersuchte unsere Arbeitsgruppe in Jahr 2012. Dazu konfrontierten wir Probanden mit einer anderen Person, die einen eigentlich recht unbedeutenden Vorteil hatte. Sie durfte in einer fiktiven Verkostung ein attraktiveres Lebensmittel probieren als der Proband. So luden wir Passanten während des Kölner Straßenkarnevals zu einem »Kamelletest« ein. Jeweils ein Passant und eine in den Versuch eingeweihte Person sollten Süßigkeiten verkosten. Ob es sich dabei um ein einfaches Bonbon oder edles Schokoladenkonfekt handelte, wurde zuvor ausgelost. Allerdings hatten wir die Verlosung so manipuliert, dass die »echte« Versuchsperson immer mit dem Bonbon vorliebnehmen musste, während unser Assistent die edle Süßigkeit bekam.
Der ungewöhnliche Ort für diesen Versuch war mit Bedacht gewählt. Wie beim Karneval üblich waren die meisten Passanten mehr oder weniger alkoholisiert. Wir wollten herausfinden, ob der Alkoholpegel das Ausmaß der Selbstkontrolle und damit die Neidreaktion beeinflusste. Und in der Tat: Die Teilnehmer, bei denen das Alkoholmessgerät einen hohen Wert ausspuckte, hatten zuvor angegeben, besonders neidisch auf den anderen Verkoster gewesen zu sein.
Neid weckt Begehrlichkeiten
In einem Kontrolltest ließen wir ebenfalls Passanten Kamelle testen; auch sie erhielten nach einer vermeintlichen Verlosung das Bonbon. Doch diesmal gab es keine zweite Person, die das Konfekt bekam. Wir sagten den Teilnehmern nur, dass andere Probanden bereits das Glück hatten, die Schokolade verkosten zu dürfen. Interessanterweise feuerte in diesem Fall der Alkohol den Neid nicht an. Man muss offenbar die entsprechende Person direkt vor Augen haben, um sie zu beneiden.
Neid bringt noch eine andere Besonderheit mit sich: Er löst ein übersteigertes Begehren nach der Eigenschaft oder dem Objekt aus, um das man den anderen beneidet. Kauft sich der Nachbar etwa einen schicken Sportwagen, spielen wir plötzlich auch mit dem Gedanken – was wir sonst nicht tun würden. Das stellte unsere Arbeitsgruppe in einer weiteren Studie fest. Dafür luden wir wieder Erwachsene zu einem vorgeblichen Geschmackstest ins Labor ein. Diesmal schränkten wir das Selbstkontrollvermögen mancher Teilnehmer ein, indem wir sie während der Verkostung eine komplizierte Gedächtnisaufgabe ausführen ließen. Dann losten wir ihnen entweder einfache Butterkekse oder eine edle Eiskreme zu.
Auch hier zeigte sich, dass die Teilnehmer mit wenig Kapazität zur Selbstkontrolle mehr Neid äußerten. Mehr noch: Je größer der Neid, desto stärker war ihr Wunsch, das bessere Produkt des anderen Teilnehmers auch zu haben; sie gaben an, mehr Geld dafür ausgeben zu wollen. Als Versuchspersonen bei einem weiteren Experiment in der gleichen Situation Gelegenheit hatten, das bessere Produkt spontan zu kaufen, taten sie dies auch meist. Das Interessante: Die Tatsache, dass ein anderer das leckere Eis bekam, ließ sie eher den Geldbeutel zücken. Ohne den Neidimpuls hätten sie es sich gar nicht gekauft.
Schließlich interessierte uns, ob es sich bei diesem gesteigerten Verlangen nach dem Neidobjekt ebenfalls wie beim Neid selbst um einen Impuls handelt, den wir aktiv kontrollieren können. Dazu führten wir wieder einen Geschmackstest durch – diesmal mit einem Fruchtsmoothie und Sauerkrautsaft. Den Teilnehmern wurde nun immer der strenge Gemüsesud »zugelost«, während eingeweihte Scheinprobanden das Erfrischungsgetränk bekamen. Anschließend präsentierten wir den Versuchspersonen auf einem Monitor Bilder entweder von dem Sauerkrautsaft oder von dem Smoothie. Die Fotos konnten in der oberen oder unteren Bildschirmhälfte erscheinen.
Die simple Aufgabe der Teilnehmer bestand nun darin, so schnell wie möglich mit einem Joystick anzugeben, ob die Bilder oben oder unten erschienen – unabhängig davon, was gerade abgebildet wurde. Je nachdem, wo das Foto auftauchte, sollten sie den Hebel zu sich heranziehen oder von sich wegdrücken. Hintergrund dieser Übung: Aus der Geschwindigkeit, mit der die Probanden den Joystick bedienten, konnten wir ablesen, wie impulsiv sie das jeweils abgebildete Getränk begehrten. Denn laut psychologischen Studien wirken sich derartige Impulse unwillkürlich auf unser Verhalten aus – in diesem Fall auf die Joystickbewegung. Erschien auf dem Bildschirm ein Objekt, das der Proband unbedingt haben wollte (also der Fruchtsmoothie), sollte es ihm daher leichter fallen, den Joystick zu sich heranzuziehen, als ihn von sich wegzudrücken.
Smoothie oder kein Smoothie?
Tatsächlich rissen die Betroffenen den Joystick besonders schnell zu sich heran, wenn der Fruchtsmoothie auf der entsprechenden Bildschirmhälfte erschien – und zwar vor allem die Probanden, deren Selbstkontrolle wir währenddessen durch eine eigentlich belanglose kognitive Aufgabe einschränkten. Das traf allerdings nur dann zu, wenn neben ihnen ein vermeintlicher zweiter Versuchsteilnehmer saß, der den attraktiven Smoothie bekam. Waren sie allein, war ihr Verlangen nach dem süßen Getränk nicht gesteigert.
Was uns verblüffte: Die Kandidaten, die während des Versuchs nicht unter hoher kognitiver Belastung standen und also besser in der Lage waren, ihre emotionale Situation zu kontrollieren, verhielten sich exakt umgekehrt. Saß ein Scheinproband neben ihnen, der mehr Losglück hatte als sie selbst, verringerte sich ihr impulsives Begehren nach dessen Smoothie. Möglicherweise handelt es sich hier um den so genannten »Saure-Trauben-Effekt«. Um ihre negativen Emotionen leichter in den Griff zu bekommen, werten die Versuchsteilnehmer das Neidobjekt ab – ähnlich wie der Fuchs in Äsops Fabel, der sich die zu hoch hängenden Trauben schlechtredet.
Das emotionale Alarmsignal Neid kann für uns also vielfältige Folgen haben. Haben wir es nicht unter Kontrolle, lechzen wir oft nach den Vorteilen anderer, obwohl sie uns normalerweise gar nicht viel bedeuten würden. Wie wir das vermeiden können und – vielleicht noch wichtiger – wie man bösartigen Neid in die gutartige Form verwandelt, muss weitere Forschung zeigen.
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