Arecibo-Botschaft: Die erste »Postkarte zu den Sternen« wird 50 Jahre alt
Es war der 16. November 1974 – eine turbulente Zeit auf dem Planeten Erde. Der Kalte Krieg erreichte seinen Höhepunkt, und die Weltwirtschaft litt noch immer unter dem Ölembargo gegen den Nahen Osten, das im Jahr zuvor verhängt worden war. Die USA hatten sich von ihren bemannten Ausflügen zum Mond zurückgezogen, kämpften aber immer noch in Vietnam. Die Beatles lösten sich zum Jahresende offiziell auf. Und in Deutschland trat Willy Brandt von seinem Amt als Bundeskanzler zurück, nachdem sein persönlicher Referent Günter Guillaume als DDR-Agent enttarnt worden war.
Vor dem Hintergrund all dieser dunklen Ereignisse war die erste interstellare Botschaft sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn ein Lichtblick: eine »Postkarte zu den Sternen«, überbracht durch einen gebündelten Strahl von Radiowellen. Astronomen hatten zwar bereits Jahre zuvor damit begonnen, den Himmel abzutasten, in der Hoffnung, Signale aus fernen, außerirdischen Welten zu empfangen. Dieses Unterfangen aber war anders – eine absichtliche Aufforderung, ja sogar eine Einladung an hypothetische Wesen, mit uns in Kontakt zu treten. Die Botschaft, die über einen leistungsstarken Radiosender des Arecibo-Observatoriums in Puerto Rico gesendet wurde, markierte den Beginn eines Zeitalters, in dem unsere technologisch versierte Zivilisation begann, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie sie sich gegenüber dem stummen Weltraum verhalten soll.
Heute ist die im Binärcode verfasste Arecibo-Botschaft eine Ikone der Menschheitsgeschichte. Ordnet man die Einsen und Nullen in einem Raster mit den richtigen Abmessungen an, ergeben sie ein zweidimensionales Bild, das von uns Menschen, unserer Heimat im Sonnensystem und dem Radioteleskop, das die Nachricht verschickt hat, erzählt.
Mehr als nur ein Binärcode
»Die Arecibo-Botschaft reiht sich ein in die Tradition, mit Außerirdischen in Kontakt treten zu wollen«, sagt Rebecca Charbonneau, eine Wissenschaftshistorikerin am American Institute of Physics. Aber letztlich gehe es um mehr als das: »Der Mensch ist ein sehr visuelles Wesen. Wir brauchen daher etwas Anschauliches und Schönes, um Gefühle der Spiritualität und des Staunens zu verarbeiten.« Die Arecibo-Botschaft sei ein Leitbild dieser Tradition, eine bildhafte Darstellung von etwas, das uns auf eine erhabene Art und Weise klein macht.
Aber so wie sie einerseits Übersinnlichkeit symbolisiert, ist die Arecibo-Botschaft andererseits auch eine Erinnerung an Zerbrechlichkeit und Verlust. Einige Jahrzehnte nachdem der Code die Erde verlassen hatte, wurde das Teleskop, mit dem sie versendet wurde, zunehmend vernachlässigt und brach schließlich im Jahr 2020 in sich zusammen. Und der Entwickler der Arecibo-Botschaft, mein Vater Frank Drake, starb nur zwei Jahre danach.
About a decade ago, I found the original draft of Papa D’s pulsar map — tucked into a box in the closet. This past weekend, guess what else showed up? pic.twitter.com/5dxKE13hfZ
— Dr. Nadia Drake (@nadiamdrake) July 31, 2024
Als ich allerdings vor einigen Monaten in alten Papieren meines Vaters stöberte, fand ich einen frühen, mit Bleistift geschriebenen Entwurf der Botschaft, zusammen mit seinen Überlegungen zu den Informationen, die er übermitteln wollte. Ich habe natürlich die meiste Zeit meines Lebens von der Rolle meines Vaters bei der Entstehung der Nachricht gewusst, aber es war das erste Mal, dass ich etwas von der Arbeit sah, die vorab hineingeflossen ist. Als ich schließlich ein Bild der Skizzen in den sozialen Medien teilte, war die Reaktion heftiger, als ich erwartet hatte. Viele meinten: »Das gehört in ein Museum!«
»Die Bilder des Codes haben sich in das Gedächtnis eines jeden eingebrannt, der über die Suche nach Leben im All nachdenkt oder sich der Geschichte bewusst ist«, sagt David Grinspoon, Astrobiologe und leitender Wissenschaftler bei der NASA. »Es war eine sehr hoffnungsvolle Geste, und die Motivation dahinter insofern überwältigend, als es nicht um nationale oder persönliche Vorteile ging. Es war wie: ›Hey, Menschen auf der Erde, wir können das schaffen.‹«
Trotz ihrer unzweifelhaften Popularität war die Arecibo-Botschaft nicht die erste absichtliche und geplante Datenübermittlung von der Erde ins All. Diese Ehre gebührt der Morse-Botschaft, einer aus drei russischen Wörtern bestehenden Nachricht im Morsecode. Die 1962 von drei sowjetischen Wissenschaftlern entworfene und mit Hilfe eines Radarkomplexes in Jewpatorija auf der Krim gesendete Nachricht war allerdings nie dazu gedacht, von Außerirdischen empfangen zu werden – es sei denn, sie würden (unwahrscheinlicherweise) zufällig auf dem Planeten Venus leben. Sie hat nicht einmal das Sonnensystem verlassen. Vielmehr prallte die Mitteilung von der Venus ab und kam direkt zur Erde zurück, wo ihre nationalistischen Inhalte – die Worte »mir« (was »Frieden« oder »Welt« bedeuten kann), »Lenin« und »UdSSR« – von der anvisierten Zielgruppe empfangen wurden: uns.
»Ich habe Leute getroffen, die behauptet haben, dies sei die erste Botschaft an Außerirdische gewesen«, berichtet Charbonneau. »Ich denke nicht, dass man das sagen kann, denn der Inhalt der Mitteilung zeigt ganz klar, dass sie nicht an ein außerirdisches Publikum gerichtet war.« Vielmehr hätten die sowjetischen Wissenschaftler die Botschaft verschickt, um die Inbetriebnahme einer neuen Radaranlage in ihrer Einrichtung zu feiern. »Ihr Bauchgefühl sagte ihnen, dass sie zu diesem Zweck eine Botschaft in den Weltraum schicken sollten«, sagt sie. »Und genau so war es auch mit der Arecibo-Botschaft – eine Aktion anlässlich eines Upgrades des Arecibo-Teleskops.«
Technische Demonstration mit philosophischen Implikationen
Die 1974 abgeschlossenen Modernisierungsarbeiten verwandelten das Arecibo-Observatorium in eine Weltklasseeinrichtung für Radioastronomie. Dazu gehörten ein leistungsstarker Radiosender und eine glänzende Aluminiumoberfläche für die rund 300 Meter durchmessende Reflektorschüssel des Teleskops. Um diese Errungenschaften zu feiern, lud mein Vater, damals Direktor des National Astronomy and Ionosphere Center, mehr als 200 Menschen zu einer Zeremonie ins Observatorium ein. Die Übermittlung der Botschaft sollte den Abschluss der Feierlichkeiten bilden und der versammelten Prominenz und der Welt die beeindruckende interstellare Reichweite demonstrieren.
Ein paar Monate vor der Zeremonie begann mein Vater damit, die Botschaft zu entwerfen. Es war nicht seine erste; einige Jahre zuvor hatte er aus Spaß eine 551-Bit-Binärnachricht verfasst und an die Hand voll Leute geschickt, die 1961 an einem Austausch über die Suche nach außerirdischer Intelligenz teilgenommen hatten. Richtig angeordnet würden diese Nullen und Einsen ein Bild ergeben, das einen Menschen, unser Sonnensystem sowie die chemischen Formeln für Sauerstoff und Kohlenstoff enthielt. Aber nur einer der Teilnehmer, der Ingenieur und Technologieunternehmer Bernard Oliver, fand heraus, wie man das Bild entschlüsseln kann. Er wiederum benachrichtigte meinen Vater mit einer ebenfalls binären Antwort: dem verschlüsselten Bild eines Martiniglases mit einer Olive.
»Damals habe ich der ganzen Sache keine große Bedeutung beigemessen. Ich fand es einfach nur cool«Richard Isaacman, Astrophysiker
Für die Arecibo-Botschaft konstruierte mein Vater das Gitter als Produkt zweier Primzahlen – ein Rechteck mit den Maßen 23 mal 73 – das entspricht 1679 Bits. Als er schließlich darüber nachdachte, was er genau sagen wollte, bat er seine Kollegen um Rat, doch die meisten von ihnen lehnten ab. Nun ist es paradoxerweise so, dass in weniger als einem halben Jahrhundert die genaue Urheberschaft einer Botschaft, die Tausende von Jahren im All unterwegs sein soll, schon jetzt im Nebel der Geschichte verschwunden zu sein scheint. Wir wissen lediglich mit Sicherheit, dass mein Vater ihr Hauptarchitekt war und dass er unter anderem eng mit Richard Isaacman, damals Doktorand an der Cornell University, zusammenarbeitete. Isaacman machte einige Vorschläge, die mein Vater wohl auch annahm, wie etwa die Verschiebung des Planeten Erde um ein Kästchen nach oben, um anzuzeigen, dass sie unser Zuhause ist.
»Damals habe ich der ganzen Sache keine große Bedeutung beigemessen«, sagt Isaacman heute. »Ich fand es einfach nur cool.« Der ehemalige Mitarbeiter des Goddard Space Flight Center der NASA verbringt seine Zeit im Ruhestand zwischen Maryland und Hawaii. »Es war eine technische Demonstration, die jedoch die Grenze zu einem Bereich mit tief greifenden philosophischen Implikationen überschreitet.«
Als Ziel der Botschaft hatte mein Vater einen Kugelsternhaufen namens Messier 13 (M13) im Sternbild Herkules ins Visier genommen, weil dieser sich zum Zeitpunkt der Zeremonie praktischerweise direkt über dem Observatorium befand. In etwa 25 000 Jahren wird die Nachricht M13 erreichen – oder zumindest einen Teil davon, denn die Mehrheit der Sterne wird sich bis dahin aus dem Strahl des Teleskops bewegt haben. Aber jeder, der in der Nähe ist und herausfindet, wie man sie entschlüsselt, wird eine Idee davon bekommen, was uns Menschen ausmacht: wie wir aussehen, aus welchen chemischen Elementen und Biomolekülen unsere DNA besteht, wie unser Planetensystem sich gestaltet und wie viele von uns 1974 existierten. Die Nachricht endet mit einer binär codierten Darstellung der Arecibo-Schüssel.
»Man könnte auch sagen, es war eine Art Liebesbrief an das Teleskop selbst«, sagt Kathryn Denning, eine Anthropologin an der York University in Ontario, die sich ebenfalls mit der Suche nach Leben jenseits der Erde beschäftigt. »Und das hat etwas Zauberhaftes. Aber dieser Text und die Darbietung hat für verschiedene Menschen viele unterschiedliche Bedeutungen.«
Übertragung dauerte fast drei Minuten
Zum Abschluss der Zeremonie am 16. November erklärte mein Vater den Anwesenden, was gleich geschehen würde – dass sie dabei sind, wenn er die Veranstaltung mit einem »sehr wichtigen Anfang« beenden werde. Und dann gab der Abgeordnete John Davis dem Personal im Arecibo-Kontrollraum grünes Licht, indem er ein Zitat von Daniel Webster paraphrasierte, das im Repräsentantenhaus hängt: »Lasst uns die Ressourcen unseres Landes erschließen und sehen, ob wir zu unserer Zeit nicht etwas vollbringen, das es wert ist, dass man sich an uns erinnert«, sagte er. »Ich denke, heute werden wir das tun.«
Bernie Jackson, ein Sonnenforscher, der mittlerweile an der University of California in San Diego arbeitet, hatte die Nachricht programmiert und drückte den Knopf, der die Übertragung startete. Draußen ertönten Lautsprecher, als die Botschaft die Erde verließ – eine einfache Übersetzung der Nullen und Einsen in zwei voneinander unterscheidbare Töne. Die Übertragung dauerte fast drei Minuten, und als die Lautsprecher verstummten, befanden sich die ersten Bits schon fast in der Umlaufbahn des Mars.
»Der ganze Vorgang war von der Aura umgeben, dass Menschen hier gerade etwas Wunderbares tun, das den ganzen Kosmos einbezieht«Frank Drake, Astronom
»Was die Menschen hörten, war das, was wir umgekehrt eines Tages aus einer anderen Welt empfangen könnten«, sagte mein Vater zu mir, als wir zum 40. Jahrestag über die Botschaft sprachen. »Der ganze Vorgang war von der Aura umgeben, dass Menschen hier gerade etwas Wunderbares tun, das den ganzen Kosmos einbezieht.«
Die Idee dazu stammte noch aus einer unschuldigeren Zeit, die weniger von kosmischer Paranoia geplagt war als die heutige. Nur wenige Menschen lehnten das Versenden der Botschaft ab, weil die Möglichkeit, bösartige außerirdische Eindringlinge auf die Erde hinzuweisen, so gering erschien. Dennoch war nicht jeder von dem Experiment begeistert, und so ist in den zurückliegenden 50 Jahren auch eine lebhafte Debatte über die Ethik der interstellaren Nachrichtenübermittlung entbrannt. Einige halten solche Botschaften für gefährlich, weil sie die Aufmerksamkeit zerstörungswütiger Zivilisationen überhaupt erst auf uns lenken könnten; andere sind eher besorgt, was wir senden und wer darüber entscheidet.
»Jetzt, da wir wissen, dass wir von Exoplaneten und potenziell bewohnbaren Planeten in einer Entfernung von einigen Lichtjahren umgeben sind, ist es gar nicht mehr so abwegig zu denken, dass es eine Konsequenz haben könnte, etwas zu senden und dass wir noch zu unseren Lebzeiten etwas zurückgeschickt bekommen könnten«, sagt Grinspoon. »Aber ich bin immer noch optimistisch, dass es das Wunderbarste überhaupt wäre, wenn wir eine Antwort erhielten – nicht nur cool, sondern potenziell transformativ auf eine aufregende und hoffnungsvolle Weise.«
Mindestens zwei Dutzend weitere Mitteilungen
Selbst die Sorge davor, das Böse in fernen Welten zu wecken, hält die Menschen auf diesem Planeten nicht davon ab, jeden Tag Technosignaturen in den Kosmos zu entsenden. Mit geeigneten Instrumenten könnten viele der Signale über interstellare Entfernungen hinweg wahrgenommen werden. Und seit der Arecibo-Botschaft sind mindestens zwei Dutzend weitere Mitteilungen verschickt worden. Dazu gehören zusätzliche Übertragungen von der Krim, ein kompletter Beatles-Song, eine Doritos-Werbung und eine Reihe von Signalen an das TRAPPIST-1-System mit sieben erdgroßen, möglicherweise lebensfreundlichen Planeten. Heute, so stellt Kathryn Denning fest, sei die Fähigkeit, interstellare Botschaften zu versenden, nicht mehr auf von der Regierung betriebene Einrichtungen beschränkt – und deshalb möglicherweise nicht einmal alle Mitteilungen offiziell bekannt, die von der Erde aus gesendet wurden.
»Wenn alle schweigen, werden wir nie herausfinden, ob wir allein im Universum sind«, sagt Jonathan Jiang vom Jet Propulsion Laboratory der NASA, der zusammen mit seinen Kollegen eine verbesserte Version der Arecibo-Botschaft entworfen hat. »Kommunikation ist entscheidend, wenn wir anderes intelligentes Leben finden wollen.«
Sollten wir tatsächlich eine Antwort auf die Arecibo-Botschaft erhalten, die uns zeigt, dass wir nicht allein sind, dann wird das nicht zu unseren Lebzeiten geschehen – nicht einmal im nächsten Jahrtausend. Der Binärcode wird etwa 25 000 Jahre brauchen, um die Außenbezirke von M13 zu erreichen, und es würde mindestens weitere 25 000 Jahre dauern, bis eine mögliche Antwort die Erde erreicht. »Wird es dann noch jemanden auf der Erde geben, der die Antwort entgegennimmt?«, fragt Denning. »Ich weiß nicht, ob sich damals in den 1970er Jahren jemand diese Frage gestellt hat.«
Grinspoon sagt, ein solches Projekt zwinge einen dazu, sich die Existenz der Menschheit auf eine Weise vorzustellen, die kaum einen Vergleich kennt. »Wir denken schließlich auch sonst selten an die Konsequenzen unseres Tuns 50 000 Jahre in der Zukunft.«
Die Suche nach Leben jenseits der Erde ist in gewisser Weise eine Übung in Optimismus. Sie setzt die Vorstellung voraus, dass es etwas oder jemanden zu finden gibt – und dass wir Menschen in der Lage sind, diese Entdeckung zu machen und entsprechend zu reagieren. Wie einige zuvor schon gesagt haben, ist es eine moralische Verpflichtung, unsere eigene Anwesenheit zu verkünden, solange wir umgekehrt nach Signalen von fernen Zivilisationen suchen. Aber die Botschaften, die wir in den Kosmos senden, sind flüchtig. Sobald sie verklingen, ist der Planet wieder schwarz und nur eine weitere stumme Welt unter Milliarden anderen in der Milchstraße.
Da auch mein Vater verstummt ist, finde ich manchmal Trost in der Gewissheit, dass ein kleiner Teil von ihm noch da draußen ist, für immer auf Reisen. Frank Drake hat die Erde nie verlassen, doch seine Botschaft – unsere Botschaft – ist jetzt 50 Lichtjahre entfernt. Allein in diesem Volumen des Weltalls befinden sich mehr als 1000 Sternsysteme. Wir wissen nur von einigen wenigen, die sich im Strahlengang der Nachricht befinden – und bislang hat noch niemand geantwortet. Vermutlich wird das auch nicht passieren. Aber das hat meinen Vater nicht von dem Versuch abgehalten, eine Verbindung herzustellen.
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