Technikgeschichte: Die Dampfmaschine war sein Schicksal
"Sicher, mein Herr, befinde ich mich in einer traurigen Lage; selbst wenn ich Gutes vollbringe, ziehe ich mir Feinde zu." Dieses bittere Fazit steht am Lebensende eines Mannes, der zu den größten Geistern der Wissenschaftsgeschichte zählt, heute aber wohl nur noch Eingeweihten ein Begriff ist. Der Name des Forschers, der am 23. Januar 1712 jenen verzweifelten Satz an das Ende eines Briefes an die Royal Society in London setzte: Denis Papin.
Fünf Jahre zuvor war Papin von Kassel, wo er jahrelang in Diensten des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel getüftelt hatte, nach London aufgebrochen – an Bord eines selbstentwickelten Schaufeldradschiffes, mit dem er Großes vorhatte: Im Zentrum der mächtigsten europäischen Seefahrernation sollte das Boot als Modell für den Bau von Großschiffen dienen. Der Clou: Die Schaufelräder dieser Schiffe würden durch eine von Papin entwickelte Dampfmaschine angetrieben – eine Revolution der bis dahin rein auf Windkraft angewiesenen Seefahrt.
Vom Vandalismus gestoppt
Doch schon in Münden, wo sich Werra und Fulda zur Weser vereinigen, findet die Flussfahrt im Experimentierschiff ein jähes Ende: Alte Stapelrechte sichern der örtlichen Schiffergilde das Privileg zu, jedes fremde Schiff an der Durchfahrt zu hindern. Die Mündener erzwingen den Abbruch der Reise, Papins Fahrzeug wird aufs Land gezogen, und – noch während die örtlichen Behörden den Vorfall untersuchen – von aufgebrachten Schiffern zerstört. "Dem Medico Papin ist wenig Recht widerfahren", bilanziert ein Zeitzeuge den Vorfall. Und so geht nicht Papin als Begründer der Dampfschifffahrt in die Geschichte ein, sondern der französische Ingenieur Claude Francois Jouffroy d'Abbans, dessen Schaufelraddampfer 1776 seine Jungfernfahrt meistert.
Der Zwischenfall in Münden ist eine typische Episode im Leben von Denis Papin. Wie ein roter Faden ziehen sich Rückschläge und Unglücksfälle durch die Arbeit des Erfinders, der seinen Zeitgenossen als einer der fähigsten wissenschaftlichen Köpfe galt. Zerstörte Schiffe, geplatzte Rohre und zerborstene Kräne haben dem Andenken Papins derart zugesetzt, dass die wissenschaftlichen Leistungen des Mannes, der die erste funktionsfähige Dampfmaschine entwickelte, darüber in Vergessenheit gerieten. Und so dürfte heute auch nur wenigen Besitzern eines Schnellkochtopfs bewusst sein, dass ihr ebenso sparsames wie schonendes Gargerät einst von diesem Genius entwickelt wurde.
Als "besten Kenner aller Gase" hat der große Gottfried Wilhelm Leibniz Papin einmal charakterisiert. Der Weg zu diesem Ehrentitel führt den 1647 in Blois geborenen Papin nach erfolgreichem Medizinstudium zunächst nach Paris, denn hier forscht einer der prominentesten Köpfe der Physik: Christiaan Huygens hat sich unter anderem durch die Entdeckung der Saturnringe wissenschaftlichen Ruhm erworben, der sich für den Gast des französischen Königs Ludwig XIV. auch in materieller Form niederschlägt: Mit eigenem Laboratorium und großzügiger Pension versehen, kann sich der Niederländer in Paris ein Forschungsteam aufbauen.
Eine Pulvermaschine für den König
Huygens erkennt, dass der Mediziner Papin noch über ganz andere Talente verfügt. Er nimmt ihn als Assistenten auf und betreut ihn gleich mit einer kniffligen Aufgabe. Der Sonnenkönig möchte seine Springbrunnen im Park von Versailles mit Wasser aus der nahen Seine speisen, und Huygens soll eine leistungsfähige Pumpe bauen. Gemeinsam mit Papin entwickelt der kongeniale Niederländer eine "Pulvermaschine". Die Experimente dafür übernimmt Papin, der ein Modell der Maschine 1674 dem französischen Finanzminister Colbert vorführt. Die Wasserspiele in Versailles werden dann doch über konventionelle Pumpen versorgt, doch Papin gewinnt wertvolle Erkenntnisse über die Möglichkeiten einer "Kraftmaschine". Als er Jahre später an die Entwicklung seiner Dampfmaschine geht, werden die Studien zur Pulvermaschine Grundlage seiner Arbeit.
Doch zunächst richtet Papin seinen Forschungseifer auf ein ganz anderes Gebiet, die effektive Zubereitung von Nahrungsmitteln in größerer Menge – ein Herzensanliegen des Franzosen, seit er in Jugendtagen eine schwere Hungersnot miterlebt hat. In London, wohin er kurz nach der Entwicklung der Pulvermaschine übersiedelt, tritt er als "Curator of Experiments" in die Dienste der renommierten Royal Society. Den gelehrten Herren stellt er 1679 seinen "Digestor" vor, den Vorläufer des modernen Schnellkochtopfs. Diese Erfindung macht Papin nicht nur zum Ahnherrn gesunder Kochverfahren, auch die Entwicklung der Sterilisation durch Erhitzen nimmt hier ihren Anfang. Und wer heute zur Konservendose greift, sollte wissen, dass erst der "Papin'sche Topf" die Grundlage für diese Form der Konservierung von Lebensmitteln geschaffen hat.
Für Papins wissenschaftliche Arbeit stellt der Digestor einen doppelten Wendepunkt dar: Zum einen wird sich der Physiker fortan verstärkt mit den Möglichkeiten des Wasserdampfs beschäftigen. Zum anderen hängt ihm spätestens mit der Explosion eines Topfs bei einer öffentlichen Präsentation der Makel des Katastrophenmenschen an. Zwar löst er alle Probleme mit dem Überdruck im Topf durch die Erfindung des Sicherheitsventils, doch in der Öffentlichkeit haftet ihm zunehmend der Ruf eines Unglücksraben an – so auch in Marburg, wohin sich Papin 1688 auf Einladung des Landgrafen Karl begibt. Der Graf ist ein begeisterter Förderer der Naturwissenschaften, schon beim Antrittsbesuch erteilt er Papin den Auftrag zum Bau einer neuen Pulvermaschine. Doch die Versuche in seinem Marbuger Laboratorium erregen öffentliches Aufsehen, Passanten meiden die gefährliche Gasse, in der man ständig mit Explosionslärm zu rechnen hat. Auf Anordnung der Universität muss Papin seine Versuche einstellen.
Bauer des ersten deutschen U-Boots
Auch die Arbeiten an einem Tauchschiff stehen zunächst unter keinem guten Stern: Als Papin das Schiff im August 1691 in der Fulda bei Kassel zu Wasser lassen will, bricht der Kran unter der Last zusammen. Das Boot wird zerstört, was den Landgrafen 2000 Taler und Papin ein Gutteil seiner öffentlichen Reputation kostet. Denn anders als bei einem zweiten, erfolgreichen Versuch im folgenden Jahr, der nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, sind bei der fehlgeschlagenen Tauchfahrt zahlreiche Zuschauer anwesend.
Zudem muss er sich mit persönlichen Anfeindungen in Marburg auseinandersetzen, denn die zunehmend restriktive Religionspolitik des katholischen Sonnenkönigs hat viele Protestanten aus Frankreich vertrieben. Auch in Marburg etabliert sich eine Hugenottengemeinde, der Papin sich nach seiner Übersiedlung anschließt. Prediger der Gemeinde ist Thomas Gautier, ein konservativer Theologe, dem insbesondere die rationalistische Denkrichtung der Cartesianer ein Dorn im Auge ist, während Papin als Dekan der philosophischen Fakultät zu Marburg solchen Ideen in der Nachfolge René Descartes deutlich liberaler gegenübersteht. 1693 kommt es zum Bruch, als Papin die Kirchenbank eines Nachbarn, mit dem er im Streit liegt, kurzerhand von ihrem Platz entfernt. Den an sich nichtigen Anlass nutzt Gautier, um Papin für mehr als ein Jahr vom Abendmahl auszuschließen. Erst als dieser mit seinem Abschied von der Universität droht, wird der Kirchenbann aufgehoben.
Konflikte wie dieser verleiden Papin zunehmend die Arbeit in Hessen, er fühlt sich von Feinden umgeben. "Der Zustand meiner Verhältnisse", schreibt er an Huygens, "ist nicht so gut, wie man es sich vorstellen könnte. (...) Wenn sich an einer Ihrer Universitäten ein geeigneter Platz für mich findet, so werden Sie zweifellos jedermanns Gefallen erregen, wenn Sie ihn mir verschaffen, insbesondere aber das meinige." Doch weder sein Mentor aus Pariser Tagen noch der langjährige Brieffreund Leibniz können Papin eine Alternative anbieten.
Wissenschaftlich ist die Zeit in Marburg und Kassel jedoch die produktivste des Franzosen, hier reift auch seine spektakulärste Erfindung heran: die Dampfmaschine. Seit den Arbeiten mit Huygens in Paris hat Papin den Gedanken an eine Kraftmaschine nicht mehr aus den Augen verloren. Dass er seine Arbeiten an der Pulvermaschine in Marburg aufgeben musste, fiel ihm angesichts der unkontrollierbaren Wirkung der Pulverentladungen nicht allzu schwer. Längst hatte er ein anderes Medium als Antriebskraft ins Auge gefasst: Wasserdampf. Seinem Freund Leibniz berichtet er 1698 in einem Brief: "Ich habe das kleine Modell eines Wagens gebaut, das sich durch diese Kraft vorwärts bewegt. Doch glaube ich, dass die Unebenheiten und Kurven der Straßen die Vervollkommnung dieser Erfindung sehr schwierig gestalten werden."
Modell und Plände sind verschollen
Gerne wüssten wir mehr über diesen Dampfwagen, doch Modell und Konstruktionszeichnungen gingen verloren. So lässt sich nur mutmaßen, dass er durch eine Weiterentwicklung jener Kolbenmaschine bewegt wurde, deren Beschreibung Papin im Jahr 1690 unter dem Titel "Neue Methode, die stärksten Triebkräfte mit leichter Mühe zu erzeugen" veröffentlicht. Ihr Arbeitsprinzip ähnelt der Pulvermaschine, doch wird der Kolben im Zylinder nicht durch eine Pulverexplosion, sondern durch Wasserdampf angetrieben.
Im Prinzip hat Papin damit die Dampfmaschine erfunden, doch muss bei seinem Modell der Kolben bei jedem Arbeitsgang noch von Hand arretiert werden. Die zyklische und selbsttätige Wiederholung der Arbeitsschritte, ein wichtiges Kennzeichen späterer Maschinen, fehlt noch. Immerhin, der entscheidende Schritt zur maschinellen Nutzung des Wasserdampfs ist getan – was von Fachleuten auch durchaus anerkannt wird: Für James Watt, der ein halbes Jahrhundert nach Papin die Dampfmaschine so entscheidend verbessert, dass sie zum Motor der Industrialisierung Europas werden kann, ist der Franzose das "größte Genie unter den Vätern der Dampfmaschine". Dass nicht der so Gelobte, sondern Watt selbst in vielen populären Abhandlungen bis in die Gegenwart hinein als Erfinder der Dampfmaschine dargestellt wird, passt zum Pechvogel-Image Papins.
In den folgenden Jahren arbeitet Papin intensiv an der Verbesserung seiner Maschine. Konkurrenz aus England stachelt ihn zusätzlich an: Dort hat Thomas Savery 1698 eine Hochdruckdampfmaschine zur Entwässerung von Bergwerken entwickelt. Zwar benötigt man, wie zeitgenössische Spötter angesichts des hohen Brennstoffverbrauchs anmerken, zum Betrieb der Maschine ein eigenes Kohlebergwerk, auch fliegen Savery seine Maschinen mit der gleichen Häufigkeit um die Ohren wie Papin dessen frühe Kochtöpfe. Trotzdem ist Leibniz von Saverys Erfindung so beeindruckt, dass er dem Freund eine Zeichnung derselben zukommen lässt. Als Papin sie dem Landgrafen zeigt, befiehlt der sofort den Bau einer ähnlichen Maschine.
Im Juni 1707 ist es soweit, Papin präsentiert dem Grafen das Ergebnis. Doch der Versuch vor den Augen des Fürsten entwickelt sich wieder einmal zu einem Fehlschlag: Handwerker haben ein Steigrohr der Maschine nur unzureichend verkittet. Was folgt, schildert Papin später in einem Brief: "Als es zum Versuch kam, trat das Wasser aus allen Verbindungsstellen. Ganz unten war der Wasserstrahl so stark, dass seine Hoheit sich dahin äußerte, der Versuch könne nicht gelingen." Zwar schafft es die Maschine mehrmals, Wasser in ansehnliche Höhe zu pumpen, das Rohr platzt jedoch, ehe die Demonstration abgeschlossen ist.
Ableben ohne Notiz
Papin hält den Versuch dennoch für gelungen, sein fürstlicher Gönner hingegen sieht sich einmal mehr darin bestätigt, dass sein oberster Physiker ein notorischer Pechvogel ist. Ein neues Steigrohr, das der Landgraf zunächst bewilligt, wird dem Forscher wieder weggenommen und für andere Experimente genutzt. Der quittiert diesen Affront mit der oft angedrohten Kündigung, die diesmal angenommen wird. Am 24. September 1707 geht Papin an Bord des schon vor längerer Zeit gebauten Schaufelradboots und verlässt Kassel auf der Fulda. "Man wird also bald sehen, dass es leicht sein wird, nach diesem Modell andere Schiffe herzustellen, wo man die Dampfmaschine ganz bequem einbauen kann", hatte der Erfinder zuvor noch hoffnungsvoll an seinen Freund Leibniz geschrieben. Das Ende der Reise ist bekannt.
Der Zwischenfall in Münden kostet Papin zwar sein Schiff, nicht aber die Hoffnung auf ein neues Leben in England. Er setzt die Reise fort, um in London erneut in die Dienste der Royal Society einzutreten – und um Geldgeber für den Bau einer neuen Dampfmaschine zu finden. Doch seit seinem Weggang aus England vor zwanzig Jahren hat sich vieles verändert, alte Weggefährten Papins sind tot, neue Gesichter bestimmen die Geschicke der Royal Society. Allen voran ihr Präsident Isaac Newton, den seit dem Streit um die Entwicklung der Infinitesimalrechnung eine herzliche Abneigung mit Leibniz verbindet.
Und ausgerechnet diesem Gremium präsentiert Papin ein ausführliches Empfehlungsschreiben des Deutschen – der nächste Rückschlag ist damit vorprogrammiert. Eine Anstellung oder gar Geld für neue Entwicklungen wird ihm nicht zuteil, stattdessen muss er sich mit gelegentlichen Vorträgen über Wasser halten. Und selbst dabei verfolgt ihn sein schlechter Stern. Als er der Royal Society ein neuartiges Sicherheitsschloss vorführen will, das selbst von geübten Schlossern nicht zu knacken ist, zerschlägt einer der herbeigeholten Handwerker im Zorn das Vorführobjekt. Eine erneute Präsentation bleibt ohne Resonanz, ebenso wie Papins Vorschläge für einen neuen Ofen oder sein Plan für ein Gewächshaus.
Das letzte Lebenszeichen von Papin selbst ist der eingangs zitierte Brief an den Sekretär der Royal Society. Einmal noch hören wir von ihm, als der Name Papin auf einer Honorarliste der Royal Society vom Oktober 1712 auftaucht. Doch möglicherweise ist er zu diesem Zeitpunkt bereits tot: Denis Papin stirbt irgendwann im Jahr 1712, ohne dass die Welt von seinem Ableben überhaupt Notiz nimmt.
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