Fett und Cholesterin: Die Vollmilch macht's
Das Frühstücksei ist gerettet! Zumindest für den US-Bürger. Denn in der neuesten Fassung der US-Ernährungsleitlinien wurde die Obergrenze für Nahrungscholesterin aufgehoben. Ob ein Nahrungsmittel wenig Cholesterin enthält oder besonders viel – Stichwort: Eierfrühstück –, habe auf die Cholesterinmoleküle im Blut kaum einen Einfluss, urteilten zumindest die US-Experten. Darum flog die altgediente Empfehlung jetzt aus den Leitlinien.
Dasselbe gilt für den Grenzwert für Fett im Allgemeinen. Auch er wurde abgeschafft. Bis vor Kurzem lag er bei maximal 30 Prozent der täglichen Kalorienzufuhr. Nun darf es auch ruhig ein bisschen mehr sein. Allerdings nur von bestimmten Fetten: Fisch- und Pflanzenfette gelten als gesund; gesättigte Fette hingegen, wie sie vor allem in Milchfett und Speck oder Schmalz vorkommen, werden von der neuen Leitlinie keineswegs rehabilitiert. Sie sollten nach wie vor maximal zehn Prozent der Energiezufuhr ausmachen.
In diesem Punkt decken sich die US-Empfehlungen mit denen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). »Auch wir sagen, dass es vor allem auf die Fettqualität ankommt. Gesättigte Fette sollten durch mehrfach ungesättigte ausgetauscht werden«, erklärt DGE-Referentin Silke Restemeyer. Das geht, indem man etwa anstatt Schweinebraten ein Lachsfilet isst oder Nüsse als Snack knabbert und dafür die Schokolade links liegen lässt.
Anders als die Verfasser der US-Ernährungsempfehlung halten die deutschen Experten außerdem an der Beschränkung der Cholesterinaufnahme fest. Denn dessen Wirkung auf das Cholesterin im Blut sei zwar gering, aber nicht vernachlässigbar. Gleiches gilt für die 30-Prozent-Fett-Obergrenze. DGE-Referentin Restemeyer erklärt: »Eine Ernährung mit hohem Fettgehalt, die die gesamte Kalorienzufuhr nicht beachtet, begünstigt eine überhöhte Energieaufnahme.« Schließlich liefert ein Gramm Fett neun Kilokalorien, dieselbe Menge Eiweiß oder Kohlenhydrate nur vier.
Ratschläge im Widerspruch zur Studienlage
In der Praxis kann es jedoch oft anders aussehen. So sprechen einige Studien dafür, dass Fett als Geschmacksträger besser sättigt und Menschen bei fettreichen Diäten weniger essen. Neuere epidemiologische Studien konnten ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen einer fettarmen Ernährungsweise und der Verhinderung von Übergewicht oder anderen Leiden wie Herzkrankheiten, Schlaganfall, Diabetes oder Krebs belegen.
Besieht man sich die Datenlage zu den verpönten gesättigten Fettsäuren, entsprechen zudem weder die US- noch die DGE-Richtlinien dem aktuellen Wissensstand. So fand etwa Russell de Souza, Epidemiologe an der kanadischen McMaster University, im August 2015 heraus: Die Menge an gesättigten Fetten in der Nahrung erhöht bei Gesunden weder das Risiko für Herzkrankheiten oder Typ-2-Diabetes noch für die Gesamtsterblichkeit. »Zahlreiche Studien belegen, dass es keinen Vorteil bringt, wenn man gesättigte Fette meidet«, sagt Arne Astrup, Wissenschaftler an der Universität Kopenhagen.
Immerhin könnte die DGE demnächst ihre Empfehlung für Milch und Milchprodukte ändern, dafür plädiert zumindest Bernhard Watzl, Präsidiumsmitglied der DGE und Ernährungswissenschaftler am Max Rubner-Institut. Normalgewichtige sollten seiner Meinung nach lieber zu Vollmilch greifen. Bis dato wird allen Bürgern, schon den Kleinsten, empfohlen, Milch nur in der Variante mit 1,5 Prozent Fett zu konsumieren. Die Argumentation: Milchfett besteht bis zu 70 Prozent aus gesättigten Fettsäuren, und die würden das LDL-Cholesterin und Triglyzeride im Blut erhöhen. Und das gilt als riskant für die Herzgesundheit.
Fettarme Milch erweist sich als kontraproduktiv
»Doch diese Schlussfolgerung hat sich als zu voreilig erwiesen«, meint Astrup. Ein entsprechender Zusammenhang fand sich nicht in allen Studien. Gleichzeitig gibt es Hinweise, dass Vollmilchfans sogar seltener an Herzkrankheiten leiden. Das liegt einmal daran, dass Milchfett auch das »gute«, das HDL-Cholesterin im Blut ansteigen lässt. Zudem weiß man, dass Milchkonsum nicht den Anteil der kleinen LDL-Partikel vom Typus »small dense« erhöht, welche wesentlich aggressiver sind als die größeren, fluffigen LDL-Moleküle. Sie werden leichter oxidiert und hängen sich eher an die Arterienwand an.
Der Rat zu fettarmen Milchprodukten könnte die Übergewichts- und Diabetesepidemie angeheizt haben
»Wahrscheinlich ist aber auch die Fettzusammensetzung der Milch von Bedeutung«, sagt Ronald Krauss, Wissenschaftler an der University of California in Berkeley. Vor allem kurz- und mittelkettige Fettsäuren wie die Butter- oder Palmitinsäure schwimmen in der Milch. Es gibt Hinweise, dass etwa ein Abkömmling der Palmitinsäure einen günstigen Einfluss auf den Fett- und Zuckerstoffwechsel hat. Rund 400 Fettsäuren tummeln sich in der Milch, das Muster kann sich je nach Produkt erheblich unterscheiden. So fand man etwa in klinischen Studien, dass Biomilchkonsum das Gesamtcholesterin im Blut sogar absenkt.
Schließlich dürfen Kühe vor allem im Biolandbau ausgiebig grasen, weshalb in ihrem Pansen mehr Omega-3-Fettsäuren entstehen sowie mehr konjugierte Linolsäuren (CLA). In Biomilch fand Ton Baars, Agrarwissenschaftler am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FibL), ein Drittel bis doppelt so viel Linolensäure, eine Omega-3-Fettsäure, wie in konventionell erzeugter Milch. Linolensäure senkt bewiesenermaßen den LDL- und Gesamtcholesterinspiegel. Konjugierte Linolsäuren sind dagegen entzündungshemmend und verhindern die Bildung gefährlicher Plaques in den Gefäßen – beides beugt Herzkrankheiten vor. Obendrein bildet die Kuh beim Käuen von Gras mehr Phytansäure in ihrem Pansen. Zumindest in Zellkultur beeinflusste diese Substanz den Fett- und Glukosestoffwechsel günstig.
Buttercreme versus Sahnehäubchen
Dabei scheint es nicht egal, in welcher Form Milch auf den Tisch kommt. Milchfett liegt nämlich als Fetttröpfchen vor, dieses wird von einer Membran, bestehend aus Phospholipiden sowie Peptiden, zusammen- und so in Lösung gehalten. Butter liefert etwa nur halb so viele Membranteilchen wie Sahne. Denn: Beim Buttern werden die Hüllen mechanisch zerstört und größtenteils mit der Buttermilch abgetrennt. Nur die Fettsäuren verbleiben in der Butter. So fand ein Team um Fredrik Rosqvist von der Universität Uppsala im Jahr 2015, dass allein Butterfett die Cholesterinwerte im Blut von Probanden erhöhte, nicht aber die Sahnehaube auf dem Kuchen.
»Vermutlich konterkarieren die Membranmoleküle die Wirkung der gesättigten Fettsäuren auf den Cholesterinspiegel im Blut«, meint Rosqvist. Tierstudien legen nahe, dass Phospholipide aus der Milch Gene in der Leber aktivieren, die das LDL absenken. Auch Käse hat wohl weniger Einfluss auf den Cholesterinspiegel als Butter. Obendrein beeinflusst die Fermentation durch Bakterien etwa in Jogurt, mild gesäuerter Butter, Kefir, Buttermilch oder Käse das chemische Gemisch erheblich. »Welche Milchprodukte besonders gesund sind, ist aber noch nicht ausreichend genug erforscht, um schon Empfehlungen zu geben«, sagt Krauss.
Sicher ist, dass Eiscreme und Pizzakäse nicht dazu gehören. Allerdings essen US-Amerikaner Milch und Milchprodukte vor allem in dieser Form, während Europäer aus einer ganzen Palette verschiedener Produkte wählen. Auch dies könnte die widersprüchliche Studienlage zu Milchfett und dessen Einfluss auf Krankheiten erklären. So waren in einigen US-Studien, die negative Effekte für Milch offenbarten, Probanden mit hohem Milchfettkonsum eher Raucher und Bewegungsmuffel.
Dagegen gehen beispielsweise in der europäischen EPIC-Studie mit 35 000 Teilnehmern die Fettmarker für Milch im Blut mit einem geringeren Risiko für Diabetes einher sowie mit einer höheren Glukosetoleranz und weniger Leberfett. Zudem belegen die meisten Studien, dass der Konsum fettarmer Milch zu einer Gewichtszunahme bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen führt, während Vollmilch keine Folgen für die schlanke Linie hat. Vollmilch senkt zudem das Risiko, am metabolischen Syndrom zu erkranken.
Der Rat, fettarme Milchprodukte zu essen, könnte also sogar die Übergewichts- und Diabetesepidemie der letzten Jahre angeheizt haben. »Vermutlich kompensieren Menschen die niedrigere Kalorienzufuhr durch mehr Essen, oder sie essen dafür zuckerhaltige Snacks«, schrieb David Ludwig, Ernährungswissenschaftler an der Harvard University, bereits vor drei Jahren in einem Kommentar in der Fachzeitschrift »JAMA Pediatrics«. Er spricht sich ebenso wie Ton Baars eindeutig für den Konsum von Vollmilch aus.
Industrielle Trans-Fettsäuren bleiben gefährlich
Im Kuhpansen entstehen zudem rund vier Prozent Trans-Fettsäuren wie die Vaccensäure, die ebenso in die Milch gelangt. Auch diese scheinen gesund zu sein, weil sie im Körper in konjugierte Linolsäuren umgewandelt werden. Verwechseln darf man diese nicht mit den als eindeutig gesundheitsschädlich geltenden industriellen Trans-Fettsäuren, wie sie in Pommes, Croissants, Erdnussflips oder Krapfen stecken. Sowohl die US-Leitlinie als auch die DGE-Empfehlungen raten, diese Fette möglichst zu meiden. Ein Grenzwert von einem Prozent der täglich aufgenommenen Kalorien sollte nicht überschritten werden. Laut der Fettleitlinie der DGE erhöhen industrielle Transfette nachweislich die Cholesterin- und Blutfettwerte und das Risiko, sich eine Herzkrankheit zuzuziehen. Kürzlich berechneten Forscher, dass ein Verbot von industriellen Trans-Fettsäuren allein in England 7000 Menschen vor einer Herzkrankheit bewahren und rund 3000 das Leben retten würde.
Dass ein Verbot dieser Fettsäuren hilft, hat Dänemark gezeigt. Starben im Jahr 2003 noch 360 pro 100 000 Dänen an Herzkrankheiten, so waren es 2012, neun Jahre nach dem Verbot, nur noch 211. Neuere Studien liefern auch Hinweise, dass die Fettsäuren möglicherweise Aggressivität verstärken und das Gedächtnis schwächen. Wegen der Datenlage forderte die EU-Kommission kürzlich einen Grenzwert für diese Fette in Industrieprodukten. Vor allem in Ländern wie Polen oder Schweden sind Transfette ein Problem. Das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) gibt indes für Deutschland Entwarnung, da die derzeitige Trans-Fettsäureaufnahme hier zu Lande gesundheitlich unbedenklich sei.
Denn große Lebensmittelhersteller wie Nestlé und Unilever haben schon lange auf die Hinweise aus der Forschung reagiert. In Margarine stecken heute darum kaum noch Transfette, weil Öle in schonenderen Verfahren verändert werden. Früher waren 25 Prozent Trans-Fettsäuren normal, heute sind es weniger als zwei Prozent, wie Tests belegen. Und auch in Aufstrichen wie Nugatcremes oder Erdnussbutter wurden so genannte »teilweise gehärtete Öle« vielfach durch Palmöl ersetzt. Das ist vom gesundheitlichen Standpunkt aus weniger bedenklich – umso mehr allerdings vom ökologischen.
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