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Dünnschnabelbrachvogel: Europas erste kontinentale Vogelart der Neuzeit ausgestorben

Der Dünnschnabelbrachvogel gilt offiziell als ausgerottet. Damit verschwand zum ersten Mal seit Beginn der Neuzeit eine Vogelart komplett aus Europa, Nordafrika und Westasien.
Zwei ausgestopfte braun-weiß-beige Vögel liegen auf einem weißen Hintergrund. Sie haben lange, gebogene Schnäbel. Ihre Augen wurde durch weißen Stoff ersetzt
Es gibt ihn wohl nur noch im Museum: den Dünnschnabelbrachvogel, der einst von den Steppen Osteuropas nach Süden zog.

Seit 1995 hat niemand mehr einen Dünnschnabelbrachvogel (Numenius tenuirostris) sicher nachgewiesen: weder in seinen Brutgebieten, den Waldsteppen und Steppen Kasachstans und Russlands, noch in den europäischen Rastgebieten während des Vogelzugs oder in den Überwinterungsregionen in Nordafrika und Westasien. Ein Team um Alex Bond vom Natural History Museum hat die Art daher in einer Studie als ausgestorben deklariert. Der Dünnschnabelbrachvogel wäre damit nach dem Riesenalk und dem Kanaren-Austernfischer die dritte europäische Vogelart, die seit der Neuzeit durch Menschenhand verschwand – und die erste, die auf dem Festland heimisch war.

Die Arbeitsgruppe hat dazu alle Museumsexemplare, Fotos und Berichte über den Brachvogel seit dem späten 19. Jahrhundert ausgewertet, um herauszufinden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Art bis zum heutigen Tag überlebt hat. Nachdem die Vögel in ihrem letzten verbliebenen, wichtigen Überwinterungsgebiet in Marokko nach 1995 nicht mehr aufgetaucht sind, gab es auch mehrere intensive Suchexpeditionen in die potenziellen Brutgebiete, die jedoch ebenfalls keinen Nachweis brachten: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,6 Prozent sei die Art daher ausgestorben, schreiben die Forscher.

In der Region leben mit dem Großen und dem Regenbrachvogel zwei ähnliche Watvögel. Viele potenzielle Sichtungen nach 1995 gingen daher nach Angaben von Bond und Co auf Verwechslungen zurück. Dünnschnabelbrachvögel waren wahrscheinlich nie sehr häufig, was sie für menschliche Störeinflüsse besonders anfällig machte. Die Art hatte beispielsweise ein ungewöhnliches Zugverhalten, das sie von den zentralasiatischen Steppen über den Balkan und Italien nach Nordafrika führte: Regionen, in denen Zugvögel intensiv bejagt werden. Viele Museumsexemplare stammen von italienischen Jägern. Veränderte Landwirtschaft im Brutgebiet wirkte sich wahrscheinlich ebenfalls negativ aus, etwa wenn Weideland in Äcker umgewandelt oder Viehhaltung intensiviert wurde.

Das 1995 aufgenommene Foto eines Dünnschnabelbrachvogels ist damit wohl der letzte Beleg der Art. Doch Bond und Co fürchten, dass dem Watvogel weitere Spezies der so genannten westlichen Paläarktis folgen könnten. Sie umfasst Europa, das westliche Asien und Nordafrika. Stark bedroht ist hier zum Beispiel der Seggenrohrsänger aus dem östlichen Mitteleuropa, von dem nur wenige tausend Individuen überdauern.

  • Quellen
Ibis 10.1111/ibi.13368, 2024

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