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Astrophysik: Ein riesiges X in unserer Milchstraße

Der innerste Bereich der Galaxis ist mit einem gigantischen X aus Sternen markiert, wie Forscher herausfanden. Die Struktur erlaubt Rückschlüsse auf die Entwicklungsgeschichte des Milchstraßensystems.
Das X im Herzen der Milchstraße

Manchmal reicht in unserer Zeit ein einzelner Tweet, um ein neues Forschungsprojekt anzustoßen: Dustin Lang vom Dunlap Institute der kanadischen University of Toronto hatte im Mai 2015 eine Aufnahme per Nachrichtendienst Twitter veröffentlicht, die er in mühevoller Arbeit aus den Bilddaten des Infrarotsatelliten WISE zusammengesetzt hatte. Rund 150 Gigapixel, also 150 Milliarden Bildpunkte, musste er verarbeiten, um eine detaillierte Ansicht unseres Milchstraßensystems zu erzeugen. Das Bild sprang Melissa Ness, einer Wissenschaftlerin am Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA), regelrecht ins Auge. Im Umfeld des galaktischen Zentrums im Sternbild Schütze zeigte sich eine riesige x-förmige Struktur aus Sternen, nach der Astronomen schon eine Weile gesucht hatten, sie aber bislang nicht dingfest machen konnten.

Das X im Herzen der Milchstraße | Aus den Bilddaten des Infrarotsatelliten WISE wurde diese Ansicht des zentralen Bereichs unseres Milchstraßensystems zusammengestellt. Das galaktische Zentrum befindet sich in der Bildmitte und ist von einer x-förmigen Struktur aus Millionen von Sternen markiert. Die feinen braunrötlichen Schleier sind Staubwolken in unserer Galaxis.
Das X im Herzen der Milchstraße | Das Zentrum unseres Milchstraßensystems ist von einer riesigen x-förmigen Struktur aus Sternen markiert, wie es die Bilddaten des Infrarotsatelliten WISE ergaben. Auf der Aufnahme sind die zentralen 30 Grad unserer Galaxis sichtbar.

Dieses X befindet sich in der zentralen Aufwölbung unseres Milchstraßensystems, die im Englischen als »Bulge« bezeichnet wird. Die Milchstraße gliedert sich insgesamt in vier wichtige großräumige Einheiten, die Scheibe aus Sternen, die Spiralarme und den Balken, der das eigentliche Zentrum mit den Spiralarmen verbindet. Die vierte Struktur ist die zentrale Aufwölbung, die das Zentrum umgibt und den Balken hervorbringt. In ihr befinden sich überwiegend massearme, langlebige Sterne, die im sichtbaren Licht rötlich gelb leuchten. Sie ordnen sich in der Mitte der Milchstraßenscheibe in einer dreidimensionalen Struktur an, die in ihrer Form an eine ungeschälte Erdnuss erinnert.

Unsere Galaxis in Draufsicht | Von einem hypothetischen Beobachtungsplatz weit außerhalb unseres Milchstraßensystems würde sich unsere kosmische Heimat so dem Auge des Betrachters darstellen. Im Zentrum befindet sich ein Balken aus rötlich gelben Sternen, von dem die Spiralarme ausgehen. Sie bilden mit den Sternen in den Zwischenräumen die galaktische Scheibe. Von der Seite aus betrachtet würde der zentrale Balken eine leicht kastenartige Form mit einer Einschnürung in der Mitte zeigen.

Für die Entstehung des Bulge gibt es zwei konkurrierende Erklärungsansätze: Das eine Modell geht davon aus, dass sie direkt mit dem Wachstum unserer Galaxis zusammenhängt. Dabei vereinnahmt das Milchstraßensystem kleinere Welteninseln aus der Nachbarschaft und verschmilzt mit ihnen. Daraus entsteht dann die längliche Struktur im zentralen Bereich, wo dann die Spiralarme ihren Ursprung haben. Das alternative Modell hingegen nimmt an, dass sich der Bulge als Folge der dynamischen Entwicklung der Milchstraße über Milliarden Jahre hinweg gebildet hat. Es erlaubt konkrete Vorhersagen über die Struktur des zentralen Bereichs.

Die Verteilung der Sterne wird demnach von ihren Bewegungen um das galaktische Zentrum bestimmt. Die Sterne bewegen sich dabei sowohl senkrecht zur galaktischen Hauptebene, wo sich die Scheibe befindet, als auch radial zum Zentrum hin oder weg davon. Dadurch ordnen sich die Sterne in der Summe so an, dass die zentrale Aufwölbung von der Seite aus gesehen – also aus unserer Blickrichtung – leicht eckig erscheint, ähnlich einem Quader mit abgerundeten Ecken und Kanten, und zudem eine Einschnürung in der Mitte aufweist. In dieser kann sich dann, wie nun nachgewiesen, eine x-förmige Struktur ausbilden, deren Kreuzungspunkt im Zentrum unserer Milchstraße liegt, wo sich das zentrale massereiche Schwarze Loch befindet. Melissa Ness vom MPIA äußerte sich dazu folgendermaßen: »Wir sehen die kastenartige Struktur und das darin enthaltene X in den Bildern von WISE sehr deutlich. Der Bulge ist in der Tat durch Entwicklungsprozesse der Sternverteilung unserer Galaxis entstanden.«

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