Bakterien: Ein Problemkeim entwickelt sich
Durchfall ist in unseren Breiten meist eine lästige, aber normalerweise keine gefährliche Krankheit, die nach ein paar Tagen wieder abklingt. Doch in den letzten Jahren mehren sich schwere Fälle, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Die Zahl der Patienten, die wegen Durchfallerkrankungen stationär aufgenommen werden, hat sich in der vergangenen Dekade verdoppelt. Und das liegt vor allem an einem Erreger: dem stäbchenförmigen Bakterium Clostridium difficile. So wurden im Jahr 2000 nur 1300 Patienten mit einer Clostridium-difficile-Infektion in deutschen Krankenhäusern registriert, 2011 waren es dagegen bereits 28 300. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und das Robert Koch-Institut (RKI) haben deshalb schon Alarm geschlagen. Und auch die Europäische Union ist wachsam. Der Keim brachte es sogar schon als Thema zu einer offiziellen Anhörung im Dezember 2014 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.
Normalerweise ist Clostridium difficile ein allgegenwärtiger, harmloser Geselle, der sich unter anderem in Böden und im Wasser tummelt. Zudem besiedelt er den Verdauungstrakt von vielen Säugetieren, Vögeln und Reptilien. Praktisch alle Neugeborenen weisen bereits das Bakterium im Darm auf. Mit zunehmendem Alter verdrängen allerdings weitere Mitglieder der Darmflora den Keim: Nur noch etwa die Hälfte aller Kleinkinder besitzen die Mikrobe, bei Erwachsenen fällt der Anteil sogar weiter auf 0 bis 3 Prozent. Solange die bakterielle Flora und das Immunsystem der Betroffenen intakt sind, bereitet Clostridium difficile jedoch keine Probleme.
Ist die Darmflora jedoch gestört, etwa durch die Einnahme von Breitbandantibiotika oder chronische Darmerkrankungen, bekommt Clostridium die Oberhand. Denn das Bakterium bildet Sporen, denen die Antibiotikatherapie nichts anhaben kann. In der Umwelt können diese bis zu 100 Jahre schlummern; sie keimen schließlich im Darm zu ihrer Stäbchenform aus – angeregt etwa durch Gallensäuren – und bilden Toxine, die die Darmwand reizen oder sogar lähmen.
Ein gefährlicher Krankenhauskeim
Zu schaffen macht der Keim vor allem auch immungeschwächten Patienten, deren Abwehrzellen auf eine Infektion nicht mehr wie gewünscht reagieren. Darum sind häufig Menschen in Krankenhäusern und Altenheimen betroffen. Es kommt dann zu mehr oder weniger starken Durchfällen und Bauchkrämpfen. Der Keim verursacht heute mindestens ein Fünftel der mit Antibiotika assoziierten Diarrhöen. In Deutschland erkranken jährlich rund 5 bis 20 Menschen pro 100 000 Einwohner an einer solchen Infektion, in den USA, wo die jüngste Epidemie begonnen hat, sind es sogar schon 100 pro 100 000. Gerade bei alten Menschen können diese lang anhaltenden, schweren Durchfälle zu Austrocknung führen. Als Komplikationen können Blutvergiftung oder eine ballonartige Ausweitung des Darms auftreten.
Die Patienten müssen häufig auf die Intensivstation; sie werden nun mit Antibiotika behandelt, die nicht der Darmwand zusetzen, wie etwa Metronidazol oder Vancomycin. Allerdings beobachten Ärzte, dass die Erreger immer häufiger auf gängige Antibiotika wie Fluorchinolone nicht ansprechen. In sehr schweren Fällen droht sogar, dass ein Teil des Darms chirurgisch entfernt werden muss. Und bei rund jedem vierten Patienten kommt es zu einem Rückfall. Wenn diese häufiger auftreten, gilt mittlerweile die Stuhltransplantation als Mittel der Wahl. Doch bei schätzungsweise 2000 Menschen jährlich in Deutschland schlagen all diese Bemühungen nicht an – sie sterben an der Infektion.
Neben den "normalen" Stämmen breiten sich zunehmend noch aggressivere Varianten aus, die eine bis zu 20-fach höhere Toxinproduktion aufweisen als die herkömmlichen Erreger. Ins Visier der Gesundheitsämter geriet etwa Clostridium difficile Typ 027: Eine Infektion damit muss seit 2009 an die Behörden gemeldet werden. Warum sich der Erreger in den letzten Jahren womöglich stärker wandelt, ist noch unklar. Genetische Studien zeigten jedoch prinzipiell, dass die Erbanlagen von Bakterien sehr anpassungsfähig sind. Eventuell spielt bei der aktuellen Entwicklung von Clostridium difficile der unbedachte Gebrauch von Antibiotika in der Humanmedizin eine wichtige Rolle: Er übt einen Selektionsdruck auf das bakterielle Genom aus und lässt eher gut angepasste, "widerständige" Varianten überleben, die resistent gegen die Medikamente sind.
Kursieren aggressivere Stämme in der Umwelt?
Immer häufiger betreffen schwere Krankheitsverläufe auch junge, gesunde Menschen – darunter Schwangere und Kinder –, die eigentlich keine Antibiotikatherapie durchgemacht haben und den Keim auch nicht im Krankenhaus aufgeschnappt haben können. Derzeit gelten je nach Statistik 10 bis 27 Prozent der Clostridium-Fälle als im normalen Lebensumfeld erworben. Studien aus den USA belegen, dass starkes Übergewicht und auch das Reizdarmsyndrom in der Durchschnittsbevölkerung Risikofaktoren sind. Auch ein niedriger Vitamin-D-Spiegel im Blut kommt gehäuft bei den Patienten vor. Ob hier ursächliche Zusammenhänge bestehen, ist jedoch nicht klar. "Übergewicht kommt beispielsweise häufig mit Diabetes im Verbund vor. Und dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Antibiotika wegen eines 'diabetischen Fußes' eingesetzt werden", sagt Andreas Stallmach vom Universitätsklinikum Jena. Ursache wäre dann nicht das Übergewicht, sondern die Antibiotikagabe.
Doch wenn der Keim nicht aus dem Krankenhaus oder Pflegeheim stammt, woher dann?, fragen sich derzeit die Wissenschaftler und diskutieren weitere Übertragungswege. Analysen in USA haben beispielsweise ergeben, dass der problematische Typ 078 immer öfter in Rinderherden und Fleisch auftritt. So fand man etwa in 13 Prozent der Gülleproben von Milchkühen das kritische Darmbakterium. In Kanada hat man 20 Prozent der Fleischproben positiv getestet. Und in europäischen Viehbeständen haben Wissenschaftler den Keim ebenfalls schon geortet, wenngleich noch wesentlich seltener. So analysierten österreichische Wissenschaftler im Jahr 2009 Kot und Fleisch von Rindern, Schweinen und Hühnern, doch nur in vier Prozent der Kotproben fanden sich die fraglichen Keime, im Fleisch dagegen nichts. Allerdings bestätigen laut den Forschern diese Ergebnisse, dass Tiere als Reservoir für den Keim dienen können und eine Übertragung über Lebensmittel theoretisch denkbar sei – zumal in Tierbeständen die gleichen Typen vorkommen wie in humanen Stuhlproben.
Niederländische Forscher der Universität Utrecht haben schon potenzielle Übertragungswege aufgedeckt: Landwirte und Veterinäre infizieren sich über direkten Kontakt mit den Tieren. Zudem könnte sich Clostridium difficile über die Luft verbreiten – so fand man den Keim nicht nur im Schweinestall, sondern ebenso im Umkreis bis zu 20 Meter entfernt. Allerdings sei noch völlig unklar, ob das Vieh der Ursprungsort ist – oder selbst von außen infiziert wurde. Schließlich könnten mit dem Erreger infizierte, aber nicht erkrankte Menschen den Keim verschleppen und streuen.
Eine Ansteckung des Menschen über Lebensmittel ist jedenfalls noch nicht bewiesen. "Wir glauben, dass diese Infektionen beim Menschen nicht von Tieren stammen", meint Marjolein Hensgens, Mikrobiologin an der Universität in Leiden. Trotzdem betrachtet Sarah O’Brian, Epidemiologin an der University of Liverpool, die Variante 078 als eine zunehmende Gefahr für die Lebensmittelindustrie. "Es ist noch nicht ganz klar, was das für Konsequenzen hätte für die Industrie, aber wir haben das auf dem Radar", so O’Brian. Bei den Hygienemaßnahmen in der Lebensmittel verarbeitenden Industrie werden vor allem die Sporen nicht abgetötet.
Besonders diese Sporen bereiten den Fachleuten aber Sorgen. Denn normale Desinfektionsmaßnahmen wie alkoholische Händereinigung sind nicht wirksam, Oberflächen und Wäsche müssen gesondert behandelt werden – was wohl nicht immer geschieht, wie eine Studie der Universität Hannover zeigt: Zwar werden in Krankenhäusern Hygienemaßnahmen verschärft, wenn eine solche Infektion diagnostiziert wurde, aber nicht alle Empfehlungen der Fachgesellschaften werden umgesetzt. Dabei wäre gerade dies sehr wichtig. "Schließlich trägt 'mehr Hygiene' neben der gezielten Antibiotikagabe dazu bei, die Herausforderungen dieser Krankenhauskeime zu meistern", meint der Mediziner Lutz von Müller vom Konsiliarlabor Clostridium difficile in Homburg.
Denn vielleicht sehen wir momentan nur die Spitze des Eisbergs: Laut der kürzlich erschienenen EUCLID-Studie, der größten epidemiologischen Studie zu CD-Infektionen mit 428 untersuchten Krankenhäusern in 20 europäischen Ländern, entgehen immer noch jedes Jahr schätzungsweise 40 000 Fälle den Gesundheitsämtern – weil sie gar nicht erkannt und dadurch nicht richtig behandelt werden.
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