Ökosysteme: Eingeschleppte Forellen belasten Rothirsche
In den letzten Jahren ist der Bestand an Wapitihirschen (Cervus elaphus) im Gebiet des Yellowstone-Nationalparks in den USA stark geschrumpft, was eine ganze Reihe an teils dramatischen ökologischen Veränderungen mit sich gebracht hat. Bislang galten vor allem Wölfe als Grund für diesen Rückgang: Seit sie 1995 wieder im Schutzgebiet angesiedelt wurden, haben sie sich erfolgreich vermehrt und machen Jagd auf die großen Pflanzenfresser beziehungsweise bewirkten durch Verhaltensänderungen bei den Hirschen, dass sich zum Beispiel Flussauen wieder teilweise regenerieren konnten. Die Vegetation dort litt zuvor unter Überweidung, was das ganze Ökosystem in Mitleidenschaft zog. Arthur Middleton von der University of Wyoming in Laramie und seine Kollegen fanden allerdings starke Anzeichen dafür, dass wohl noch zwei weitere Arten großen Anteil an dieser Entwicklung hatten: die Amerikanische Seeforelle, auch Amerikanischer Seesaibling genannt (Salvelinus namaycush), und der Grizzlybär (Ursus arctos).
Ursprünglich waren die Seesaiblinge nicht in den Gewässern des Parks heimisch, doch wurden sie dort in den 1980er Jahren ausgesetzt und vermehrten sich in der Folge sehr stark. Mit ihrer Ausbreitung einher ging allerdings der Niedergang der einheimischen Kehlschnittforellen (Oncorhynchus clarkii bouvieri): Im Clear Creek – einer der langjährigen Beobachtungsstellen – brach die Population von rund 60 000 Fischen 1988 auf wenige Dutzend 20 Jahre später ein. Damit verschwand eine der wichtigsten Proteinquellen für viele Raubtiere im Park, da Seesaiblinge sich meist unerreichbar tief im Yellowstone-See aufhalten und auch dort ablaichen, während die Forellen dazu in benachbarte flache Flüsse und Bäche abwandern, wo sie leicht zur Beute wurden.
Betroffen von diesen Verschiebungen sind auch die Grizzlys, die jene Fließgewässer gezielt während der Laichzeit im Frühjahr aufsuchten, um dort kalorienreiche, leichte Nahrung zu erbeuten. Als die Forellenzahlen extrem schrumpften, wandten sich die Bären daher anderen Proteinquellen zu – zumal sie nach der Winterruhe ohnehin ausgezehrt waren und ihre Energiereserven auffüllen mussten. Nach den Erkenntnissen der Biologen um Middleton handelte es sich dabei vor allem um die frisch geborenen Kälber der Wapitis. Die Hirsche wandern im Frühjahr aus ihren tiefer gelegenen Winterquartieren in die Hochlagen des Yellowstone rund um den zentralen See, um dort ihren Nachwuchs zu gebären. Während gegen Ende der 1980er Jahre Bären geschätzte zwölf Prozent des Hirschnachwuchses töteten, legen aktuelle Zahlen eine Steigerung auf rund 40 Prozent nahe.
Diese Zahl ist jedoch nur zu einem geringen Teil auf einen Zuwachs bei den Grizzlys zurückzuführen. Denn im Schnitt erbeutet jeder Bär mittlerweile sieben Kälber – mehr als die Allesfresser früher insgesamt überhaupt an Huftieren erbeuteten. Und statt in jedem 20. finden die Biologen heute in mehr als der Hälfte aller Bärenkothaufen Überreste von Hirschkälbern; vor allem weibliche Grizzlys nutzen diese Alternative statt der Forellen. Zudem hat die Grizzlypopulation innerhalb des Nationalparks ihr Bestandsmaximum erreicht: Es fand also tatsächlich ein Ernährungswandel statt, der nun massiv auf die Hirschbestände drückt.
Folglich sorgten nicht die Wölfe allein für die ökologischen Umwälzungen im Yellowstone, die in den letzten Jahren in Zusammenhang mit den zurückgehenden Wapitizahlen beobachtet wurden. Während die Rückkehr der hundeartigen Karnivoren jedoch als wichtiger Beitrag zur Wiederherstellung natürlicher Nahrungsnetze betrachtet wird, bereitet der Einfluss der Seesaiblinge den Forschern Sorge: Da so viele Tierarten die ursprünglichen Forellen als wichtige Nahrungsquelle nutzten, müssen sie sich durch deren Ausfall generell umorientieren, was nachhaltige und unerwartete Folgen für das gesamte Ökosystem zeitigen dürfte. Die Forschung bleibt vorerst spannend.
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