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Empathie lernen: Ein Training für mehr Mitgefühl

Früher galt: Entweder jemand besitzt ein gutes Einfühlungsvermögen – oder er besitzt es nicht. Doch immer mehr zeigt sich, dass sich vor allem eine Facette von Empathie sehr gezielt trainieren lässt.
Zwei junge Frauen umarmen sich. Die eine sieht traurig aus, die andere spendet Trost.
Empathie macht die Welt zu einem besseren Ort. Die gute Nachricht: Die Gefühle anderer Menschen zu erkennen und Anteil an ihnen zu nehmen, kann man lernen.

Ohne sie wäre die Welt kälter. Egoismus würde sich ungebremst ausbreiten, Gleichgültigkeit gegenüber fremdem Leid würde grassieren. Aber zum Glück ist das nur ein Gedankenexperiment. Denn es gibt sie: Empathie ist die Fähigkeit, die Gedanken, Absichten und Emotionen anderer zu verstehen und selbst nachzuempfinden. Empathie begünstigt prosoziales Verhalten – Handlungen, bei denen es darum geht, anderen zu helfen. Zudem fördert sie Freundschaften und die Zufriedenheit in romantischen Beziehungen. Das sind nur einige der guten Gründe, warum wir mehr Empathie in der Welt brauchen.

Lange Zeit dachten Forscher, das Einfühlungsvermögen eines Menschen sei eine relativ stabile Angelegenheit und lasse sich nicht verändern. Mehr und mehr häufen sich allerdings die Belege dafür, dass Empathie bis zu einem gewissen Grad erlernbar ist und sich üben lässt – besonders eine bestimmte Spielart.

»Es gibt mittlerweile zahlreiche Programme, in denen Empathie trainiert wird«, sagt der Psychologe Marcus Roth von der Universität Duisburg-Essen. Die Frage sei dabei immer: Was genau soll trainiert werden? Denn Empathie hat zwei Facetten. »Bei der kognitiven Empathie geht es um die Fähigkeit, die Perspektive eines anderen einzunehmen, um das Wissen, wie sich der andere fühlt.« Bei der affektiven oder emotionalen Empathie hingegen geht es darum, die Gefühle der anderen in ähnlicher Weise selbst zu erleben: um emotionales »Mitschwingen«.

Früh übt sich, wer mitfühlen will

Manche Empathietrainings setzen schon früh an. Und das mit gutem Grund. Bereits im Vorschulalter entwickeln sich die sozialen und emotionalen Kompetenzen. Sind sie ausgeprägt, können Kinder sichere zwischenmenschliche Beziehungen knüpfen. Gleichzeitig stellen sie einen wichtigen Resilienzfaktor gegen psychische Erkrankungen wie Angststörungen dar, die bereits die Kleinsten betreffen können. Vorschulische Präventions- und Interventionsprogramme zielen daher oft darauf ab, diese Kompetenzen – von denen Empathie ein zentraler Bestandteil ist – zu stärken.

In einer 2023 veröffentlichten Studie stellte ein Team um die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Isabel Dziobek von der Berliner Humboldt-Universität die Effekte eines sechswöchigen Empathietrainings bei Vorschulkindern auf die Probe, das auf einer App basierte. Dabei bekamen sie im Rahmen einer animierten Zirkusvorführung auf dem Tablet beispielsweise Gesichter mit verschiedenen Emotionen zu sehen, die sie korrekt erkennen sollten. Außerdem sahen sie sich Videoclips von Situationen an, die bei einer Person bestimmte Emotionen auslösten. Auch hier sollten die Kinder im Anschluss den Gemütszustand der Person aus dem Video identifizieren. Um die Wirkung des Empathietrainings zu erfassen, befragten die Forscher die Eltern der Kinder mit verschiedenen Fragebögen und testeten außerdem die Fähigkeit der Kleinen, die Perspektive von anderen zu übernehmen und mit ihnen mitzufühlen. Dabei sollten sich diese etwa in eine Puppe hineinversetzen, die Angst vor Hunden hatte. Was würde passieren, wenn die Puppe einem Hund begegnet? Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe verbesserte sich bei der Gruppe, die das Empathietraining absolviert hatte, nach Einschätzung der Eltern das Einfühlungsvermögen. Außerdem zeigten die Kinder mehr prosoziales Verhalten und weniger Verhaltensprobleme nach der Intervention. Im Verhaltenstest gelang es ihnen zudem besser, die Gefühle anderer zu erkennen.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine kleine Studie aus der Türkei. In einem mehrwöchigen Trainingsprogramm nahmen Kindergartenkinder unter anderem an Rollenspielen teil, bei denen sie sich in andere Menschen hineinversetzen sollten. Anschließend sollten sie in einem Test mit Bildern beispielsweise angeben, wie sich eine Person wohl fühlt – glücklich, traurig, ängstlich oder wütend. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe gelang es den Kleinen mit Empathietraining besser, die Perspektive des anderen zu übernehmen: Ihre kognitive Empathie hatte sich demnach verbessert.

Von einem guten Einfühlungsvermögen profitieren nicht nur Kinder und Jugendliche, für die die Beziehung zu Gleichaltrigen einen besonders hohen Stellenwert einnimmt. Auch für Erwachsene ist Feingefühl im Umgang mit anderen Menschen eine wichtige Grundvoraussetzung in vielen Berufen. Das gilt vor allem für Menschen, die in sozialen Berufen oder im Gesundheitssektor arbeiten. So verbessert ein einfühlsames Verhalten von Ärztinnen und Ärzten nachweislich nicht nur die subjektive Zufriedenheit der Patienten, sondern auch den Diagnoseprozess und das Behandlungsergebnis.

Ein Weg, um Empathie jenseits von ausgewiesenen Trainingsprogrammen zu fördern, ist Achtsamkeitsmeditation

Dass es im Erwachsenenalter hilfreich sein kann, seine Empathie zu trainieren, zeigt eine Studie mit Medizinstudenten. Sie nahmen innerhalb einer Untersuchung eines Teams um die Psychologin Caroline Schwartz von der LMU München an einem mehrstündigen Empathietraining mit Personen teil, die darin geschult waren, gewisse Erkrankungen zu Ausbildungszwecken darzustellen. Anschließend sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die vermeintlichen Patienten untersuchen, die etwa psychische Störungen wie Panikattacken simulierten. Dabei wurden die empathiebezogenen Kommunikationsskills der Probanden auf die Probe gestellt – beispielsweise das aktive Zuhören oder das Verstehen der Probleme und der Gefühle der Patienten. Studierende mit dem Empathietraining schlugen sich in solchen Situationen besser und zeigten sich einfühlsamer als Kommilitonen, die kein entsprechendes Training durchlaufen hatten.

Mit Meditation der Empathie auf die Sprünge helfen

Ein Weg, um Empathie jenseits von ausgewiesenen Trainingsprogrammen zu fördern, ist Achtsamkeitsmeditation. Bei dieser Meditationstechnik geht es darum, mit seinen Gedanken im Hier und Jetzt zu bleiben, Empfindungen wahrzunehmen, aber nicht zu bewerten. Untersuchungen zufolge kann das nicht nur dabei helfen, die eigenen Emotionen besser wahrzunehmen und zu deuten, sondern auch die anderer. In einer systematischen Übersichtsarbeit fanden Forscherinnen um Rachael Cheang von der britischen Coventry University im Jahr 2019 Hinweise darauf, dass sich Achtsamkeitsübungen sowohl bei Erwachsenen wie bei Kindern und Jugendlichen positiv auf das Einfühlungsvermögen auswirken können. Das Team weist jedoch darauf hin, dass viele Studien auf dem Gebiet methodisch schwach seien, weshalb bei der Interpretation der Ergebnisse Vorsicht angebracht sei.

Eine Meditationstechnik, die Mitgefühl und eine wohlwollende Haltung gegenüber anderen explizit kultivieren soll, ist die Loving-kindness-Meditation, auch Metta-Meditation genannt (nach dem altindischen metta = Freundschaft). Dabei schicken die Meditierenden zunächst gute Wünsche – etwa Glück, Sicherheit, Gesundheit, Unbeschwertheit – an sich selbst, dann an eine ihnen nahestehende Person, daraufhin an eine Person, der sie neutral gegenüberstehen, danach an eine als schwierig empfundene Person und schließlich an sämtliche Lebewesen. Laut Studien ist auch die Loving-kindness-Meditation dazu geeignet, das Empathievermögen einer Person zu steigern. Allerdings kann sie zugleich unangenehme Gefühle wie Schuld verstärken.

Emotionales Mitschwingen lässt sich nur schwer lernen

Bislang nehmen viele Trainingsprogramme vor allem die kognitive Empathie in den Blick, also die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme. Lässt sich das aktive Miterleben von Emotionen ebenfalls trainieren? Forscher um den Psychologen Jamil Zaki von der Stanford University testeten dazu zwei Ansätze. Sie wollten herausfinden, ob es gelingt, bei Menschen mehr Mitgefühl mit obdachlosen Personen zu wecken. Einen Teil ihrer Probanden baten sie, sich vorzustellen, wie es wäre, selbst ohne Heim dazustehen. Dazu sollten die Teilnehmer einen Text lesen, in dem beschrieben wurde, wie sie sich die Miete nicht mehr leisten konnten und schließlich auf der Straße landeten. Die andere Hälfte der Versuchspersonen bekam über eine VR-Brille sozusagen am eigenen Leib zu spüren, wie es ist, die Wohnung zu verlieren. Im Anschluss gaben die Teilnehmenden beider Gruppen an, sich empathischer und mehr mit Obdachlosen verbunden zu fühlen als Personen einer Kontrollgruppe, die einfach nur statistische Informationen über Obdachlosigkeit erhalten hatten. Das zeigte sich direkt nach der Intervention und auch noch acht Wochen später.

Ein Problem solcher Studien zur affektiven Empathie ist allerdings, dass unklar bleibt, inwieweit man den Angaben der Versuchsteilnehmer wirklich vertrauen kann. Kognitive Empathie lasse sich vergleichsweise leicht messen, sagt der Duisburger Psychologe Marcus Roth. »Indem man testet, wie Probanden Gesichtsausdrücke lesen können oder wie genau sie einschätzen, was ein Mensch in einer bestimmten Situation fühlt.« Die affektive Komponente könne man hingegen schlecht erfassen. Hier müsse man sich auf die Aussagen der Probanden verlassen. »Wenn jemand sagt, er leide stark mit, hat man keine wissenschaftlichen Kriterien dafür, ob das stimmt oder nicht. Außerdem weiß man als befragte Person gar nicht, was der Standard ist: wie andere Menschen mitleiden. Man selbst empfindet vielleicht, dass man wahnsinnig mitleidet, weil man an seinem persönlichen Maximum angekommen ist. Aber absolut gesehen ist das Mitleid gering.«

»Man kann sich nicht einfach dafür entscheiden, mitzuleiden«Marcus Roth, Psychologe

Roth geht davon aus, dass sich affektive Empathie grundsätzlich weniger gut trainieren lässt als kognitive. »Was man trainieren kann, ist der kognitive Perspektivenwechsel.« Empathie werde meist bei Menschen geübt, die Schwierigkeiten haben, sich in andere hineinzuversetzen. »Sie sollen dann beispielsweise lernen, was es bedeutet, wenn ein Gegenüber weint«, schildert der Psychologe. Das emotionale Mitschwingen könne man hingegen kaum trainieren. »Affektives Mitfühlen läuft automatisch ab, darüber hat man keine Kontrolle.« Man könne zwar entscheiden, ob man sich in den anderen hineinversetzen möchte. »Doch man kann sich nicht einfach dafür entscheiden, mitzuleiden«, sagt Roth. Immerhin werde die affektive Empathie zumindest mit stimuliert, wenn man beschließe, sich kognitiv mit der Gefühlslage des anderen auseinanderzusetzen.

Die Berliner Psychologin und Neurowissenschaftlerin Isabel Dziobek sieht das ähnlich. Es sei äußerst schwierig, die affektive Empathie zu verbessern. Das zeige sich insbesondere bei Menschen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung oder mit Psychopathie, an denen man solche Empathietrainings vorwiegend getestet hat. »Für emotionale Empathie benötigt man zunächst einmal selbst ein emotionales Erleben, das man dann auf andere richtet«, erklärt Dziobek. Und genau das sei bei Personen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung und Psychopathie abgeschwächt. So haben etwa Menschen mit stark ausgeprägter Psychopathie weniger Angst als gesunde Menschen. In Studien habe man beispielsweise versucht, mit Meditation das Mitgefühl für andere Menschen zu steigern. Dabei sollen sich die betreffenden Personen Babys, Haustiere oder Menschen vorstellen, die sie mögen. Anschließend sollen sie das Gefühl konservieren und auf andere Menschen übertragen. »Das klappt im Fall von Psychopathen aber kaum«, berichtet die Expertin.

Schritt für Schritt den Perspektivenwechsel erleichtern

Anders sieht es bei der kognitiven Empathie aus. Sie lässt sich Studien zufolge durch Empathietrainings durchaus verbessern. Die Perspektivenübernahme zu üben, kann zum Beispiel für Autistinnen und Autisten hilfreich sein, denen es in der Regel vor allem Schwierigkeiten bereitet, die Gedanken, Absichten und Gefühle anderer Menschen zu verstehen. »Sie haben Probleme mit der Emotionserkennung und der kognitiven Empathie«, sagt Isabel Dziobek. Das Mitfühlen und emotionale Mitschwingen mache ihnen hingegen nicht unbedingt Schwierigkeiten. Deshalb versuche man, bei den Betroffenen vorwiegend bei der kognitiven Empathie anzusetzen und nicht bei der affektiven.

Im Rahmen solcher Trainings können auch die unterschiedlichen sozialen Regeln, die für Gefühle in verschiedenen Situationen gelten, ein Thema sein. »Begegnet man jemandem zufällig im Zug, wird diese Person weniger offen und stark ihre Gefühle zeigen, als wenn man etwa zu Hause die eigene Mutter trifft«, schildert Dziobek. Kenne man solche Regeln, könne man andere Menschen besser verstehen. »Außerdem trainieren wir in Studien das Erkennen der eigenen Gefühle«, berichtet die Forscherin. Denn wenn man die eigenen Emotionen besser verstehe, könne man auch die Gefühle anderer besser nachvollziehen.

Dziobek hat ein digitales Training entwickelt, das bei erwachsenen Autisten nachweislich die Fähigkeit verbesserte, Emotionen vom Gesicht des Gegenübers abzulesen und sich in andere hineinzuversetzen. Außerdem hat sie mit Kollegen eine App untersucht, mit der autistische Kinder ihre Empathie trainieren können. Direkt nach dem sechswöchigen Training nahm das Einfühlungsvermögen der Fünf- bis Zehnjährigen messbar zu. Der Effekt verschwand allerdings bei der Nachbeobachtung drei Monate später. »Um Empathie langfristig zu steigern, muss das Training wahrscheinlich länger durchgeführt werden«, erklärt Dziobek. »Und es sollte darauf geachtet werden, das Gelernte in den Alltag zu überführen.«

Leider gebe es bislang nur wenig Längsschnittstudien, die auch danach schauen, wie nachhaltig die Effekte von Empathietrainings sind, beklagt die Expertin. »Ich gehe aber auf jeden Fall davon aus, dass sich Empathie bei Menschen mit Autismus trainieren lässt.«

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