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Ernährung: Cholesterin, weniger böse als gedacht?

Zu viel Cholesterin im Essen soll krank machen. Eine fettreiche Ernährung erhöht demnach das Herzinfarktrisiko, man solle sie meiden, heißt es. Dabei gibt es berechtigte Zweifel an der Behauptung.
Fettiges Essen wie Pizza sollen Menschen mit hohem Cholesterinspiegel meiden, heißt es.

Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs starben in den USA viele wohlhabende Geschäftsleute am Herzinfarkt. Schockiert von den sich häufenden Todesanzeigen in der Lokalzeitung beschloss der Physiologe Ancel Keys, der Sache nachzugehen. Seine Erkenntnisse sollten die Ernährung der Menschen grundlegend verändern.

Keys fragte sich, warum hochrangige US-Führungskräfte, die Zugang zu gehaltvollem Essen hatten, viel häufiger koronare Herzkrankheiten bekamen als Menschen im Nachkriegseuropa, wo die Lebensmittel knapp waren. Könnte es einen Zusammenhang zwischen Fett in der Ernährung und Herzerkrankungen geben? Begeistert präsentierte Keys seine Hypothese 1955 auf einer Tagung der Weltgesundheitsorganisation. Sechs Jahre später prangte sein Gesicht auf der Titelseite des »Time Magazine«. Er forderte die Lesenden auf, fettreiche Lebensmittel wie Milchprodukte und rotes Fleisch zu meiden.

Im Jahr 1958 startete Keys eine Studie, in der er die Ernährung, den Lebensstil sowie die Häufigkeit koronarer Herzerkrankungen von rund 13 000 Männern mittleren Alters in insgesamt sieben Ländern untersuchte – Finnland, Griechenland, Italien, Japan, den Niederlanden, den Vereinigten Staaten und Jugoslawien. Dabei zeigte sich: Der Cholesterinspiegel im Blut und die Sterblichkeit im Fall von Herzinfarkten waren dort am höchsten, wo die Nahrung einen hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren enthielt. Beispielsweise in den Vereinigten Staaten und Finnland. Etwa zur selben Zeit, als Keys seine Studie aufsetzte, identifizierte das Autorenteam der Framingham-Studie einen hohen Cholesterinspiegel als Hauptrisikofaktor für koronare Herzkrankheiten. Dafür wurden mehr als 5000 Einwohner einer Stadt im US-Bundesstaat Massachusetts untersucht.

Auf Grund von Studien wie dieser führte man in den USA und Großbritannien während der 1970er und 1980er Jahren umfassende Ernährungsrichtlinien ein. Demnach war es empfohlen, den Anteil von gesättigten Fetten auf etwa zehn Prozent der Gesamtenergiezufuhr zu reduzieren, um den Cholesterinspiegel und damit das Herzinfarktrisiko zu senken. Eine fettarme Ernährung gilt seither als gesund.

Doch dem stimmen nicht alle zu. Uffe Ravnskov, ein dänischer Forscher im schwedischen Lund, bezweifelt den Zusammenhang zwischen Nahrungsfetten, Cholesterin und koronaren Herzerkrankungen. Er bezeichnet ihn gar als »größten medizinischen Skandal der Neuzeit«. Kritiker wie Ravnskov behaupten, die Daten in Keys' Sieben-Länder-Studie seien so ausgewählt worden, dass sie zu dessen Schlussfolgerungen passten. So hat Keys beispielsweise keine Daten aus Frankreich einbezogen, wo trotz fettreicher Ernährung vergleichsweise wenig Herzerkrankungen auftraten. Ravnskovs internationales Netzwerk der Cholesterinskeptiker, dem rund 100 Mitglieder – darunter einige Kardiologen – angehören, sagt, aus Angst um ihr Herz würden Millionen von Menschen zu einer »langweiligen und geschmacklosen Ernährung gedrängt«.

»Bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten machten die Cholesterinwerte keinen Unterschied«
Robert DuBroff, Kardiologe

Einen Zusammenhang zwischen fettreicher Kost und Herzkrankheiten hielt Robert DuBroff, Kardiologe an der University of New Mexico, einst für gegeben. Aber vor etwa 15 Jahren bemerkte er, dass in der wissenschaftlichen Literatur Artikel auftauchten, die dieses Dogma kritisierten. Die Debatte veranlasste ihn, die Framingham-Studie erneut zu untersuchen. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass die Cholesterinwerte der Menschen, die an einer koronaren Herzkrankheit erkrankten, und derjenigen, die gesund blieben, so gut wie identisch waren. Es sei denn, das Gesamtcholesterin war entweder außergewöhnlich hoch (mehr als 380 Milligramm pro Deziliter) oder niedrig (weniger als 150 Milligramm pro Deziliter). »Bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten machten die Cholesterinwerte keinen Unterschied«, sagt DuBroff.

Verwirrung um Cholesterin

Wenn man davon spricht, dass Cholesterin Herz-Kreislauf-Probleme verursacht, ist nicht das Fettmolekül selbst der Übeltäter, sondern es sind die Proteine, die das Cholesterin von und zu den Zellen transportieren. Grob geordnet gibt es zwei Typen: das High Density Lipoprotein (HDL), umgangssprachlich als gutes Cholesterin bezeichnet, und das Low Density Lipoprotein (LDL). Dieses als böses Cholesterin bezeichnete Molekül soll die Arterien verstopfen und das Herzinfarktrisiko erhöhen. Die Unterscheidung in Gut und Böse traf der amerikanische Arzt John Gofman in den 1950er Jahren. Als er das Blutplasma von Menschen analysierte, die einen Herzinfarkt erlitten hatten, stellte er fest, dass ihre LDL-Werte stark erhöht waren, während die HDL-Werte unter der Norm lagen. Seine Cholesterintheorie setzte sich 1984 durch, als eine Studie mit rund 3800 Personen ergab, dass diejenigen mit niedrigeren LDL-Werten offenbar ein geringeres Risiko für einen Herzinfarkt oder eine Bypassoperation hatten.

Die Epidemiologin Jane Armitage von der University of Oxford hält einen Zusammenhang zwischen LDL und Herzerkrankungen für unbestreitbar. Als Beleg verweist sie auf Studien mit Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie. Ursächlich für jene Erkrankung ist eine Mutation in dem Gen, das für das LDL-Rezeptorprotein codiert. Dieses Protein entfernt normalerweise LDL-Cholesterin aus dem Blut. Bei Menschen mit der Krankheit ist es jedoch fehlerhaft. In der Folge haben Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie einen abnormal hohen LDL-Cholesterinspiegel. Sofern sie nicht behandelt werden, ist ihr Risiko, eine koronare Herzkrankheit zu entwickeln, um bis zu 13-mal höher als bei Menschen ohne diese Mutation.

Das Aufkommen von Statinen – also Medikamenten, die das LDL senken, indem sie die Cholesterinproduktion in der Leber hemmen – stärkte die Ansicht, LDL-Cholesterin sei bedeutsam. So zeigte in den frühen 1990er Jahren eine skandinavische Studie, dass das Statin Simvastatin den LDL-Spiegel senkt und das Herzinfarktrisiko reduziert. Seither haben zahlreiche randomisierte klinische Studien gezeigt, dass Statine Herzinfarkte, Schlaganfälle und Todesfälle verringern. In einer Gruppe von 10 000 Menschen mit Gefäßerkrankungen ließen sich mittels der täglichen Einnahme eines Statins 1000 Herzinfarkte, Schlaganfälle und Bypassoperationen an den Herzkranzgefäßen vermeiden. »Angesichts der eindeutigen Beweise ist es geradezu außergewöhnlich, dass Menschen bezweifeln, Statine könnten Leben retten«, sagt Armitage.

Einige Forscher tun dies jedoch nach wie vor. DuBroff argumentiert, die umfangreichen Datensätze, die für die Wirkung der Statine sprechen, habe man nie korrekt validiert. Um das nachzuholen, überprüfte er systematisch 35 veröffentlichte klinische Studien, in denen verschiedene Cholesterinsenker mit Placebos verglichen wurden. Dabei kam heraus, dass die Medikamente das Sterberisiko nicht unbedingt verringern. Dennoch halten die meisten Fachleute die Beweise für Statine im Großen und Ganzen für belastbar. Von Cholesterinsenkern mit anderen Wirkmechanismen wie Fibraten oder Ezetimib könne man dies nicht behaupten, sagt DuBroff. »Wenn das Konzept der Cholesterinsenkung richtig ist«, fragt er, »warum sind die anderen Mittel dann nicht ebenso wirksam beim Verhindern von Infarkten?«

»Eine Korrelation beweist nicht, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt«
Tim Chico, Kardiologe

Korrelation, aber keine Kausalität

Armitage besteht darauf, dass die Cholesterintheorie wissenschaftlich fundiert ist. Es sei aber schwierig, räumt sie ein, aus Ernährungsstudien direkte Rückschlüsse auf Herzkrankheiten zu ziehen. In randomisierten, kontrollierten Studien, die dem Goldstandard entsprechen, werden gesättigte Fette in der Nahrung durch mehrfach ungesättigte Fettsäuren ersetzt, wie sie beispielsweise in Pflanzenöl enthalten sind. Dadurch sinkt der LDL-Cholesterinspiegel im Blut. Merkwürdigerweise führte das in den meisten Studien aber nicht zu einer geringeren Sterblichkeit. Viele andere Ernährungsstudien, die sich mit Herzkrankheiten befassen, sind Beobachtungsstudien. Sie beruhen auf Fragebogen zur Ernährung, die die Teilnehmenden aus ihrem Gedächtnis ausfüllen, und haben folglich ihre Grenzen. »Solche Ansätze geben einen allgemeinen Hinweis darauf, welche Lebensmittel mit Herzkrankheiten in Verbindung stehen«, sagt Tim Chico, Kardiologe an der University of Sheffield in Großbritannien. »Eine solche Korrelation beweist jedoch nicht, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt«, fügt er hinzu.

Die vielen widersprüchlichen Befunde könnten darauf hindeuten, dass gesättigte Fette überbewertet und andere Nahrungsbestandteile, die zur Entstehung von Herzkrankheiten beitragen, möglicherweise übersehen wurden. Vier Jahre bevor Keys auf der Titelseite des »Time Magazine« erschien, äußerte der britische Physiologe John Yudkin die These, die wahre Gefahr für die menschliche Gesundheit sei der Zucker. Damals wurden seine Erkenntnisse weitgehend ignoriert. Im Jahr 2016 kam jedoch heraus, dass einflussreiche Forschungsarbeiten aus den 1960er Jahren, die die Rolle des Zuckers bei koronaren Herzkrankheiten herunterspielten, von der Zuckerindustrie finanziert worden waren.

Kurz nach dieser Enthüllung legten die Ergebnisse der PURE-Studie (Prospective Urban Rural Epidemiology) nahe, nicht eine fettreiche, sondern eine kohlenhydratreiche Ernährung könne das Leben drastisch verkürzen. Die Autoren fanden keinen Zusammenhang zwischen einem hohen Fettkonsum und dem Auftreten von Herzinfarkten oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Im Gegenteil: Die Studie ergab, dass eine Ernährung mit einem hohen Anteil gesättigter Fettsäuren das Schlaganfallrisiko um etwa 20 Prozent senkt. »Neue Daten zeigen, dass nicht das Fett, sondern raffinierter Zucker wahrscheinlich das Hauptproblem in unserer Ernährung ist«, sagt Studienleiter Mahshid Dehghan, Ernährungswissenschaftler am Population Health Research Institute in Hamilton, Kanada. Allerdings stützt sich auch die PURE-Studie auf Fragebogen und unterliegt damit denselben Einschränkungen wie viele andere Beobachtungsstudien.

DuBroff würde sich nicht als absoluten Cholesterinskeptiker bezeichnen. Dem bösen Cholesterin alle Schuld zuzuschreiben, ergebe aber bestenfalls ein unvollständiges Bild. »Sich nur auf LDL zu konzentrieren, ist eine grobe Vereinfachung eines sehr komplexen Krankheitsprozesses«, sagt der Kardiologe. Er weist auf eine von Ravnskov mitverfasste Studie hin, in der Probanden mit den höchsten LDL-Cholesterinwerten länger lebten als jene mit den niedrigsten Werten. Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2019 deuten außerdem darauf hin, dass die Werte einer bestimmten Untergruppe von LDL ein besserer Frühanzeiger für Herzinfarkte sein könnten als die vorhandene Gesamtmenge an LDL. Um die Verwirrung über die Wirkung von Cholesterin zu klären, müsse man weiter forschen, sagt DuBroff. Auch andere biochemische Mechanismen und Ernährungskomponenten könnten Herzkrankheiten verursachen, etwa Insulinresistenz und Entzündungen.

Obwohl Kritiker sein Lebenswerk in Frage stellten, schien der Ansatz für Keys zu funktionieren. Er starb 2004 im Alter von 100 Jahren, nachdem er sich die meiste Zeit des Lebens an eine Mittelmeerdiät gehalten hatte. Viel Olivenöl, stärkehaltige Lebensmittel und Gemüse, wenig gesättigte tierische Fette – das empfiehlt auch Chico seinen Patienten. Er findet es zudem okay, wenn sie auf Nudeln verzichten und ihre Ernährung zudem kohlenhydratarm gestalten wollen. »Warum muss es immer ein Entweder-oder sein?«, fragt er. »Ich würde mir eine konstruktivere Diskussion darüber wünschen, wie wir die vielfältigen Einflüsse auf Herzkrankheiten angehen, anstatt einen Beliebtheitswettbewerb zu veranstalten.«

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