Gesundheit: Wie Extremwetter krank macht
»Wir sind ziemlich kaputt«, klagt Ralf Bender. In Gummistiefeln waten Ralf und Doris Bender zum Eingang ihres Hauses in Timmersloh, einem kleinen Dorf zwischen Bremen-Borgfeld und dem niedersächsischen Lilienthal. Alle zwei Stunden nachts aufzustehen, um zu schauen, ob noch mehr Wasser kommt und die Pumpen funktionieren, sei anstrengend. Der Vorgarten und die Einfahrt stehen waden- bis knietief unter Wasser – in den Gebieten rund um Wümme und Wörpe ist Land unter.
Wegen der großen Regenmengen ist es auch im Haus der Benders nass. Bisher mussten sie ihre vier Wände noch nicht verlassen, wie die 100 Lilienthaler nur wenige Kilometer entfernt. Aber für den Notfall ist schon alles gepackt. Die scheinbar unaufhaltsam steigenden Wasserpegel haben die Menschen in den betroffenen Regionen zum Teil zutiefst beunruhigt. »Es ist beängstigend«, sagt Doris Bender.
In und um Timmersloh ist so weit noch mal alles gut gegangen. Doch Extremwetterlagen können die menschliche Existenz bedrohen, Körper und Seele krank machen. Und mit dem Klimawandel nehmen solche Ereignisse zu: Das Hochwasser in Norddeutschland über den Jahreswechsel 2023/2024 lässt ahnen, was auf uns zukommen könnte.
Extremwetterlagen – dazu gehören Überschwemmungen, Stürme, Dürren, Brände, Hitzewellen – sind die greifbarsten Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels. In Zahl und Ausprägung hätten sie bereits zugenommen, , wie das Robert Koch-Institut Anfang September 2023 veröffentlichte. Eine weitere Zunahme werde erwartet und mit ihr negative Folgen für die menschliche Gesundheit.
Zukünftig mehr Sturmfluten, Flusshochwasser und Sturzfluten
Auf Platz eins der zehn schwersten Ereignisse in Deutschland seit 1900 steht die Ahrtalkatastrophe am 14. Juli 2021. Beim Jahrhunderthochwasser in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern starben mindestens 197 Menschen, rund 1000 wurden verletzt. Die Wassermassen richteten einen Schaden von etwa 40 Milliarden Euro an.
Mit Blick auf die USA oder Länder in Asien wird dennoch deutlich: »Wir sind in Deutschland, mit Ausnahme der Flut im Ahrtal, bisher relativ wenig von Extremwetter betroffen«, resümiert Carsten Butsch vom Geographischen Institut der Universität Bonn. Doch das wird sich nach aktuellem Kenntnisstand wohl ändern. Beispiel Wasser: Es wird wahrscheinlich zukünftig mehr Sturmfluten, Flusshochwasser und Sturzfluten geben. In Europa werden bis zum Jahr 2100 jährlich geschätzte 3,7 Millionen Menschen von Küstenüberflutungen betroffen sein.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Carsten Butsch durch seine Mitarbeit am Sachstandsbericht »Klimawandel und Gesundheit« gewonnen hat: »Extremereignisse lösen Risikokaskaden aus.« Überflutungen sind ohne Zweifel akut dramatisch. Menschen können ertrinken, durch Stromschläge schwer verletzt werden oder sterben; es gibt Verletzungen durch einstürzende Bauteile, Herzinfarkte durch überfordernde Stresssituationen. »Was dabei aber häufig übersehen wird, ist, dass sich die Ereignisse fortpflanzen und es viele indirekte Risiken auch im zeitlichen Abstand zur eigentlichen Katastrophe gibt«, erklärt Butsch.
Indirekte Folgerisiken werden häufig übersehen
Für ein verbessertes Risikomanagement wünscht sich Butsch eine Datenbank, die zukünftig systematisch alle unmittelbaren und mittelbaren gesundheitlichen Folgen von Wetterkatastrophen erfasst. Was nicht einfach ist, denn die Zusammenhänge sind oft komplex.
Der Zustand von chronisch Kranken, wie Diabetikern oder Herzpatienten, könne sich beispielsweise verschlechtern, weil notwendige Medikamente zeitweise nicht zur Verfügung stehen. In Massenunterkünften für Evakuierte könnten sich Infektionskrankheiten ausbreiten und das Risiko für etwa sexuelle Übergriffe könne dort ansteigen. Auch die gesundheitlichen Auswirkungen bei Helferinnen und Helfern würden häufig übersehen.
Mehr noch als das Wasser wird der Bevölkerung hier zu Lande zukünftig etwas anderes zu schaffen machen: »In Mitteleuropa, auch in Deutschland, wird die Hitze das größte Problem werden«, sagt Elke Hertig, Professorin für Regionalen Klimawandel und Gesundheit an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg. Die Statistik liefert schon die entsprechenden Zahlen: So wurden acht der zehn wärmsten Sommer seit 1881, dem Beginn der Wetteraufzeichnungen in Deutschland, in den letzten 30 Jahren erfasst. Die Durchschnittstemperatur 2023 übertraf alle bisher gemessenen Werte in Deutschland. Wie stark die Temperatur zukünftig ansteigen wird, hängt davon ab, wie sehr es der Menschheit gelingt, den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. Wenn alles so bleibt wie bisher, dem schlimmsten Szenario, steigt die durchschnittliche Temperatur bis 2100 hier zu Lande um bis zu 4,2 Grad Celsius an. Es wird im Durchschnitt 18 heiße Tage mehr geben als in der Zeit von 1971 bis 2000.
Grundsätzlich gefährdet die Hitze alle Personen, vor allem diejenigen, die draußen arbeiten müssen. »Aber am stärksten betroffen werden Menschen sein, deren Körper sich schlechter an die Wärme anpassen kann. Etwa kleine Kinder, Schwangere, ältere Menschen oder solche mit Vorerkrankungen«, sagt Elke Hertig.
Warum Hitze so gefährlich ist
Das liegt an den Mechanismen, mit denen sich der Körper vor Hitze schützt: Das Blut wird bevorzugt in Richtung Peripherie transportiert, um über die Haut Wärme abzugeben. Schweiß kühlt den Körper, indem er verdunstet. Wenn es sehr heiß ist, muss das Herz schneller und kräftiger schlagen. Das kann bei Menschen mit Vorerkrankungen Probleme auslösen. Bei Hitze steigt das Risiko für einen Herzinfarkt. Je nach Szenario rechnen Fachleute wie Elke Hertig zukünftig mit bis zu 150 Prozent mehr Herztoten jährlich durch Hitze.
Themenwoche: Extremwetter
Starkregen, Hitze, Trockenheit – weltweit richtet Extremwetter aller Art immer größere Schäden an. Auch in Deutschland macht der Klimawandel das Wetter seltsam und gefährlich. Doch ab wann ist eine Dürre oder ein Regenguss mehr als nur eine Wetterkapriole? Was macht Extremwetter aus? Womit müssen wir in Zukunft rechnen? Und vor allem: Wie gehen wir mit der neuen Realität um – weltweit und bei uns?
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Krämpfe, Erschöpfung, Hitzschlag – die Liste der akuten, zum Teil lebensbedrohlichen Komplikationen, die auftreten können, ist lang. Hitze kann Frühgeburten auslösen und Nierenerkrankungen verursachen: Bei Menschen, die draußen arbeiten und zu wenig trinken, also chronisch ausgetrocknet sind, ließen sich Vernarbungen an den Nieren beobachten. Manche Medikamente wirken bei Hitze anders oder verursachen Nebenwirkungen. Dazu zählen Mittel gegen Bluthochdruck, Psychopharmaka oder auch Schmerzmittel. Wer schnell wirksames Insulin spritzt, riskiert bei starker Hitze eine Unterzuckerung.
»Hitze kann ernste akute gesundheitliche Folgen haben«, bekräftigt Elke Hertig. Häufig übersehen werde beim Blick auf die Gefahren aber die so genannte Multiexposition, erklärt die Forscherin. An extrem heißen, sommerlichen Tagen steige nicht nur die Temperatur auf ein zum Teil bedenkliches Maß an. Der menschliche Organismus sei dann zusätzlich anderen Stressfaktoren ausgesetzt: mehr UV-Belastung, mehr Luftschadstoffe, mehr bodennahes Ozon, mehr Pollen, mehr Allergene. »Was macht das dann mit den Menschen?«, fragt Hertig, vor allem, weil man die Effekte der einzelnen Faktoren nicht einfach nur zusammenzählen dürfe. Zum Teil befeuerten sie sich gegenseitig noch.
Ozon, Insekten, psychische Belastungen
Elke Hertig beschäftigt sich zusammen mit ihrem Augsburger Team schwerpunktmäßig mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Ozon. »Ozon wird wegen des Klimawandels wieder zunehmen«, sagt Hertig. Das für den Menschen giftige Gas wird fotochemisch aus Stickoxiden gebildet, die sowohl aus menschlichen als auch aus natürlichen Quellen stammen. »Die chemischen Umwandlungsprozesse laufen bei Hitze schneller ab«, erläutert die Forscherin. Ozon sei äußerst gesundheitsrelevant, es reize die Atemwege, löse Kopfschmerzen oder Atembeschwerden aus.
Höhere Temperaturen, Dürren, aber ebenso kräftige Niederschläge und Überschwemmungen können auch Infektionskrankheiten häufiger auftreten lassen, die durch Insekten oder Nagetiere übertragen werden. Seit 2007 haben sich fünf neue Stechmückenarten in Deutschland dauerhaft angesiedelt, darunter drei Wärme liebende Arten wie etwa die Asiatische Tigermücke.
Die Tigermücke gesellt sich zu den knapp über 20 anderen Stechmückenarten in Deutschland, für die es Hinweise gibt, dass sie Krankheitserreger übertragen können. Dazu gehört das West-Nil-Virus (WNV). Im Hitzesommer 2018 meldeten die Behörden den ersten WNV-Fall. Der Betroffene hatte sich die Infektion in Deutschland zugezogen. Im selben Jahr kam es in ganz Europa zu einem großen Ausbruch, mit mehr als 1600 WNV-Infizierten und 166 Todesfällen.
Wetter betrifft den Menschen unmittelbar, Extremwetter erst recht. Belastende Lebensbedingungen verursachen – neben unzähligen körperlichen – außerdem psychische Beschwerden. »Klimawandelbedingte Wetterereignisse und Naturkatastrophen verursachen Schlafstörungen, Stress, Angst, Depression, Posttraumatische Belastungsstörungen und Suizidgedanken«, schreibt das RKI. Studien zeigten, dass bei höheren Temperaturen das Suizidrisiko steige und Hitze zu aggressiverem Verhalten führe.
Vorsorgen, die Resilienz erhöhen
Elke Hertig betont, dass es einen Unterschied gebe zwischen der Belastung, der ein Mensch wegen Extremwetter ausgesetzt sei, und der tatsächlichen Auswirkung auf die Gesundheit. Wer vorsorgt, wer aufeinander aufpasst beziehungsweise vulnerable Menschen im eigenen Umfeld im Auge behält, kann Schaden abwenden.
Die Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, reichen von Verhaltensregeln, die jeder und jede Einzelne befolgen sollte – sich bei Hitze im Schatten aufhalten, die Wohnung kühl halten, genug trinken, helle Kleidung tragen, mit dem Rad nicht entlang der Hauptverkehrsstraße fahren –, bis hin zu strukturellen Verbesserungen: »Wenn sich beispielsweise eine Hitzewelle ankündigt, sollten die Gesundheitseinrichtungen vorbereitet sein und einem Hitzeaktionsplan folgen«, rät Elke Hertig.
»Ein zentrale Botschaft ist, dass Extremwetterereignisse nur dann Katastrophen auslösen können, wenn sie auf eine vulnerable Bevölkerung und/oder eine vulnerable Infrastruktur treffen«, schreiben Forschende im RKI-Bericht zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Extremwetter. Dazu gehöre auch, sich bewusst zu machen, dass die Katastrophenvorsorge nicht nur eine staatliche Aufgabe, sondern massiv auf eine gesunde Sozialstruktur angewiesen sei, sagt Carsten Butsch. Ehrenamtliches Engagement in Vereinen und Organisationen sei hier nicht hoch genug einzuschätzen. Oft seien es bei Katastrophen gerade diese sozialen Netze, die rasch helfend einspringen würden.
Außerdem gelte es, das Handlungswissen in der Bevölkerung zu stärken. Es helfe nichts, wenn eine App meldet, dass Gefahr im Verzug sei. »Ich muss auch wissen, was zu tun ist, wenn das Hochwasser kommt oder die Hitze«, sagt Butsch. In Japan etwa würde in Schulen vermittelt, wie sich die Kinder bei Erdbeben verhalten sollten. So etwas könne man hier zu Lande in den Unterricht integrieren: Wie verhalte ich mich bei Hitze oder Sturm?
Das Hochwasser im Bremer Umland jedenfalls traf auf eine Bevölkerung, die tatkräftig anpackte und sich in den meisten Fällen vorbildlich verhielt. Strahlende Gesichter und eine große Dankbarkeit gegenüber allen Helferinnen und Helfern sind jedenfalls das auffälligste Merkmal bei denjenigen, die Anfang Januar nach der Evakuierung in ihre Häuser zurückkehren können. Noch sind viele Wände feucht. Doch die Landesregierung hat kostenlos einige Dutzend Bautrockner zur Verfügung gestellt.
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