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Covid-19-Vakzine: »Fragwürdige« Daten in russischer Corona-Impfstoff-Studie

In Studien zu Russlands Covid-19-Impfstoff »Sputnik V« sollen sich Datenmuster wiederholen. Das schreiben Forscher in einem offenen Brief und fordern uneingeschränkten Zugang zu den Ergebnissen.
Russland will mit »Sputnik V« einen wirksamen Covid-19-Impfstoff gefunden haben.

Forscher sind besorgt über sich wiederholende Datenmuster in einer Studie, die sich mit frühen klinischen Versuchen von Russlands Coronavirus-Impfstoff »Sputnik V« befasst – dem weltweit ersten Impfstoff, der für eine breite Anwendung zugelassen wurde.

In einem offenen Brief an die Studienautoren, die die Ergebnisse Anfang September 2020 in »The Lancet« veröffentlicht hatten, heben die Forscher Werte hervor, die womöglich doppelt vorhanden sind. Auch weisen sie darauf hin, dass die Verfasser ihre Ergebnisse nur als Box-Plots präsentieren, ohne eine detaillierte Aufschlüsselung der Basisdaten zu liefern. »Obwohl die in dieser Studie beschriebene Forschung potenziell bedeutsam ist, wirft die Präsentation der Daten mehrere Bedenken auf, die den Zugang zu den Originaldaten für eine vollständige Untersuchung erfordern«, heißt es in dem Brief. Bisher haben ihn 38 Wissenschaftler unterzeichnet.

In den Studien haben Forscher zwei leicht unterschiedliche virale Vektorimpfstoffe an 76 Freiwilligen getestet. Die Vakzine nutzen gentechnisch veränderte Adenoviren, um Coronavirus-Proteine im Körper zu produzieren. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass der Impfstoff eine starke Immunantwort hervorruft und dass die Nebenwirkungen bei einigen wenigen Menschen auf leichte, kurzfristige Effekte wie Reizungen an Injektionsstellen oder Kopfschmerzen beschränkt waren. Im August haben die russischen Behörden den Impfstoff mit der Bezeichnung »Sputnik V« daraufhin für den breiten Einsatz genehmigt und erklärten, er könne innerhalb weniger Monate für die breite Öffentlichkeit verfügbar sein.

Zahlreiche Wissenschaftler waren über die beschleunigte Zulassung bestürzt. Das Argument: Größere Sicherheits- und Wirksamkeitsstudien stünden aus, die Entscheidung voreilig. Nun also gibt es den offenen Brief.

Keine Unterstellung, sondern Bitte um Aufklärung

Das Dokument wurde auf einem Blog des Molekularbiologen Enrico Bucci veröffentlicht, der in Samone, Italien, ein Unternehmen für wissenschaftliche Integrität namens Resis leitet. Bucci sagt, dass ihm Unregelmäßigkeiten im »Lancet«-Paper kurz nach dessen Veröffentlichung aufgefallen seien. Es geht vor allem um eine Abbildung, in der die Autoren über ihre Messungen von Markern einer Immunzellen-Art im Blut berichten. Dort scheinen mehrere Mitglieder aus zwei Gruppen die gleichen Werte aufzuweisen, obwohl die insgesamt neun Freiwilligen verschiedene Varianten des Impfstoffs bekommen hatten. »Die Wahrscheinlichkeit, dass dies durch Zufall geschieht, ist extrem gering«, sagt Bucci.

»Diese Diskrepanzen sind nicht geringfügig«
Konstantin Andreev, erforscht virale Atemwegsinfektionen

»Solche ähnlichen Datenmuster zwischen nicht miteinander in Beziehung stehenden Messungen zu sehen, ist wirklich unwahrscheinlich«, sagt Konstantin Andreev, der an der Northwestern University in Evanston, Illinois, virale Atemwegsinfektionen untersucht. »Diese Diskrepanzen sind nicht geringfügig.« Andreev hatte sich unabhängig mit den Ergebnissen der klinischen Studie befasst und hat den offenen Brief unterzeichnet, kurz nachdem er veröffentlicht worden war.

»Wir unterstellen kein wissenschaftliches Fehlverhalten, sondern bitten um Aufklärung darüber, wie diese scheinbar ähnlichen Datenpunkte zu Stande gekommen sind«, sagt Bucci. Als er und seine Kollegen lasen, dass Russland den Impfstoff mehr Menschen spritzen will, sei man der Meinung gewesen, »sofort die Stimme erheben zu müssen«. Am 26. August haben Phase-III-Studien des Impfstoffs begonnen, an denen Zehntausende von Menschen teilnehmen werden.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Hauptautor Logunov will nicht antworten

Der Hauptautor der russischen Studie, Denis Logunov, hat auf eine Bitte zur Stellungnahme von »Nature« bislang nicht reagiert. Dem russischen Nachrichtensender Meduza sagte er jedoch, er beabsichtige nicht, auf den offenen Brief zu antworten. Logunov, der am Nationalen Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie Gamaleya in Moskau arbeitet, bestritt Fehler und erklärte, dass die gemessenen Antikörperwerte »genau so waren, wie sie in den Zahlen dargestellt wurden«. Er fügte hinzu, dass er mit »The Lancet« in Kontakt stehe und »bereit sei, alle Fragen zu klären«.

Derweil hat das Magazin es abgelehnt, sich zum Umgang mit weiterführenden Daten zu Studien, die sie veröffentlichen, zu äußern. Mitarbeiter gaben jedoch eine Erklärung ab, in der sie erklärten, sie hätten »die Autoren der russischen Impfstoffstudie aufgefordert, auf die im offenen Brief von Enrico Bucci aufgeworfenen Fragen zu antworten«. Man werde die Situation weiterhin aufmerksam verfolgen.

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