Mächtige Frauen, gehörnte Fürsten: Die DNA der Keltenfürsten
Außer ein paar Gerüchten und Sagen, gesammelt ausgerechnet von den Griechen und Römern, die nur mit Herablassung auf ihre barbarischen Nachbarn im Norden blickten, ist kaum etwas schriftlich erhalten geblieben über die Menschen, die heutzutage meist als Kelten bezeichnet werden. Nicht weil sie sich selbst so nannten, sondern weil die Autoren der antiken Welt ihnen dieses Etikett anhängten. Da heißt es etwa lapidar bei Herodot im zweiten Buch seiner »Historien«: »Der Istros (die Donau) entspringt bei den Kelten und der Stadt Pyrene und fließt mitten durch Europa.« Es scheint also eine keltische »Stadt« gegeben zu haben, deren Existenz sich im 5. Jahrhundert v. Chr. immerhin bis ans Mittelmeer herumgesprochen hatte.
Eine andere Geschichte, die der römische Geschichtsschreiber Livius übermittelt, handelt vom hochbetagten Keltenkönig Ambigatus, der in – aus antiker Sicht – grauer Vorzeit im heutigen Frankreich regiert haben soll. Und zwar so geschickt, dass sein Reich aus allen Nähten zu platzen drohte, woraufhin er die beiden Söhne seiner Schwester ausschickte, damit sie sich neue Siedlungsgebiete im Handstreich nähmen. Mit tatsächlichen historischen Vorgängen ließen sich Livius' wenige Zeilen bislang nicht in Übereinstimmung bringen.
So dürftig die historischen Quellen, so reich sind die archäologischen Befunde über die eisenzeitlichen Bewohnerinnen und Bewohner Westeuropas. Die frühen Kelten der Hallstattzeit (800 bis 450 v. Chr.) und der folgenden Latènezeit (450 bis etwa 50 v. Chr.) haben mit ihren Höhensiedlungen, den so genannten Fürstensitzen, und den dazugehörigen Grabhügeln die Landschaft nachhaltig geprägt. Seit über 100 Jahren werden sie von der Fachwissenschaft minuziös ausgegraben und erforscht.
Und dann gelingt es doch immer wieder einmal, Archäologie und Überlieferung in Einklang zu bringen. So dürfte es sich bei Herodots »Pyrene« um die Heuneburg gehandelt haben, einen Fürstensitz samt dicht besiedeltem Umland im heutigen Baden-Württemberg. Sie war einst Zentralort einer extrem reichen Elite und »Nabel der keltischen Welt«. So drückte es jedenfalls Dirk Krausse vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart aus. Wie man es sich in seinem Pyrene vorzustellen hatte, erläuterte Herodot übrigens nicht. Vielleicht war es seinen Lesern bekannt, vielleicht interessierte es nicht weiter.
Die Macht des Onkels
Auch die Geschichte um Ambigatus und seine Neffen könnte einen wahren Kern haben. Das zeigt eine Veröffentlichung im Fachblatt »Nature Human Behaviour«. In Ambigatus' Entscheidung, nicht seine eigenen Söhne, sondern die seiner Schwester auszusenden, spiegelte sich womöglich eine gängige Praxis der frühkeltischen Machtweitergabe wider.
Ein Team von Fachleuten um den Archäologen Krausse und die Archäogenetiker Stephan Schiffels sowie Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig haben dazu aus den menschlichen Überresten von 31 Bestattungen hallstattzeitlicher Grabhügel noch vorhandene Erbgutspuren gewonnen und miteinander verglichen. Damit gelingt es ihnen, ein ganz neues Fenster in die immer noch verborgene Welt der frühen Kelten zu öffnen.
Bei den Toten handelte es sich um 20 genetisch männliche und elf genetisch weibliche Individuen, von denen die meisten nur einen Platz im Abglanz der Macht bekommen hatten: Sie wurden nachträglich in bereits vorhandenen Grabhügel bestattet. Zu den Untersuchten aus dem Südwesten des heutigen Deutschland zählten aber auch die Fürsten und die eine Fürstin, um derentwillen die Grabhügel ursprünglich angelegt worden waren. Mit einem für die Zeitgenossen wohl unfassbaren Prunk wurden diese Machthaber bestattet, in zentralen Grabkammern, in denen sich manchmal die Reichtümer nur so stapelten.
Dass diese Individuen zur Oberschicht der damaligen Gesellschaft gehörten, gilt als so gut wie sicher. Die Bezeichnung als »Fürsten« ist jedoch nur ein Behelf. Zu wenig weiß man über das Herrschaftssystem der Hallstattzeit, um einen womöglich treffenderen Begriff zu wählen. Taten sich diese Menschen durch persönliche Tapferkeit oder Intelligenz als Anführerinnen und Anführer hervor? Oder wurden sie in diese Rolle hineingeboren?
Generationenübergreifende Herrschaftssippen
Die Genprofile der Menschen aus den Fürstengräbern belegen eindeutig, dass die Herrschaft in familiären Strukturen weitergegeben wurde, urteilen nun die Autoren der neuen Studie. »Das Ergebnis zeigt, dass politische Macht in dieser Gesellschaft höchstwahrscheinlich durch biologische Nachfolge vererbt wurde, wie in einer Dynastie«, sagt Max-Planck-Forscher Joscha Gretzinger, der als Erstautor an der Studie beteiligt war, in einer Pressemitteilung.
Aus sieben Grabhügeln stammt die analysierte DNA, etwa vom Magdalenenberg bei Villingen-Schwenningen, aus der bereits erwähnten Heuneburg sowie aus den beiden etwa zehn Kilometer voneinander entfernt gelegenen Grabhügeln Eberdingen-Hochdorf und Asperg-Grafenbühl, die beide zum Einzugsgebiet des Fürstensitzes vom Hohenasperg gehörten. Die Goldfunde und kostbaren Bronzegefäße, die als Grabbeigaben dort in die Erde kamen, machen sie zu den reichsten prähistorischen Bestattungen Deutschlands.
»Schon länger gab es die Vermutung, dass zwischen den beiden Fürsten aus den Grabhügeln eine Verwandtschaft bestehen könnte«, erläutert Dirk Krausse ebenfalls in der Pressemitteilung, »aber erst jetzt ist diese Vermutung durch die neuen Analysen Gewissheit geworden«. Laut der Genstudie ist der Fürst des Asperger Grabhügels aller Wahrscheinlichkeit nach der Neffe des Fürsten vom Hochdorfer Grabhügel gewesen. Die DNA der beiden verriet auch, dass sie über die weibliche Linie verwandt waren: Die Mutter des Jüngeren war die Schwester des Älteren.
Dass Macht über Generationen weitervererbt wurde, legt zudem das Erbgut eines anderen Mannes nahe. Er kam als Sekundärbestattung in den Grabhügel des Hochdorfer Fürsten. Seine Vorfahrin – vermutlich seine Urgroßmutter – gehörte rund 100 Jahre zuvor zur Elite, die im Magdalenenberg etwa 100 Kilometer weiter südwestlich begraben wurde. Dort, am Rand des Schwarzwalds, ist auch ihr Urenkel aufgewachsen, wie das Verhältnis der Isotope Strontium 87 und Strontium 86 in seinen Knochen verrät, eine Art atomarer Marker der geografischen Herkunft. Erst später kam der Mann ins Umfeld des Hohenaspergs, wo sich keine weiteren Verwandten von ihm fanden.
Allianzen per Adoption
Damit ist der Mann, dem die Archäologen das Kürzel HOC003 verpassten, vielleicht in doppelter Hinsicht aufschlussreich für die Rekonstruktion der damaligen Sitten und Gebräuche: zum einen, weil er mit seiner urgroßmütterlichen Beziehung zur Magdalenenberger Herrschaftssippe einen weiteren Beleg für die Bedeutung der weiblichen Linie liefert, und zum anderen, weil seine Anwesenheit in der Fremde an eine Praxis erinnert, die aus späterer Zeit für Kelten anderer europäischer Regionen überliefert ist. Um Allianzen zu schmieden und zu festigen, kamen dort die Söhne lokaler Eliten als Zöglinge oder Adoptivkinder zu den Familien auswärtiger Machthaber.
Inwieweit überhaupt Rückschlüsse von späteren keltischen Kulturen, zum Beispiel aus Irland oder auch nur von den süddeutschen Kelten der Latènezeit, auf die Träger der Hallstattkultur zulässig sind, ist offen. Fachleute mahnen hier immer wieder zu großer Zurückhaltung. Es ist nicht einmal klar, ob die Erbauer der Fürstensitze eine Sprache nutzten, die mit den heute bekannten keltischen Sprachen verwandt war. Trotzdem legt eine sekundäre Doppelbestattung vom Grabhügel Magdalenenberg nahe, dass solche Adoptionspraktiken bereits im Süddeutschland der Hallstattzeit gepflegt worden sein könnten. Sie enthielt die sterblichen Überreste einer Frau und eines jugendlichen Kindes. Anders als man vielleicht erwarten würde, handelte es sich nicht um Mutter und Tochter oder Sohn. Die beiden waren genetisch nicht im Geringsten miteinander verwandt. Es könnte sich folglich um ein Kind handeln, das aus politischen Gründen in die Obhut der lokalen Familie gegeben wurde.
Matrilineares Patriarchat
Den Zentralbestattungen der Grabhügel nach zu urteilen, stand an der Spitze der damaligen Gesellschaft in der Regel ein Mann. Warum aber hatte zumindest der »Fürst von Hochdorf« dem Sohn seiner Schwester den Vorzug gegenüber eigenen männlichen Nachkommen gegeben? Global gesehen sind solche matrilinearen Rangfolgen eher die Ausnahme. In seinem Fachbeitrag erläutert das Autorenteam einen möglichen Grund: Solche Systeme würden vor allem dort vorkommen, wo sich die Männer der Vaterschaft ihrer ehelichen Nachkommen nicht sicher seien. Wenn der Herrscher also fürchten muss, dass die von seiner Ehefrau geborenen Kinder genetisch gar nicht seine eigenen sind, ist er mit der Wahl der Söhne seiner Schwester besser bedient. Er kann dann immerhin eine gemeinsame verwandtschaftliche Linie über die eigene Mutter voraussetzen.
Noch höher stehen die Chancen aus Sicht des Herrschers, wenn es ihm gelingt, die eigenen Kinder mit den Kindern der Schwester zu vermählen. Eine solche Heirat zwischen Cousin und Cousine hinterlässt verräterische Spuren im Genom, und in der Tat fanden die Fachleute unter ihren 31 DNA-Proben gleich zwei Individuen, die aus einer solchen Verwandtenehe hervorgegangen sein dürften. Offenbar war diese Praxis also recht verbreitet, während sie in DNA-Datenbanken zu anderen Kulturen nur in seltenen Ausnahmefällen auftrete, so die Forscher.
Ihre Genanalysen der damaligen Oberschicht erlauben den Wissenschaftlern freilich nur einen winzigen Ausschnitt der hallstattzeitlichen Gesellschaft zu betrachten, noch dazu einen, der geografisch eng begrenzt ist. Und doch können sie mit diesem Schatz an Erbgutdaten am Ende sogar ein wenig aus dem süddeutschen Raum herauszoomen. Die genetischen Muster lassen Querbeziehungen ins heutige Frankreich und nach Oberitalien zu. Insbesondere die Dynastie der Magdalenenberger schien ursprünglich einmal aus dem Gebiet der italienischen Adriaküste eingewandert zu sein. Verbindungen zur dortigen etruskischen Kultur lassen sich auch archäologisch nachweisen: Feinste Importwaren aus dem Süden prägten noch Jahrhunderte später den Luxusgeschmack der keltischen Oberschicht.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.