Fukushima: Pfirsiche als Symbol für Gefahrlosigkeit
Was wäre, wenn ich Ihnen sagen würde, dass Pfirsiche, die in der Umgebung des Kraftwerks Fukushima Daiichi, dem Schauplatz des katastrophalen Atomunfalls in Japan, angebaut werden, bei Harrods zum Verkauf stehen, dem Luxuskaufhaus in London, in dem Ronald Reagan sich einst nach dem Kauf eines Elefantenbabys erkundigte?
Es ist wahr, und wie diese Pfirsiche dorthin kamen, ist ebenso eine Geschichte cleveren Marketings wie der Versuch der Menschen in der Präfektur Fukushima, die durch die Katastrophe von 2011 geschädigt wurden, ihre Region von ihrem nuklearen Erbe zu befreien.
Die meisten Menschen in den USA assoziieren Pfirsiche mit Georgia. Doch vor der Nuklearkatasrophe war die Präfektur, die in einem traditionellen, malerischen Teil des Nordostens Japans liegt, ein blühendes landwirtschaftliches Zentrum, das den Spitznamen »Das Obstkönigreich« trug;
Dies änderte sich jedoch am 11. März 2011, als das stärkste in der Geschichte Japans aufgezeichnete Erdbeben einen 15 Meter hohen Tsunami auslöste, der auf eines der Kernkraftwerke der Region traf und es überflutete. Drei aktive Kernreaktoren verloren ihren Strom. Ohne Kühlsysteme überhitzten die Reaktorkerne und schmolzen teilweise. Dadurch wurden die Sicherheitsbehälter der Reaktoren beschädigt, was zu einer Explosion führte. Da giftige radioaktive Stoffe ausbrachen und in Boden, Wasser, Luft und Laub eindrangen, verkündete die Präfekturregierung eine Gefahrenzone mit einem Radius von 20 Kilometern um das Kraftwerk. Aufgrund von Fallout-Mustern wurde diese Zone um eine Fläche von 207 Quadratkilometern erweitert, was in etwa der Größe von Seattle entspricht. Schätzungsweise 18.500%nbsp;Menschen starben infolge der Kombination aus Erdbeben, Tsunami und Kernschmelze.
Nach der Schweregradskala der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) wurde die Katastrophe von Fukushima der Stufe 7 zugeordnet, die der von Tschernobyl entspricht. Die Landschaft von Fukushima war kein Obstreich mehr, und die Existenz der Bauern lag in Trümmern.
Stellen Sie sich also meine Überraschung vor, als ich 13 Jahre später Fotos von Angestellten in der Lebensmittelabteilung von Harrods sah, wie sie Proben von in Fukushima angebauten Pfirsichen an die Kunden verteilten, die offenbar bereit waren, sie zu probieren. Wenn Ihr Bauchgefühl wahrscheinlich so etwas sagt wie »Ich würde keinen dieser radioaktiven Pfirsiche probieren, selbst wenn Sie mich dafür bezahlen würden«, würde es Ihnen niemand verdenken; das war auch meine erste Reaktion.
Fragen begannen in meinem Kopf zu schwirren: Wie konnte das in dieser Region angebaute Obst überhaupt sicher sein? Wie konnten diese Pfirsiche exportiert werden? Könnten diese radioaktiven Pfirsiche einen neuen Superhelden hervorbringen?
Ein radioaktiver Ruf kann schwer zu erschüttern sein. Wenn ich Ihnen einen Pfirsich anbieten würde, der in Tschernobyl angebaut wurde, das 38 Jahre Zeit hatte, sich zu erholen, würden Sie ihn nehmen? Was ist mit Lebensmitteln, die in Three Mile Island angebaut wurden? Diese Explosion ist fast 45 Jahre her. Wahrscheinlich nicht, oder? Aber warum ist das so?
Einer der Hauptgründe, warum die Kernenergie einen schlechten Ruf hat, ist ihre unglückliche Entstehungsgeschichte. Bevor die Atome für die öffentliche Energieversorgung gespalten wurden, spalteten Wissenschaftler sie für die Kriegsführung. Als eine ähnliche Technik einige Jahre später zur Stromerzeugung eingesetzt wurde und als Kernkraftwerke ab 1954 den kommerziellen Betrieb aufnahmen, sah die Öffentlichkeit die durch radioaktiven Zerfall freigesetzte Energie nicht als eine neue, äußerst effiziente Energiequelle an; sie sah sie als etwas, das Städte auslöschen und Menschen sofort verbrennen kann und dabei eine heimtückische Kontamination hinterlässt.
Antinuklear-Bewegungen verbreiteten sich in den 1960er und 1970er Jahren auf der ganzen Welt und verdeutlichten die wachsende Besorgnis der Öffentlichkeit sowohl gegenüber Atomwaffen als auch gegenüber Atomkraft. Die Kernenergie verlor auch wegen ihrer hohen Kosten und Bedenken hinsichtlich der Abfallentsorgung und Arbeitssicherheit an Popularität. Doch viele Regierungen ignorierten die Proteste und bauten trotzdem Anlagen, so auch Japan (Fukushima Daiichi wurde 1967 gebaut). Trotz seiner brutalen Erfahrungen mit einem Atomkrieg entschied sich das Land für die Kernenergie, um sein Wirtschaftswachstum und seine Unabhängigkeit in der Energieversorgung zu fördern. Viele Regierungen waren sich auch der Notwendigkeit bewusst, mit der Entwicklung von Nukleartechnologien Schritt zu halten, sowohl um die technische Kompetenz ihres Landes nach außen zu tragen als auch für den Fall, dass das praktische Wissen über Kernspaltung in der Zukunft einmal nützlich werden sollte.
Als sich die Störfälle in Three Mile Island und Tschernobyl ereigneten, wurden jedoch viele der Befürchtungen der breiten Öffentlichkeit bestätigt. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Kernenergie auch in den letzten Jahrzehnten nicht von ihrer Assoziation mit Tod, Gefahr und Waffen losgekommen ist. Ich habe viele Physiker kennengelernt, die wegen dieses Stigmas nicht damit werben, dass sie im Bereich der Kernenergie arbeiten.
Im Vergleich zu Three Mile Island und Tschernobyl hatte Fukushima jedoch den Vorteil von 30 Jahren technologischen Fortschritts, die seine Aufräumarbeiten unterstützten. Unmittelbar nach dem Unfall versuchten einige hundert Arbeiter, abwechselnd in Gruppen von 50 Personen, die Anlage zu stabilisieren und den Austritt von Radioaktivität zu verringern.
Sobald die Anlage stabilisiert war, begannen die Aufräumarbeiten. Der Betreiber der Anlage, die Tokyo Electric Power Company Holdings (oder TEPCO), die sich teilweise im Besitz der japanischen Regierung befindet, legte die Anlage still, um das gesamte verbleibende radioaktive Material zu entfernen. Arbeiter sackten kontaminierte Materialien zur sicheren Entsorgung ein, und kontaminiertes Wasser wurde zur späteren Freigabe gelagert, wobei man darauf setzte, dass es weiter zerfiel. TEPCO setzte später Robotertechnik, darunter das ALPS-System, zur Unterstützung der Dekontaminationsarbeiten ein. Die betroffene Umgebung wurde auch schnell einer strengen Überwachung unterzogen, wobei Wissenschaftler Geräte wie das RadNet von EPA einsetzten, um die Radioaktivität in der Luft sowie im Boden zu messen und die Zerfallsgeschwindigkeit zu beobachten. Bei der Katastrophe war eine Reihe radioaktiver Stoffe freigesetzt worden, unter anderem Plutonium und Uran, aber die Wissenschaftler waren auch auf der Suche nach schädlichen Konzentrationen von radioaktiven Cäsium- und Jodisotopen, die sich als reichlich vorhandene und weitreichende Schadstoffe in landwirtschaftlich genutzten Flächen erwiesen.
Viele Japaner und Schaulustige aus aller Welt waren sich sicher, dass die landwirtschaftlichen Flächen der Präfektur Fukushima für Jahrzehnte unbrauchbar sein würden. Doch schon im Juli 2011 stellten Forschende überraschende Behauptungen auf: Der Boden in Fukushima sei sicher, verkündeten sie. Und das, obwohl die Zerfallshalbwertszeit von Cäsium-137 – einem der wichtigsten kontaminierenden Isotope – etwa 30 Jahre beträgt. Die Analyse der Forschenden hatte gezeigt, dass die radioaktive Verseuchung nicht wie befürchtet tief in den Boden eingedrungen war, sondern sich offenbar nur in der obersten Bodenschicht in etwa fünf Zentimetern Tiefe niedergeschlagen hatte und sich nur auf bereits angebauten Pflanzen angesammelt hatte.
Wenn man den verseuchten Boden ausschöpft und die verseuchten Pflanzen beseitige, so hieß es, sind die in Fukushima angebauten Lebensmittel wahrscheinlich sicher. Genau das wurde getan, wodurch die Bodenkontamination erheblich reduziert wurde und die Bewohner in ihre Häuser zurückkehren konnten. Dies steht in starkem Gegensatz zu Tschernobyl, wo die umliegenden Gebiete völlig verödet waren und zu Geisterstädten wurden, von denen viele auch heute noch verlassen sind.
Eine örtliche landwirtschaftliche Einrichtung wurde an die Umstände angepasst und begann im September 2011 mit der Untersuchung von Strahlung in Produktproben. Heute befindet sich in der Anlage ein Strahlungstestgerät; mir scheint, dass die Lebensmittel, die hier durchlaufen – einschließlich der Pfirsiche, wie sie bei Harrods verkauft werden – die wahrscheinlich am gründlichsten untersuchten auf der Welt sind. Germanium-Halbleiterdetektoren, Detektoren für die Konzentration von radioaktivem Cäsium, Natriumjodid-Szintillationsspektrometer und weitere Geräte untersuchen die Produkte auf Anzeichen von Radioaktivität. Das staatlich zugelassene Prüfverfahren hält sich an den strengen Grenzwert von 100 Becquerel pro Kilogramm in Lebensmitteln – das ist nur ein Zehntel des international anerkannten CODEX-Grenzwertes von 1.000 Bq/kg und stellt weit weniger Strahlung dar als der US-Standard von 1.200 Bq/kg. Lebensmittel aus Fukushima werden auch von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), der Atomaufsichtsbehörde der Vereinten Nationen, überwacht und getestet, um sichere Standards zu gewährleisten.
Im Jahr 2017, sechs Jahre nach der Katastrophe, erklärte die japanische Regierung, dass die Lebensmittel aus Fukushima »sicher und köstlich« seien, und untermauerte diese brüske Aussage mit zahlreichen Daten und Bestätigungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der IAEO, den wichtigsten globalen Einrichtungen, die die Regierung bei der Überwachung der Kontamination unterstützt haben.
Nach den von der japanischen Regierung vorgelegten Daten wiesen die landwirtschaftlichen Böden in Fukushima 2017 bis 2018 angeblich vergleichbare Strahlungswerte wie die Böden in New York, London, Hongkong und Seoul auf, da Strahlung auch natürlich vorkommt. Die Pfirsiche aus Fukushima wären also nicht stärker radioaktiv kontaminiert als die Pfirsiche in einem Londoner Hinterhof. Auch der Boden in den USA kann durch natürliche Radionuklide und sogar durch Kernwaffentests kontaminiert werden, aber für in den USA angebautes Obst gelten im Vergleich zu dem aus Fukushima weitaus niedrigere Sicherheitsgrenzwerte und weniger Radioaktivitätstests. Und doch essen wir es alle.
Auf internationaler Ebene dauerte es noch einige Jahre, bis die Regierungen begannen, die Erkenntnisse der Wissenschaftler zu respektieren. Im Jahr 2021 kam die FDA zu dem Schluss, dass die aus Fukushima in die USA eingeführten Lebensmittel gemäß ihren Standardüberwachungs- und Probenahmeverfahren kein Risiko für die Lebensmittelsicherheit darstellen. Im Jahr 2023 wurden 51 Proben aus dem Gebiet getestet, und es wurde festgestellt, dass keine davon »nachweisbare Mengen an Cäsium enthielt«. Auch Großbritannien hat vor zwei Jahren seine eigenen Beschränkungen für Fukushima-Importe aufgehoben. Aufgrund internationaler Protokolle waren die Lebensmittel für die Einfuhr und den Verzehr sicher.
Aber würden die Verbraucher dem zustimmen? An dieser Stelle kommt Harrods ins Spiel. Die japanische Regierung und TEPCO, die Eigentümer des zerstörten Kraftwerks, haben ihre Initiative zur Wiederherstellung des guten Rufs stark vorangetrieben. Wenn man die Pfirsiche mit Harrods in Verbindung bringt, einem Laden, den die königliche Familie bekanntermaßen häufig besucht, werden sie vielleicht zu einer Delikatesse, einem interessanten Snack, den man bei einer Dinnerparty anbieten kann, und nicht zu etwas, vor dem man Angst haben muss.
Und das spiegelt sich auch in ihrem Preis wider. Sie kosten fast 33 Dollar pro Stück – während ein durchschnittlicher Georgia-Pfirsich in den USA weniger als 1 Dollar kostet. Indem sie hier verkaufen, könnten sie ihrer Frucht schnell zu einem besseren Ruf verhelfen, zu einem, der die Einzigartigkeit ihrer Herkunft, das Seltsame an ihr annimmt, anstatt Angst zu verbreiten.
Ungeachtet des Preises dieser Pfirsiche fordert die Region die Welt auf, sie nicht in einer ruinösen Vergangenheit zu belassen. Das ist sehr lobenswert.
Als ich das erste Mal von den Pfirsichen hörte, war mein Bauchgefühl: Nein, danke. Aber jetzt weiß ich, dass die Lebensmittel aus Fukushima auf Herz und Nieren geprüft wurden – und wahrscheinlich auch auf mein Leben. Ich vertraue auf die Wissenschaft, ungeachtet aller negativen Assoziationen mit der Atomkraft. Werde ich nun also eine probieren? Ja, wenn sie immer noch kostenlose Proben verteilen – denn 33 Dollar für einen Pfirsich, wie geprüft er auch sein mag, ist furchtbar nachsichtig.
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