Umwelt: Geoengineering auf eigene Faust
Russ George handelte in bester Absicht – zumindest in seinen Augen – als er im Juli von einem gecharterten Fischerboot aus 100 Tonnen Eisensulfat in den Pazifischen Ozean vor der kanadischen Westküste kippte. Das Ziel: das Meeresökosystem zu befruchten. Der Eisendünger sollte eine Algenblüte auslösen, die Lachsbestände fördern und Kohlenstoff klimawirksam in die Tiefsee verfrachten. Ob der Ozean wie gewünscht reagierte, weiß bislang keiner offiziell, doch das Experimente sorgt für hitzige Diskussionen an Land. Wissenschaftler reagierten verärgert, Angehörige eines Indianerdorfs an der Küste sehen sich bloßgestellt und Gegner des so genannten Geoengineerings, des Klimaschutzes durch technische Eingriffe in die Umwelt, laufen erzürnt Sturm.
Die ersten Berichte in der britischen Tagsezeitung "The Guardian" am 1. Oktober stellten das Projekt als quasianarchisches Geoengineering-Vorhaben dar – das bislang größte seiner Art –, das unverhohlen internationale Übereinkommen verletzte. Kritiker unterstellten dem US-amerikanischen Unternehmer Russ George, dass er Mitglieder des Haida-Stamms aus dem Dorf Old Massett auf den Königin-Charlotte-Inseln überredet habe, die Düngung zu finanzieren. Im Gegenzug habe er ihnen in Aussicht gestellt, dass sie dafür Emissionszertifikate verkaufen dürften, weil die Algen entsprechend Kohlendioxid aufnähmen. Tatsächlich war der Ablauf jedoch noch viel komplexer. Der ganze Vorgang zeigt erneut, wie explosiv die Mischung aus Politik und halb garer Wissenschaft zur technischen Manipulation des Erdklimas werden kann.
Die Rolle des Haida-Stamms
Nachdem George von "Nature" kontaktiert wurde, keilte er gegen die Medien und "radikalen Umweltschützer" aus, die eine "rassistische" Geschichte über einen eigenbrötlerischen, selbsternannten Geoingenieur konstruierten, der naive Ureinwohner übervorteilt hätte. "Das war deren Arbeit und deren Projekt", fügt er an. "Es kam doch nicht deshalb dazu, weil sie irgendwie zu dumm waren, um es besser zu wissen!"
Mittlerweile steht fest, dass Old Massett, ein indigenes Fischerdorf mit weniger als 1000 Einwohnern, das Projekt begeistert aufgenommen hatte: Die Bevölkerung erhoffte sich davon, dass wieder mehr Lachse aus dem Meer zu ihren Laichgründen in den Flüssen der Insel zurückkehren. Dazu sollte eine Algenblüte angestoßen werden, welche dann das gesamte ozeanische Nahrungsnetz bis hin zu den Fischen stärken könnte. Die Dorfbewohner stimmten im Februar 2011 dafür, einen Kredit in Höhe von etwa 2,5 Millionen US-Dollar an die Haida Salmon Restoration Corporation (HSRC) zu vergeben, damit diese den Ozean dünge, so John Disney, der Vorsitzende der Korporation aus Old Massett und Wirtschaftsbürgermeister des Dorfs.
George unterschrieb als Chefwissenschaftler, nachdem das HSRC auf ihn zugekommen war, so Disney – zuvor führte George die in San Francisco ansässige Firma Planktos, die Meeresdüngung mit Hilfe von Eisen kommerzialisieren wollte. Die Firma wollte dem Dorf die Kredite zurückzahlen, indem sie Emissionszertifikate an Firmen verkauft, die ihre Treibhausgasemissionen auf diese Weise kompensieren möchten, erzählt Disney. "Wir schufen Leben, wo keines existierte", fügt er hinzu – die Düngung habe eine Algenschwemme auf einem rund 10 000 Quadratkilometer großen Gebiet ernährt, die Fische, Vögel und Wale angezogen habe. "Der einzige Unterschied zwischen dem, was wir getan haben und dem, was allen anderen durchziehen: Wir haben es einfach eine Spur größer angelegt."
Tatsächlich wurde im Old-Massett-Vorhaben fünf Mal so viel Eisen ins Meer gekippt wie bei vorherigen Düngungsexperimenten. Nur hat bislang kein einziger Wissenschaftler außerhalb des Projekts bislang die Daten einsehen dürfen, um beurteilen zu können, ob das Vorhaben wie angekündigt funktioniert hat oder fehlschlug. "Ich lehne es nicht rundheraus ab, aber auf diese Weise sollte kein Experiment durchgezogen werden", kritisiert der Meeresbiologe Victor Smetacek vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven: "Es handelt sich dabei um sehr anspruchsvolle Forschung. Und es wäre begrüßenswert gewesen, wenn sie von qualifizierten Fachleuten durchgeführt worden wäre."
Unklare Rechtslage
Das Vorhaben fand zudem vor einem unklaren rechtlichen Hintergrund statt: Meeresdüngung wird von einem internationalen Moratorium auf freiwilliger Basis eingeschränkt und berührt zudem ein Abkommen zur Meeresverschmutzung. Beide Vereinbarungen beinhalten Ausnahmen für Forschungszwecke, und das Abkommen verpflichtet nationale Umweltbehörden, dass sie die Versuche in Augenschein nehmen und regulieren. Vertreter von Environment Canada warnten bereits im Mai, dass das HSRC-Projekt eine Genehmigung bräuchte. "Environment Canada stimmte diesem unwissenschaftlichen Versuch nicht zu", äußerte der kanadischen Umweltminister Peter Kent am 18. Oktober gegenüber dem Parlament. "Zuständige Stellen untersuchen nun den Vorgang." Das Canadian National Research Council unterstützte das HSRC mit 70 000 Kanadischen Dollars, und die US-amerikanische NOAA stellte 20 Bojen zur Verfügung, mit denen die Wasserbedingungen überwacht werden sollten. Mitarbeiter beider Behörden betonen jedoch, dass sie zu keiner Zeit über das Meeresdüngungsexperiment informiert waren – sie dachten, die Arbeit beziehe sich auf die Ökologie der Lachse.
"Wir schufen Leben, wo keines existierte"John Disney
Laut dem Geoengineering-Experten Jason Blackstock von der University of Oxford verdeutliche die Angelegenheit, wie groß die Grauzone zwischen Geoengineering zur Klimamanipulation und lokalen Aktionen mit anderer Zielsetzung ist- etwa dem Ansinnen, die Lachsbestände zu vergrößern oder das Wetter zu manipulieren, indem man Wolken impft. "Hier droht ein universelles Problem", warnt er. Die ETC-Gruppe – eine in Ottawa ansässige Interessengruppe, die den weltweiten Widerstand gegen Geoengineering anführt – hat darauf hingewiesen, dass George möglicherweise das Potenzial des Projekts, Emissionszertifikate zu generieren, etwas verdreht hat. Dokumente von der Old-Massett-Webseite implizieren, dass die führenden Köpfe des Unternehmens diesbezüglich wohl etwas übertrieben haben, um Unterstützungsgelder einzutreiben. Ein Dokument, das sich auf einen Kreditantrag aus dem Jahr 2011 bezieht, belegt, dass Bankmanager den Ausführungen von HSRC misstrauten. Die HSRC hatte unter anderem behauptet, dass es einen sicheren Markt für derartige Zertifikate gebe und dass "Verkaufsstellen und Banken in Deutschland nach derartigen Produkten betteln".
In Wirklichkeit können derartige "Kohlenstoffgutschriften" aus Eisendüngungsprojekten nicht auf offiziellen Handelsplätzen wie dem europäischen Markt für Emissionszertifikate angeboten werden – auch wenn es außerhalb davon vielleicht willige Käufer geben könnte. Und ob die künstlichen Algenblüten tatsächlich effektiv der Atmosphäre Kohlendioxid entziehen und langzeitig einlagern, lässt sich ebenfalls noch nicht abschließend feststellen. Laut einer 2004 durchgeführten Studie von Smetacek sinkt die Hälfte des Kohlenstoffs, die von einer künstlichen Algenblüte aufgenommen wurde, in die Tiefsee und wird dort langzeitig überdeckt. Andere Untersuchungen hatten aber ergeben, dass der Kohlenstoff im aktiven geoökologischen Zyklus verbleibt und dem System ganz und gar nicht entzogen wird.
Und der Lachs?
George betont, dass die Bankiers letztlich zufrieden waren, und dass Emissionszertifikate nicht mehr als eine Option für zukünftige Unterstützung seien, sofern die Wissenschaft diesen Ansatz unterstütze. In einem ersten Interview hatte Disney jedoch wiederholt gesagt, dass die Firma die Zertifikate verkaufen müsse, um den Gemeindekredit zurückzahlen zu können. "Da ich der Typ bin, der dies an das Dorf verkauft hat, bringe ich das verdammte Geld besser bald auf", sagte er. Erst später rückte Disney von der Gewichtung Emissionszertifikate ab und betonte, dass er auf Georges Seite stehe.
Völlig unklar bleibt noch, ob das Projekt den Lachsen wie versprochen hilft: 2010 ereignete sich zwar ein gewaltige Lachswanderung, zwei Jahre nachdem ein Vulkanausbruch eisenreiche Asche über dem Ozean verstreute und eine Algenblüte auslöste. Doch viele Forscher bleiben skeptisch. Ob das Haida-Experiment überhaupt funktioniert hat, erfährt man erst in zwei Jahren. Dann kehren die jüngsten der heute im Meer lebenden Lachse in ihre Heimatflüsse zurück, um zu laichen: Sie sollten durch die Düngung unterstützt werden. John Nightingale, der Leiter des Vancouver-Aquariums, hofft, dass zumindest dann etwas Verwertbares aus dem Projekt gezogen werde. Die Arbeit lasse wissenschaftliche Präzision vermissen, doch habe das HSRC nun zugestimmt, alle Daten offenzulegen. Sie hätten etwas Außergewöhnliches getan, sagt Nightingale: "Nun möchte ich die maximale Aufklärung, die maximale Datenauswertung, die maximale Debatte."
Der Artikel erschien ursprünglich unter dem Titel "Ocean-fertilization project off Canada sparks furore" in Nature 490, S. 458-459, 2012.
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