Atomkernuhr: Der Countdown zum ersten Super-Zeitmesser läuft
Ticktack. Ticktack. Jeder kennt das regelmäßige Klacken eines Sekundenzeigers. Je häufiger der Taktgeber schwingt, desto genauer gibt eine Uhr die Zeit an. Die genauesten Uhren unserer Zeit, die Atomuhren, ticken mehr als neun Milliarden Mal pro Sekunde – doch manchmal ist selbst das zu wenig! Seit vielen Jahren arbeiten Forschende auf der ganzen Welt daher daran, eine noch bessere Uhr zu bauen: die Atomkernuhr. Und die scheint nun zum Greifen nah. Ein internationales Forschungsteam um Chuankun Zhang von der University of Colorado berichtet im Fachmagazin »Nature«, dass es praktisch alle Zutaten für eine neue Ära der Zeitmessung beisammen hat. Ihm sei nicht nur gelungen, einen ganz besonderen Energieübergang im Thorium-229-Atomkern mit einem eigens entwickelten Vakuumultraviolett-Laser anzuregen, sondern auch, die Frequenz des Energiesprungs sehr genau auszulesen. Es ist ein riesiger Schritt hin zur präzisesten Uhr, die auf dieser Welt derzeit denkbar ist.
Aktuell basiert unsere international synchronisierte Zeitmessung auf den charakteristischen Quantenübergängen zwischen zwei Energiezuständen in der Elektronenhülle des Cäsiumatoms. Wenn ein Elektron zwischen den beiden Zuständen wechselt, sendet es ein Photon mit der immer gleichen Energie aus. Die Frequenz dieser ausgesandten Mikrowellenstrahlung dient als eine Art Pendel, das exakt 9 192 631 770-mal in einer Sekunde schwingt. Doch diese Schwingung präzise anzuregen und zu messen, ist extrem aufwändig: Die Atome müssen ultrakalt sein und in einer Vakuumkammer von elektromagnetischen Feldern abgeschirmt werden. Die erreichte Präzision ist aus Laiensicht jedoch atemberaubend: In 13 Milliarden Jahren weicht die Zeitmessung mit einer Cäsium-Atomuhr nur um etwa eine Sekunde von einer idealen Uhr ab.
Atomkernuhren schlagen selbst das. Übergänge zwischen Energiezuständen des Atomkerns sind deutlich energiereicher und senden Strahlung mit weit höherer Frequenz aus. Das heißt, eine solche Uhr tickt sogar noch häufiger, und die Zeit lässt sich somit deutlich genauer bestimmen. Übergänge in Atomkernen haben gegenüber solchen in der Elektronenhülle noch weitere Vorteile. So ist der Kern etwa 10 000-mal kleiner als die Hülle und deshalb unempfindlicher gegenüber äußeren Störungen. Allerdings gibt es auch eine wichtige Einschränkung, die nahezu alle möglichen Kernübergänge ausschließt: Die Anregungsenergie für einen solchen Quantensprung darf nur wenige Elektronvolt betragen, sonst werden die nötigen Laser zu unhandlich. Der einzige bekannte Kandidat, der diese Anforderung erfüllt, ist ein ganz spezieller Übergang im Kern des Nuklids Thorium-229.
Ein Lineal aus Licht ermöglicht den Durchbruch
Bereits im April 2024 meldete ein deutsch-österreichisches Forschungsteam einen entscheidenden Durchbruch bei dem Versuch, diese bisher hypothetische Uhr tatsächlich zu bauen. Es bettete die Thorium-Atomkerne dazu in einen Kalzium-Fluorid-Kristall ein, der zwar transparent ist für die Laserstrahlung, aber verhindert, dass das Atom ein Hüllenelektron aussendet statt der gewünschten Photonen. Die neue Veröffentlichung der Arbeitsgruppe um Zhang löst nun eine Reihe weiterer praktischer Probleme bei diesen technisch enorm anspruchsvollen Messungen.
Die Forscher benötigen nämlich unter anderem ein extrem genaues Lichtlineal, um die Anzahl der ultravioletten Wellenzyklen zu zählen, die den Übergang verursachen. Dazu nutzten sie einen Frequenzkamm, eine Laserlichtquelle, die Licht mit einer Vielzahl sehr eng benachbarter Spektrallinien emittiert. Deren Frequenz ist sehr genau einstellbar. Die Autoren zeigten durch wiederholte Experimente, dass sie mit diesem Frequenzkamm den Kernübergang nicht nur anregen, sondern auch die resultierende Schwingungsfrequenz im Verhältnis zu einer Strontium-Atomuhr auslesen können.
»Es wurde Geschichte geschrieben«Adriana Pálffy und José R. Crespo López-Urrutia, Physiker
»Als wir den Übergang im Thoriumkern zum ersten Mal anregten, konnten wir die Frequenz bis auf wenige Gigahertz genau bestimmen«, sagt Thorsten Schumm, Physiker am Atominstitut der Technischen Universität Wien und als Einziger an beiden Forschungsarbeiten beteiligt. »Das war schon mehr als ein Tausendstel besser als alles bisher Bekannte.« Bei den neuen Experimenten jedoch habe man eine Präzision im Kilohertzbereich erreichen können. »Das ist noch einmal eine Million Mal besser. Damit erwarten wir, dass wir in zwei bis drei Jahren die besten Atomuhren überholen werden.«
Adriana Pálffy von der Universität Würzburg und José R. Crespo López-Urrutia vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg kommentierten das Experiment in einem »Nature«-Begleitartikel mit den jubelnden Worten: »Es wurde Geschichte geschrieben.« Damit lasse sich eine kompakte, möglicherweise auch transportierbare Uhr erzeugen, die mit einer Frequenz von zwei Petahertz – zwei Milliarden Millionen Mal pro Sekunde – tickt, jedoch mit Unsicherheiten im Mikrohertzbereich. Es wäre somit ein Zeitmesser, der selbst dann keine Sekunde verliert, wenn man ihn Milliarden von Jahren laufen lässt.
Ekkehard Peik von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig (PTB), dem gemeinsam mit der Gruppe um Schumm die erste Laseranregung des Thoriumkerns überhaupt gelang, der aber an dem aktuellen Werk nicht beteiligt war, lobt: »Das Experiment ist eine tolle Arbeit und hat eine große Verbesserung erreicht. Ich finde es wirklich aufregend, wie schnell und wie stark das Forschungsfeld jetzt in Bewegung geraten ist.« An der PTB arbeite man jetzt daran, an Stelle des thoriumdotierten Kristalls das Thorium als gespeicherte Ionen in einer Ionenfalle anzuregen, was noch eine etwas bessere Genauigkeit der Kernuhr ermöglichen würde.
Mit der Thoriumtechnologie sind präzisere Navigationssysteme (mit oder ohne GPS), schnelleres Internet, zuverlässigere Netzwerkverbindungen und eine sicherere digitale Kommunikation in Reichweite. Und nicht nur das: Die Atomkernuhr verspricht einen noch tieferen Blick in das Fundament der Welt. So ließe sich beispielsweise untersuchen, ob die Naturkonstanten vielleicht gar nicht vollkommen konstant sind, sondern sich möglicherweise in Raum und Zeit verändern. Außerdem könnte man damit winzige Veränderungen in der Feinstrukturkonstante – die die Stärke der elektromagnetischen Wechselwirkung zwischen geladenen Teilchen quantifiziert – sowie in der Kopplung zwischen Kernteilchen aufzeigen, was die Suche nach neuer Physik beflügeln würde. Schon erstaunlich, was sich mit einem »einfachen« Ticktack erreichen lässt. Man muss nur möglichst viele davon zusammenbekommen.
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