Bioenergie: »Holzverbrennung bringt zusätzlichen Kohlenstoff in die Atmosphäre«
Ein von der EU vorgelegter Klimaschutzplan sieht vor, die Nutzung von Energie aus Biomasse deutlich auszuweiten. Das werde dazu führen, dass dafür mehr Holz geerntet, ein Fünftel der Anbauflächen in Bioenergie umgewandelt und die Entwaldung ausgelagert werde, so eine Analyse verschiedener Wissenschaftler in »Nature«, die den Plan kritisieren. Im Interview mit »Spektrum.de« erläutert der Frankfurter Wissenschaftler Thomas Kastner die potenziellen Folgen dieser Politik und was man ändern könnte.
Die Europäische Union möchte den Ausstoß an Treibhausgasen massiv verringern und forciert unter anderem den Ausbau der Bioenergie. Sie warnen mit Kollegen in dem »Nature«-Kommentar vor schweren Folgen für die Natur, für die Biodiversität. Warum?
Ein Problem besteht darin, dass Bioenergie in diesen Richtlinien teilweise noch immer als CO2-neutral eingestuft wird. Über sehr lange Zeithorizonte betrachtet mag das korrekt sein, aber wir müssen bei der Reduktion der Treibhausgase zügig handeln. Wer Holz verbrennt, bringt jetzt viel zusätzlichen Kohlenstoff in die Atmosphäre, der erst über Jahrzehnte wieder in neuen Pflanzungen fixiert wird. Der Klimaeffekt ist in einer kurzfristigen Perspektive oft nicht so gut, wie das in den Kohlenstoffbilanzen gerechnet wird. Der zweite Punkt ist die Biodiversität. Kurzumtriebsplantagen, wo schnell wachsende Hölzer angebaut und nach wenigen Jahren geerntet werden, haben als Lebensraum einen geringeren Wert als ein naturnaher Wald.
Können Sie das erläutern?
Diese Plantagen sind Monokulturen, Bäume auf einem Acker, beispielsweise aus Pappeln. Nicht zu vergleichen mit einem Wald, der gut durchmischt ist, verschiedene Altersstufen hat und vielfältige Lebensräume bietet für diverse Gruppen, von Insekten bis hin zu Wirbeltieren. Das ist auch der EU bekannt, und es sind Beschränkungen vorgesehen, dass man nicht ohne Weiteres einen Wald abholzen und eine Fläche für Bioenergie daraus machen kann. Ich befürchte aber, dass bei Importen, die nicht aus EU-Ländern kommen, nicht mehr so genau hingeschaut wird.
Die Pläne sehen vor, bis 2050 den Biomasseanteil auf mehr als das Doppelte zu steigern. Wo sollen diese Mengen herkommen, wenn die Wälder schon jetzt heftig mit Dürre und Schädlingsbefall zu kämpfen haben?
Hier geht es um Holz aus der EU sowie aus Importen. Aber es ist richtig, dass die Wälder zunehmend unter Stress stehen. Unter Fachleuten wird diskutiert, ob die Forstmodelle diese Effekte ausreichend berücksichtigen und der erwartete Ertrag in den kommenden Jahren und Jahrzehnten überhaupt erzielt werden kann.
Wenn diese Pläne der EU umgesetzt werden, was würde das konkret für die EU bedeuten?
Berechnungen der EU zufolge werden rund 20 Prozent der Ackerflächen für Energiepflanzen wie Raps oder Mais benötigt. Das muss irgendwie ausgeglichen werden. Rund die Hälfte der naturnahen Grasländer droht verloren zu gehen für den Anbau von Energiepflanzen oder intensiv bewirtschaftete Holzkulturen.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Aus unserer Sicht wäre es beispielsweise hilfreich, den Verbrauch an Biosprit moderat zu senken, um Anbaufläche zu sparen. Im Gegenzug wäre es möglich, Moore zu renaturieren und Altwälder zu erhalten. Das brächte viel für die CO2-Speicherung und die biologische Vielfalt.
Gibt es bei der Energiegewinnung aus Biomasse Alternativen, die bisher zu wenig berücksichtigt wurden?
Wir sollten nicht nur auf die nachwachsende Biomasse schauen, sondern auch Abfälle konsequent nutzen. Vielfach werden diese thermisch verwertet, also verbrannt. Damit liefern sie Energie – was hilft –, aber eine stoffliche Nutzung scheidet aus. Hier gibt es sicher noch Optimierungspotenzial, um eine Kaskadennutzung zu erreichen. Das Material ist dabei primär Rohstoff für weitere Produkte der Industrie. Die Verbrennung kommt erst am Schluss, wenn keine andere Nutzung mehr sinnvoll ist.
Wird die Bioenergie ausgebaut, verschärft sich die Flächenkonkurrenz. Um sie abzumildern, müssen die Erträge deutlich steigen. Widerspricht das nicht dem Ziel – zumindest in Deutschland –, den Anteil der Biolandwirtschaft auszubauen? Bekanntermaßen sind dort die Erträge pro Fläche geringer.
Ja, zu einem gewissen Grad widerspricht es dem. Darüber wird viel diskutiert. Ich persönlich denke nicht, dass Biolandwirtschaft aus den genannten Gründen alle Probleme lösen wird. Aber gerade in Westeuropa kommt man nicht umhin, auch die Konsumseite mitzudenken, wenn man nach Lösungen sucht. Viele Flächen haben mit der Erzeugung tierischer Produkte zu tun. Wenn es gelingt, den Bedarf zu verringern, dann würde der Druck auf die Flächen abnehmen, und wir hätten mehr Spielraum, wenigstens Teile davon nicht so intensiv nutzen zu müssen.
Wie stark leidet die Biodiversität unter den Bemühungen für den Klimaschutz – begonnen bei den EU-Plänen zur Bioenergie bis zur Priorisierung des Windkraftausbaus »als überragendes öffentliches Interesse« auch in Schutzgebieten?
Diese Gefahr besteht, einfach weil Land eine begrenzte Ressource ist. Man kann einen Hektar hernehmen und überlegen, ein Schutzgebiet daraus zu machen, eine Plantage für Bioenergie oder einen Erholungsraum für Menschen oder dort Nahrungsmittel beziehungsweise Futtermittel anzubauen. Aber es geht nur eines, man muss die verschiedenen Ziele abwägen und sich entscheiden. Das Klimathema ist jetzt zu Recht sehr hoch auf der Agenda, doch wir sollten aufpassen, dass wir nicht Lösungen wählen, die vermeintlich einfach sind und dann in vielen anderen Sektoren Probleme machen.
In der öffentlichen Wahrnehmung wird der Klimawandel als größte Bedrohung empfunden, viele Fachleute sehen den Artenverlust als mindestens gleichwertig an. Warum gelingt es ihnen nicht, sich Gehör zu verschaffen?
Vieles spielt dabei eine Rolle, unter anderem, dass Klimawandel greifbarer ist. Nur ein Beispiel: Viele Firmen machen jetzt ihre CO2-Bilanz zum Thema, legen Zahlen vor, welche Werte diese Bilanz umfasst und welche Verbesserungen erzielt wurden. Biodiversität ist komplexer, sie lässt sich nicht in eine Zahl packen. Man kann und sollte sie auf verschiedensten Ebenen betrachten, und das macht die Kommunikation dazu ungleich schwerer.
Versuchen wir es trotzdem. Sie und Ihre Kollegen schreiben, dass in puncto Biodiversität und Kohlenstoffspeicherung jeder Hektar Ackerland in den Tropen rund viermal so wertvoll ist wie einer hier in Europa. Können Sie das erläutern?
Das ist natürlich ein Durchschnittswert. Aber gut nachvollziehen lässt es sich anhand eines Regenwalds, der ein großer Kohlenstoffspeicher ist und eine große Artenvielfalt aufweist. Wenn der gerodet wird, um Soja anzubauen, geht viel mehr verloren, als wenn bei uns eine Wiese umgepflügt wird.
Bei der Biodiversität geht es zudem nicht allein um die Anzahl der Arten. Man schaut beispielsweise, ob es endemische Spezies gibt, die nur in einer bestimmten Region vorkommen. In den Tropen ist das häufiger so. Wenn wir eine Sojamonokultur hier in Europa anpflanzen, hat das unbestritten große Auswirkungen und kann dazu führen, dass lokal bestimmte Arten verschwinden. Aber es ist gut möglich, dass diese Spezies in ganz Eurasien verbreitet ist und damit erhalten bleibt. Das ist in tropischen Ländern anders, wo manche Arten nur auf einigen wenigen hundert Quadratkilometern vorkommen. Wenn ich dort etwas anbaue, könnte das zum Aussterben solcher Arten führen.
Das heißt, im Umkehrschluss müssten wir eigentlich daran interessiert sein, weniger zu importieren und noch mehr innerhalb der EU anzubauen und zu erwirtschaften?
Das kommt wieder auf die Prioritätensetzung an: ob es um Klimaschutz, Ernährungssicherung oder Naturschutz geht. Aber wenn das Ziel ist, global möglichst viele Arten zu erhalten, dann würde es genau das bedeuten, ja.
Werden Zukunftsszenarien entworfen, entsteht oft ein ideales Bild mit intakten Wäldern und artenreichen Wiesen, wie in einem Kinderbuch. Geht das überhaupt angesichts der enormen Anforderungen? Oder müssen wir uns eher darauf einstellen, dass unsere Landschaft künftig ganz anders aussehen wird?
Da bin ich nicht so pessimistisch. Zumindest für Mitteleuropa denke ich, dass man gute Lösungen finden kann und den wesentlichen Prioritäten wie Klima, Landwirtschaft und Biodiversität gerecht werden kann. Schwierig scheint mir eher zu sein, die unterschiedlichen Interessen und Anforderungen klug zusammenzubringen.
Wir haben viel über Politik und Landnutzungsmanagement gesprochen. Was kann ich als Einzelperson tun, um der Bedrohung der Naturräume etwas entgegenzusetzen?
Ein erster Schritt ist es, sich der Zielkonflikte bewusst zu sein. Konkret zum Naturschutz beitragen kann man zum Beispiel mit seiner Ernährung. Wenn man weniger Fleisch und Milchprodukte konsumiert, ist das gut, oft auch für die eigene Gesundheit. Ein anderer Punkt ist weiterhin Lebensmittelverschwendung in Privathaushalten. Wer sparsam mit den Rohstoffen umgeht, hilft der Natur unmittelbar. Es gibt etliche Aktivitäten, bei denen man sich beteiligen kann, und sei es, den eigenen Garten so zu gestalten, dass mehr Tiere dort Futter und Unterschlupf finden. Dennoch meine ich, dass man mit solchen Hinweisen nur eine gewisse Gruppe von Konsumenten erreicht, viele aber nicht. Deshalb braucht es weiterhin Regulierungen beziehungsweise Entscheidungen auf höheren Ebenen.
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