Psychische Störungen: Immer mehr Minderjährige bekommen die Diagnose Depression
Psychische Störungen sind der häufigste Grund für Klinikaufenthalte von Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 17 Jahren. Wie das Statistische Bundesamt meldet, wurden im Jahr 2021 mehr als 426 000 Minderjährige ab zehn Jahren stationär im Krankenhaus behandelt. In rund 81 000 Fällen – fast einem Fünftel – war die Ursache eine psychische Erkrankung oder Verhaltensstörung; bei Mädchen sogar in fast einem Viertel der Fälle. Knapp dahinter folgen mit rund 80 000 Fällen Verletzungen und Vergiftungen. Der Anteil der psychischen und Verhaltensstörungen steigt seit einigen Jahren. 2011 machten sie erst 13 Prozent aus; im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es bereits 16 Prozent, 2021 schon 19 Prozent.
Die häufigste Diagnose bei Klinikaufenthalten von psychisch kranken 10- bis 17-Jährigen sind depressive Episoden: 2021 waren knapp 22 000 deshalb stationär in Behandlung. An zweiter und dritter Stelle folgten mit gut 9000 Fällen alkoholbedingte Störungen wie Missbrauch, Abhängigkeit, Vergiftungen oder Entzugssyndrome und mit knapp 8000 Fällen Belastungs- und Anpassungsstörungen nach schwierigen Ereignissen oder Veränderungen im Leben.
Depressive Kinder und Jugendliche sind nicht nur in Kliniken Thema. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) in Berlin hat Abrechnungsdaten von zwölf Millionen Versicherten im Alter von 0 bis 17 Jahren ausgewertet und festgestellt: Neudiagnosen von depressiven Störungen stiegen von 2019 bis 2021 um ein gutes Viertel auf 70 000, darunter rund drei Viertel Mädchen. Die Zahlen der deutlich selteneren Anorexie kletterten sogar um drei Viertel auf knapp 7000 Fälle, davon mehr als neun von zehn Mädchen. Jungen leiden öfter unter Verhaltens- und emotionalen Störungen wie ADHS, Tics und Stottern, allerdings mit eher rückläufigem Trend. Auch bei Entwicklungsstörungen sind Jungen in der Überzahl. Die häufigste Psychodiagnose bei Minderjährigen sind – mit mehr als 410 000 Fällen – Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache. Die Betroffenen sprechen oder verstehen Sprache nicht so, wie es ihrer Intelligenz entspräche, und ohne dass eine Ursache wie Schwerhörigkeit erkennbar wäre.
»Unsere Ergebnisse sind überwiegend konsistent mit anderen Befunden, die auf ein vermehrtes Auftreten von insbesondere depressiven sowie Ess- und Angststörungen im Verlauf der Sars-CoV-2-Pandemie hindeuten«, schreibt die Gruppe um die Epidemiologin Claudia Kohring. In einer Pressemitteilung spricht das Zentralinstitut von einer »zum Teil erheblichen Verschlechterung« der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Die Zahlen könnten sogar noch höher liegen, bedingt dadurch, dass es für die Betroffenen schwer sei, einen Therapieplatz zu bekommen.
Aus den vorliegenden Daten lässt sich jedoch nicht ableiten, ob psychische Erkrankungen bei Kindern tatsächlich häufiger auftreten oder ob sie lediglich häufiger Hilfe bekommen. Das Zi verweist selbst auf eine Studie, die zwischen 2003 und 2017 mehr Behandlungen, aber »relativ konstante« psychische Auffälligkeiten beobachtete. Das lege nahe, dass immer mehr Kinder und Jugendliche mit Versorgungsbedarf in Behandlung seien, so dass sich der Anteil der Diagnosen dem Anteil der Erkrankungen annähere. Dennoch sei wegen Engpässen in der Versorgung weiterhin von einer Dunkelziffer auszugehen.
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