Impfstoffe: Warum auch Geimpfte das Virus verbreiten könnten
Klar ist: Wer gegen das Coronavirus geimpft wurde, wird sehr wahrscheinlich nicht an Covid-19 erkranken, zumindest nicht schwer. Klinische Studien haben inzwischen sehr deutlich gemacht, dass die Impfstoffe die Krankheit verhindern. Doch eine andere Frage ist derzeit noch unbeantwortet: Verhindern sie auch die Infektion selbst? Wenn nicht, könnten Geimpfte, die sich Sars-CoV-2 eingefangen haben, das Virus weiterverbreiten – dank der reduzierten Symptome womöglich sogar, ohne es zu merken.
Der Unterschied zwischen einer Abwehr, die nur die Krankheit unterbindet, und einer sterilen Immunität, die das Virus vollständig eliminiert, sei die Stärke der Immunreaktion, sagt Peggy Riese vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. »Für eine sterile Immunität braucht man entweder eine große Menge neutralisierender Antikörper oder effektive zytotoxische T-Zellen im Blut.« Wichtig sei, das Virus nach dem Eintritt in den Köper so schnell zu eliminieren, dass dieses sich nicht vermehren und im Körper keine Infektion etablieren kann. »Gelingt das, gibt der Infizierte das Virus auch nicht weiter.«
Die zentrale Frage ist also, ob die Immunreaktion durch die Impfstoffe stark genug ist, um das Virus gleich nach dem Erstkontakt wieder loszuwerden. Die Antwort darauf ist entscheidend dafür, wie es mit der Pandemie weitergeht. Wenn die Impfung das Virus nahezu komplett stoppt, sind Geimpfte nicht nur selbst geschützt, sondern schützen auch ihre Kontakte. Jede Impfung würde dann weitere Erkrankungen verhindern und damit die Pandemie ausbremsen.
Wann ein Impfstoff sterile Immunität erzeugt
Im umgekehrten Fall würde der Impfstoff zwar die Symptome dramatisch reduzieren, das Virus könnte sich aber immer noch im Körper vermehren. Geimpfte würden dann weiterhin andere Menschen anstecken, statt einen Schutzschild zu bilden. Das hieße nicht, dass der Impfstoff gescheitert ist. Symptomatische und schwere Verläufe zu vermeiden, ist seine wichtigste Aufgabe.
Doch dass die aktuellen Coronavirus-Impfstoffe diese Aufgabe gut erfüllen, ist keine Garantie, dass eine sterile Immunität ebenfalls häufig ist. »Die Krankheit zu verhindern, ist meistens einfacher als die Infektion«, sagt Riese. Ob bei einer bestimmten Impfung beides gelinge, hänge von drei Punkten ab: »Der Art des Erregers, um was für einen Impfstoff es sich handelt und wie der Erreger übertragen wird.«
Vergleichsweise einfach hat man es zum Beispiel beim Gelbfieber, das von Mücken übertragen wird und nicht von Mensch zu Mensch. »Daher braucht es einen Impfstoff, der das Virus möglichst schnell bekämpft und somit die Entwicklung der Krankheit verhindert«, erklärt Riese. Das gilt auch für andere Krankheiten, die durch Tiere übertragen werden, zum Beispiel Denguefieber und Borreliose.
»Die Krankheit zu verhindern, ist meistens einfacher als die Infektion«Peggy Riese
Am anderen Ende des Spektrums liegt die Grippe. Gegen die muss man sich jedes Jahr neu impfen lassen, und die Vakzine enthält bis zu vier unterschiedliche Viren – dennoch schützt sie im Mittel nur etwa die Hälfte der Geimpften. Das liegt vor allem am Virus selbst. Grippeviren sind extrem ansteckend, so dass sie sich trotz Impfung im Körper vermehren und zwischen Menschen verbreiten können. Außerdem verändern sie sich dauernd, so dass der Impfstoffcocktail nicht alle kursierenden Viren optimal abdeckt.
Wie schützt man die Schleimhäute?
Auch Sars-CoV-2 ist ein hochansteckendes Atemwegsvirus, und bisherige Erfahrungen mit Impfstoffen gegen andere Coronaviren hatten ebenfalls darauf hingedeutet, dass eine sterilisierende Immunität schwer zu erreichen sein würde. Die sehr guten Zahlen der mRNA-Impfstoffe waren eine willkommene Überraschung. Was sie über den Schutz vor einer Infektion aussagen, ist allerdings unklar. Ein weiteres potenzielles Problem: Der Impfstoff kommt streng genommen am falschen Ort zum Einsatz und erzeugt möglicherweise deswegen keine sterile Immunität.
»Durch die intramuskuläre Impfung wird eine systemische Immunantwort stimuliert, die vor allem im Blutkreislauf stattfindet«, erklärt Riese. Doch das Virus vermehrt sich nicht im Körperinneren, sondern vor allem in den Schleimhäuten. Die Körperabwehr an den Grenzen zur Außenwelt, die mukosale Immunreaktion, ist eine andere als im Blut und in den Organen. Es sind besondere Bedingungen durch Infektion oder Impfung erforderlich, damit das Immunsystem spezifisch diese Barriere verstärkt. Eine wichtige Rolle spielt der Ort, an dem der erste Kontakt stattfindet.
»So wie die Impfungen jetzt sind, also intramuskulär in den Arm, ist es relativ schwer, eine wirklich gute mukosale Immunantwort zu erzielen«, erklärt Riese. Auch die bisherigen Erfahrungen mit Tierimpfungen gegen Coronaviren legen diesen Schluss nahe. Ein Grund dafür ist, dass in den Schleimhäuten ein anderer Antikörpertyp dominiert, das Immunglobulin A (IgA). Wer eine Corona-Infektion hinter sich hat, trägt in den Schleimhäuten viele für das Coronavirus spezifische IgA-Antikörper.
»Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis man genauer weiß, wie gut der Impfstoff vor der Infektion schützt«Peggy Riese
Zwar zeigen Studien, dass auch die Impfungen eine sehr gute Antikörperantwort erzeugen – doch das ist bisher nur für das im Blut zirkulierende Immunglobulin G nachgewiesen. Dass eine sterile Immunität zu Stande kommt, sei deswegen keineswegs klar, erklärt Riese. »Wenn wir eine richtig gute mukosale Immunität haben wollen, müssen wir auch über die Schleimhäute immunisieren.«
Warum Nasenspray-Impfstoffe schwierig sind
Ein Ansatz, direkt an der Eintrittspforte der Atemwegserreger zu impfen, sind Nasensprays. Bei Influenza zum Beispiel gibt es einige Erfahrungen mit solchen Vakzinen. Allerdings bringen Nasensprays ihre eigenen Probleme mit sich. All jene Verteidigungsmechanismen, die die Schleimhäute vor Viren, Bakterien und Schadstoffen schützen, stehen auch dem Impfstoff dabei im Weg, eine wirkungsvolle Immunisierung zu erzeugen. Enzyme im Schleim zum Beispiel bauen Bestandteile der Impfstoffe ab und machen es so schwer, eine einheitliche Dosierung zu erreichen.
Außerdem stellt eine Impfung über die Nase besondere Sicherheitsanforderungen – die Nasenschleimhaut ist über die Riechkolben direkt mit dem Gehirn verbunden. Deswegen müssen solche Nasensprays noch einmal deutlich gründlicher geprüft werden. Die mukosale Impfung sei sehr interessant, wenn es darum geht, nicht nur die Krankheit, sondern auch die Infektion zu verhindern, sagt Riese. »Aber es wird noch dauern, bis solche Impfstoffe zur Verfügung stehen.«
Bis dahin hoffen Fachleute, dass die Immunisierung durch die vorhandenen, in den Muskel gespritzten Impfstoffe ausreicht, um das Virus auch in den Schleimhäuten zu eliminieren – oder wenigstens zu bremsen. Immerhin zeigen Daten, dass die mRNA-Impfstoffe das Immunsystem reichlich für das Coronavirus spezifische Antikörper bilden lassen. Das bezieht sich aber bisher nur auf das im Blut dominierende IgG.
Ob auch die mukosale Immunantwort ausreichend ist, damit Geimpfte nach einer Infektion gar nicht mehr oder zumindest weniger ansteckend sind, untersuchen Fachleute derzeit in Studien. Das allerdings sei sehr aufwändig, sagt Riese, weil man ja selbst ohne Symptome infiziert sein könne. »Das hieße, ein Geimpfter müsste vielleicht jeden dritten Tag getestet werden, um festzustellen, ob er sich möglicherweise infiziert hat.«
Untersuchungen der Krankenkassen in Israel deuten laut Riese immerhin darauf hin, dass die erste Impfdosis auch die Übertragung des Virus um 30 bis 50 Prozent reduziere. Das seien aber nur allererste, noch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlichte Beobachtungen, sagt die Forscherin. »Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis man genauer weiß, wie gut der Impfstoff vor der Infektion schützt.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.