Intelligenz: Affenhirn auf Obst
Die menschliche Intelligenz gilt heute trotz wiederkehrender Zweifel als hinreichend belegt. Ihr Ursprung allerdings ist nach wie vor heftig umstritten. Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts versuchten Fachleute vor allem, die Vermutung vom "sozialen Gehirn" zu erhärten. Demnach sind komplexe soziale Beziehungen bei Primaten der wichtigste evolutionäre Antrieb hin zu mehr Intelligenz. Primaten werden umso schlauer, je vielseitiger ihr Sozialverhalten ist. Nun aber wollen drei Primatologen dieses Modell ins Wanken bringen. Ihre Alternative ist Obst.
Alex R. DeCasien, Scott A. Williams und James P. Higham von der New York University präsentieren in der Fachzeitschrift "Nature Ecology & Evolution" eine Analyse, nach der die Hirngröße bei Primaten von der Ernährung abhängt. Konkret hätten Primaten in einer Abstammungslinie ein größeres Denkorgan, wenn sie sich von Früchten ernähren statt von Blättern. Die Studie umfasst nach Angaben der Arbeitsgruppe mit über 140 Primatenspezies dreimal so viele Arten wie die nächstkleinere Untersuchung. Zusätzlich verglichen die drei Forscher Hirngröße, Ernährung und Sozialverhalten innerhalb einzelner Abstammungslinien, um Verzerrungen zu vermeiden.
Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass die Größe des Gehirns eben nicht mit der Gruppengröße zusammenhängt, wie es die Vermutung vom sozialen Gehirn erfordern würde – sondern mit der Ernährung. Primaten, die Früchte fressen, haben demnach größere Gehirne als solche, die Laub fressen. DeCasien und seine Kollegen spekulieren, dass Früchte zu finden kognitiv anspruchsvoller sei als andere Pflanzennahrung, weil es das Obst nur zu ganz bestimmten Zeiten an ganz bestimmten Orten gibt. Die physische Umgebung könne mithin ebenso komplex sein wie die soziale und so die Hirnentwicklung vorantreiben.
Trotz der sorgfältig konstruierten Studie ist allerdings unklar, welche Aussagekraft sie hat. Wie viele andere Forschungsarbeiten über den sozialen Hintergrund der Primatenintelligenz bezieht sie sich nicht auf das, was sie zu untersuchen beabsichtigt – geistige Fähigkeiten und soziale Komplexität –, sondern auf die leichter zu messenden Gehirn- und Gruppengrößen. Ein Zusammenhang zwischen diesen Hilfsgrößen und dem, wofür sie stehen sollen, ist bisher nicht belegt.
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