Bronzezeitlicher Seehandel: Ältestes Tiefsee-Schiffswrack im Mittelmeer entdeckt
Goldenes Sonnenlicht fiel auf die beiden Amphoren, die noch immer mit braunem Schlamm bedeckt waren, als sie die Wellen des Mittelmeers durchbrachen. Ihr Aufstieg vom Meeresboden aus 1800 Meter Tiefe und 90 Kilometer vom Land entfernt, hatte satte drei Stunden gedauert. Es war das erste Tageslicht, das sie seit mindestens 3200 Jahren gesehen hatten, und sie stammten aus dem einzigen Schiffswrack aus der Bronzezeit, das jemals in der Tiefsee entdeckt wurde.
Archäologen bargen diese kanaanitischen Vorratsgefäße, nur zwei aus einer Ladung von Dutzenden, die im Mai weit vor der Küste Nordisraels gefunden worden waren. Die Tiefsee sei eines der letzten unerforschten Gebiete der Archäologie, sagt Jacob Sharvit, Direktor für Meeresarchäologie bei der israelischen Altertumsbehörde. Nur eine Hand voll Schiffe aus der späten Bronzezeit wurden bisher entdeckt – allesamt jedoch in flachen Küstengewässern.
Sharvit war zusammen mit der israelischen Altertumsbehörde (IAA) und dem Offshore-Gasunternehmen Energean an der Leitung jenes komplexen archäologischen Unterfangens weit vor der Küste beteiligt, das die Krüge vom Meeresboden bergen sollte. In der Bronzezeit verschifften die Menschen solche Vorratsgefäße ab etwa 2000 v. Chr. quer durch die Levante. Damals explodierte der Seehandel im Mittelmeer geradezu.
Die zum Transport gefertigten Amphoren seien immer entweder spitz oder am Boden abgerundet, damit sie mit der Bewegung des Schiffs schaukeln, aber nicht umkippen und zerbrechen, erläutert Shelley Wachsmann, eine Expertin für Schiffsarchäologie an der Texas A&M University, die selbst nicht an der Bergung beteiligt war. Diese Alltagskeramiken wurden im Lauf der Jahrhunderte kontinuierlich weiterentwickelt, so dass sie heute anhand von Form und Design zuverlässig datiert werden können. Basierend auf dem Hals der jetzt entdeckten Krüge, dem ausgeprägten Winkel ihrer Schultern und ihres spitzen Bodens datieren die Forscher die Amphoren laut Pressemitteilung der IAA auf die Zeit zwischen 1400 und 1200 v. Chr.
Zu dieser Zeit segelten das Schiff und seine Besatzung in einer Welt florierenden internationalen Handels, der Diplomatie und relativen politischen Stabilität im östlichen Mittelmeer, das von den ägyptischen und hethitischen Reichen beherrscht wurde. Handelsschiffe, die Olivenöl, Wein, Erze, Holz, Edelsteine und zahlreiche andere Waren transportierten, kreuzten die Meere zwischen Griechenland, Zypern, Anatolien, der Levante und Ägypten.
»Damals war das Mittelmeer gewissermaßen globalisiert«, sagt Eric Cline, Professor für Archäologie an der George Washington University. »Zwischen dem ägyptischen, hethitischen und assyrischen Reich und den dazwischen liegenden Gebieten gab es reichlich Beziehungen, Handel und Diplomatie«, sagt Cline, der unlängst ein Buch über die Folgen des Zusammenbruchs dieser internationalen Ordnung in der späten Bronzezeit vorlegte. In der heutigen Ära der Globalisierung weckt dieser Zerfall besonderes Interesse bei Wissenschaftlern, die nach Hinweisen darauf suchen, wie vergangene Zivilisationen einst untergegangen sind.
Die ersten Hinweise auf das Schiffswrack tauchten 2023 bei einer Umweltuntersuchung auf, welche die Firma Energean im Vorfeld der Erschließung eines neuen unterseeischen Erdgasfelds durchführte. Die Sonaruntersuchungen sollten dazu dienen, ökologische Hotspots in der Tiefsee zu lokalisieren und vor den unterseeischen Bauarbeiten zu schützen. So berichtet es Karnit Bahartan, die Umweltbeauftragte von Energean. Demnach brachten Unterwasseruntersuchungen des nahe gelegenen Leviathan-Gasfelds, die 2016 von Noble Energy (jetzt Teil von Chevron) durchgeführt wurden, mindestens neun tiefseearchäologische Stätten zu Tage, darunter ein Schiffswrack aus der späten Bronzezeit. Einzelheiten zu den Funden wurden jedoch nie bekannt gegeben, und die Stätten wurden laut einem Bericht der israelischen Zeitung »Haaretz« im Jahr 2020 auch nicht ausgegraben.
»Wir suchten nach sensiblen Gebieten, empfindlichen Lebensräumen, nach allem, was es wert sein könnte, gerettet zu werden«, erinnert sich Bahartan. Bei näherer Betrachtung der Sonaraufnahmen mit einem ferngesteuerten Unterwasserfahrzeug (ROV) habe sich herausgestellt, dass es sich bei den meisten Signalen um modernen Müll handelte, sagt Bahartan, während sie durch Fotografien des ROVs scrollt. Die Bilder zeigen Plastiktüten, Liegestühle, Ölfässer und eine Toilettenschüssel mitsamt Sitz. Gelegentlich, so sagt sie, fänden sie und ihre Kollegen aber auch eine einsame Amphore oder Keramikfragmente.
Ein Sonarsignal jedoch entpuppte sich als eine große Ansammlung von Gefäßen, die aus dem Meeresboden ragten. »Ich schickte es einfach an die israelische Antikenbehörde«, berichtet Bahartan. Energean bot der IAA eine Mitfahrgelegenheit an Bord der Energean Star an, einem Offshore-Versorgungsschiff. Die Mission der Archäologen: Krüge und andere Artefakte vom Meeresboden in 1800 Meter Tiefe zu bergen, um die Herkunft des Schiffs zu bestimmen.
Sechs Stunden vom Hafen von Haifa entfernt schwebte die Energean Star über den Koordinaten des Wracks, und ein Kran ließ ein lastwagengroßes, kanariengelb-schwarzes ROV ins Meer hinab. Es dauerte eine Stunde, bis es den Meeresboden erreichte. Als es sich dem Grund näherte, ließ die Crew das ROV in Richtung der Fundstelle los. Sharvit verfolgte die Videoübertragung gebannt im engen Kontrollraum: Ein Wirbel aus »Meeresschnee« rauschte durch die tintenschwarze Dunkelheit über einem konturlosen Meeresboden. Innerhalb weniger Minuten kamen schwarze Formen, die aus dem grauen Sediment herausragten, in Sicht.
»Es ist verrückt,« sagte Sharvit damals. »Ich sehe nichts. Ich höre nur meinen Herzschlag.«
Dutzende Krüge, alle fast identisch und etwa einen halben Meter lang, lagen in einem Bereich von etwa 14 Meter Länge und 6 Meter Breite. Eine begrenzte Ausgrabung mit dem Saugbagger des ROV deutete darauf hin, dass es noch eine zweite Schicht von Gefäßen unter denen gab, die aus dem Schlick ragten.
Das ROV umrundete das Wrack und nahm ein hochauflösendes Video auf, das zu einem Fotomosaik der Fundstelle zusammengefügt werden sollte. Sharvit wählte einige Gefäße am Rand des Wracks aus, die mit minimaler Störung entnommen werden konnten. Er hatte gehofft, persönliche Gegenstände der antiken Besatzung zu finden, um damit die Herkunft des Schiffs bestimmen zu können, wurde aber nicht fündig. Die IAA führt derzeit eine so genannte petrografische Analyse der Keramiken durch, um herauszufinden, woher sie stammten; Analysen von Rückständen und Spurenelementen könnten helfen, ihren Inhalt zu identifizieren.
Cline, der weder an der IAA-Mission noch an der Vorstudie beteiligt war, erklärt, dass die vorgeschlagene Datierung das Wrack just in die Mitte der am stärksten vernetzten Periode der späten Bronzezeit in der Ägäis und im östlichen Mittelmeerraum einordnen würde, was sehr aufregend sei. Shelley Wachsmann von der Texas A&M University denkt, dass ein zusammenhängendes Wrack aus der Bronzezeit ein »unglaublicher Fund« sei, weil »jedes Schiffswrack im Grunde eine Zeitkapsel ist. Alles, was auf sich auf diesem Schiff befand, ging in einem bestimmten Augenblick unter.« Die Abwesenheit von Wellengang, Stürmen und menschlichem Treiben bedeute, dass das Schiff wahrscheinlich besser erhalten sei als vergleichbare Wracks, die in Küstennähe gefunden wurden, fügt sie hinzu. »Alles, was im Sediment vergraben wurde, wird dort überdauern, und es wird wahrscheinlich in einem besseren Zustand sein«, ergänzt Wachsmann.
Sollten noch Teile des Rumpfs vorhanden sein, war dies während der Operation der IAA jedoch nicht erkennbar. »Anscheinend ist das Schiff auf die Seite gekippt und so gesunken«, sagt Scharvit. »Ich vermute, dass einige hölzerne Überreste noch immer unter dem Haufen von Gefäßen im Schlamm begraben sind.« Ausgrabungen in der Tiefsee seien teuer, kompliziert und mit allerlei methodischen Problemen behaftet, sagt Sharvit und fügt hinzu, dass er wahrscheinlich nicht an den Fundort zurückkehren werde. »Aber auch wenn wir es nicht sind, können andere Forscher das Schiff in Zukunft ausgraben«, erklärt er.
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