James Webb Space Telescope: Das Universum so scharf wie nie zuvor
Gut 30 Jahre musste die Welt auf diesen Moment warten. So lange dauerte es von der ersten Idee eines Weltraumobservatoriums der Superlative wie dem James Webb Space Telescope (JWST) Anfang der 1990er Jahre bis zu den ersten Vollfarbbildern aus den unendlichen Weiten des Weltalls. Doch jetzt ist es endlich so weit. Am 12. Juli 2022 um 10.30 Uhr Ortszeit hat die Führungsriege der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA im Goddard Space Flight Center die ersten gestochen scharfen Aufnahmen des JWST präsentiert.
Zu sehen sind fünf Aufnahmen, die einige der spannendsten Gebiete der modernen astronomischen Forschung abdecken. Das erste Bild, bereits gestern präsentiert von US-Präsident Biden, ist eine Deep-Field-Aufnahme eines Galaxienclusters, umgeben von verzerrten Abbildern von noch weiter entfernten, rötlichen Galaxien im Hintergrund. Einige von ihnen existierten bereits, als das Universum gerade mal einige hundert Millionen Jahre alt war.
Natürlich dürfen auch Exoplaneten nicht fehlen. Deswegen ist eines der fünf ersten Bilder ein Spektrum des Exoplaneten WASP-96b, aufgezeichnet während seines Transits vor seinem Mutterstern. Die Daten zeigen Wasserdampf in der Atmosphäre eines Heißen Jupiters, der seinen Stern auf einer engen Umlaufbahn in nur rund dreieinhalb Tagen umrundet.
Das dritte Bild zeigt den Planetarischen Nebel NGC 3132 – die Staubwolke um einen Riesenstern, der Teile seiner Masse in den umgebenden Weltraum bläst. Das Innere der ihn umgebenden Staubwolke wird von den beiden Zentralsternen – dem hier rötlich erscheinenden Riesenstern und seinem Partner – extrem aufgeheizt und erscheint in der Infrarotaufnahme als diffuses Leuchten im Inneren der Staubhüllen.
Auch nahe Galaxien haben noch viele spannende Details zu bieten. Eine weitere Aufnahme des JWST zeigt Stephans Quintett, eine extrem enge Gruppe von fünf Galaxien im Sternbild Pegasus. Vier von ihnen bilden eine echte Gruppe und wechselwirken miteinander durch ihre gegenseitige Schwerkraft. Im Zentrum einer der Galaxien speit ein supermassereiches Schwarzes Loch einen Jet aus Gas und Plasma in den umgebenden Weltraum.
Das fünfte Foto des James Webb Space Telescope erinnert – vermutlich nicht aus Zufall – an eines der ikonischsten Hubble-Bilder. Es zeigt den rund 7600 Lichtjahre entfernten Carinanebel in beispiellosen Details, eine Region mit dichten Wolken aus Gas und Staub, die zu neuen Sternsystemen kollabieren. Anders als in früheren Bildern sind Dutzende neu gebildete Sterne zu sehen, ebenso wie die Staubfilamente und blasenförmigen Hohlräume, die heftige Sternwinde in die Staubwolke reißen.
Bislang hatten die gemeinsam an dem Projekt beteiligten Weltraumorganisationen NASA, ESA (European Space Agency) und CSA (Canadian Space Agency) lediglich einige viel versprechende Testaufnahmen gezeigt, um zu demonstrieren, dass die vier wissenschaftlichen Instrumente und der Hauptspiegel, der aus 18 goldbeschichteten Segmenten besteht, einwandfrei funktionieren.
Die Erleichterung darüber ist groß. Denn nicht nur die Kosten für das Jahrhundertprojekt stiegen von ursprünglich geplanten 500 Millionen Dollar nach und nach um das 20-Fache auf 10 Milliarden Dollar. Auch technische Schwierigkeiten hatten den (ursprünglich für das Jahr 2007 geplanten) Start immer weiter nach hinten geschoben, bis eine Ariane-5-Rakete dann am 25. Dezember 2021 endlich vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana abhob. Rund vier Wochen später erreichte das Teleskop schließlich seinen Zielorbit, den so genannten Lagrange-Punkt L2, etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erdoberfläche entfernt.
Auf der langen Reise entfaltete sich das Teleskop wie eine Origami-Figur. Es wurden unter anderem der Sonnenschutz aufgespannt und die Spiegelsysteme ausgefahren. Danach erfolgte die Feinjustierung. Im Mai 2022 dann ein kurzer Schreckmoment: Eines der Hauptspiegelsegmente des Teleskops war von einem Mikrometeoriten getroffen worden. Mikrometeoriten sind winzige Staubteilchen mit einer Größe von typischerweise einigen hundert Mikrometern bis zu einigen Millimetern. Doch zum Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntgabe Anfang Juni erfolgte auch direkt die Entwarnung im NASA-Blog: »Nach ersten Einschätzungen lässt sich sagen, dass das Teleskop trotz eines geringfügig feststellbaren Effekts in den Daten immer noch auf einem Niveau arbeitet, das alle Missionsanforderungen übertrifft.«
Daten werden aufwändig aufbereitet und visualisiert
Weil sich das Universum seit dem Urknall rasch ausdehnt, wird die Wellenlänge des Lichts besonders alter Sterne und Galaxien so sehr gedehnt, dass es uns heute als extrem schwache Infrarotstrahlung erreicht. Das Teleskop erstellt deshalb Spektralanalysen im Infrarotbereich und schickt sie als Datensatz zur Erde. Diese abstrakten Messdaten müssen aufwändig aufbereitet und visualisiert werden, damit auch Laien etwas damit anfangen können. »Wir stehen an der Schwelle zu einer unglaublich aufregenden Epoche der Erkundung unseres Universums«, sagte Eric Smith, leitender Wissenschaftler im NASA-Hauptquartier in Washington, vorab. »Die Veröffentlichung der ersten Vollfarbbilder von Webb ist für uns alle ein einzigartiger Moment, um innezuhalten und eine Ansicht zu bewundern, die die Menschheit noch nie zuvor gesehen hat.«
Forscherinnen und Forscher erhoffen sich von den Aufnahmen unter anderem Erkenntnisse über die Zeit nach dem Urknall vor mehr als 13 Milliarden Jahren. Zudem wollen sie bewohnbare Exoplaneten studieren und bisher unbekannte Erscheinungen im Kosmos entdecken. Astrophysiker Eric Smith: »Diese Bilder markieren den Höhepunkt von jahrzehntelangem Engagement, Talent und Träumen – sie werden aber auch erst der Anfang sein.«
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