Junge Galaxien: Magnetfelder im frühen Universum
Magnetfelder sind im Universum allgegenwärtig und spielen bei der Entstehung und Entwicklung der meisten kosmischen Objekte eine Rolle. Wie wichtig diese Rolle ist, hängt von Stärke und Struktur der Felder ab. Wie die Magnetfelder entstehen und sich verändern, ist bisher nur ansatzweise verstanden. Eine neue Entdeckung hat dazu nun einen wichtigen Puzzlestein beigetragen.
Nützlicher Linseneffekt
James Geach von der University of Hertfordshire in Großbritannien und sein Team berichten im Fachjournal »Nature« über die Entdeckung eines großräumig geordneten Magnetfelds in einer Galaxie namens 9io9 bei einer kosmologischen Rotverschiebung von z = 2,6, was einer Epoche von rund 2,5 Milliarden Jahren nach dem Urknall entspricht (siehe »Distanzrekord mit Galaxie 9io9« und »Emission einer fernen Galaxie«). Dazu benutzten sie das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) in Chile bei einer Frequenz von 242 Gigahertz oder 1,2 Millimeter Wellenlänge. Die beobachtete Strahlung hat im Ruhesystem der Galaxie – also »vor Ort« – eine Wellenlänge von ungefähr 350 Mikrometern (Ferninfrarot). Die Messung mit ALMA war nur möglich, weil eine Gravitationslinse im Vordergrund die Galaxie etwa zehnmal größer und 15-fach heller macht. Eine Galaxienscheibe von gut 16 000 Lichtjahren Größe ist unter normalen Umständen nur etwa 0,6 Bogensekunden groß und könnte daher nicht mit ALMA aufgelöst werden.
Die als Gravitationslinse fungierende elliptische Galaxie bei einer geringeren Rotverschiebung von etwa z = 0,2 verzerrt 9io9 zu einem unvollständigen Einstein-Ring (siehe »Fast ein EinsteinRing«). Die Autoren zeigen in ihrem Artikel, dass eine Scheibe von etwa 16000 Lichtjahren Länge durch die Gravitationslinse verbogen wird, wogegen die angenommene konstante Ausrichtung des Magnetfelds entlang der Scheibe, wie sie in nahen Spiralgalaxien beobachtet wird, nicht mit verformt wird (siehe »Spiralgalaxie NGC 891 im Infraroten«). Das Ergebnis der Simulation kommt der Beobachtung nahe, wenn eine zweite Magnetfeldkomponente mit zufälligen Richtungen angenommen wird.
Damit besitzt 9io9 das bisher entfernteste geordnete Magnetfeld in einer Scheibengalaxie. Noch weiter entfernte geordne-te Felder sind nur mit Hilfe der polarisierten Synchrotronstrahlung in Jets von Radiogalaxien mit Rotverschiebungen von bis zu z = 5,3 gefunden worden.
Der Name 9io9 ist der Identifikationsname des Linsensystems, das im Rahmen des öffentlichen Projekts Space Warps von mehreren Amateurastronomen unabhängig in Bildern des Sloan Digital Sky Survey gefunden wurde. Folgebeobachtungen zeigten im Ferninfraroten (FIR), im Submillimeterbereich und im Radiobereich eine sehr helle Starburst-Galaxie mit einer Sternbildungsrate, die rund 1000-fach höher ist als die unserer Galaxis.
Staubpolarisation verrät Feldrichtung
Die Ursache der linear polarisierten Strahlung im FIR sind längliche Staubkörner im interstellaren Medium, die durch Strahlung aus der Umgebung ein Drehmoment erhalten und sich senkrecht zu den Magnetfeldlinien ausrichten (siehe »Ausrichtung von Staubkörnern in Magnetfeldern«). Die Staubkörner senden thermische Strahlung im FIR aus, die senkrecht zu den Feldlinien schwach polarisiert ist – im Fall von 9io9 sind das nur 0,6 Prozent. Die FIR-Polarisation erlaubt also die Messung der Orientierung der Magnetfelder im kalten interstellaren Medium, die parallel zur Scheibe des kalten interstellaren Gases verläuft (siehe »Spiralgalaxie NGC 891 im Infraroten«). Die Polarisation der Radio-Synchrotronstrahlung zeigt dagegen das Magnetfeld im warmen, diffusen Gas, das weit aus der Scheibe herausreicht (siehe »Radiokarte von NGC 891«).
Ausrichtung von Staubkörnern in Magnetfeldern
Staubkörner im interstellaren Medium haben eine Größe von 5 bis 500 Mikrometern und eine irreguläre, längliche Struktur. Die im Jahr 1949 entdeckte Ausrichtung der Staubkörner im interstellaren Magnetfeld ist noch immer nicht völlig verstanden. Dabei spielen die Größe, die chemische Zusammensetzung, die Rotationsgeschwindigkeit, die äußere Magnetfeldstärke und die Trefferquoten von Gasatomen, Photonen und Teilchen der kosmischen Strahlung eine Rolle. Interstellares Eisen verbindet sich mit Kohlenstoffketten zu Molekülen, kommt aber nicht in reiner Form vor; daher gibt es keine interstellaren Kompassnadeln. Die entscheidende Rolle spielen Silikate mit paramagnetischen Eigenschaften. Paramagnetische Stoffe werden in einem äußeren Magnetfeld magnetisiert und von diesem angezogen, aber ohne ein äußeres Magnetfeld zeigen sie keine magnetische Ordnung.
Nach der Idee von Leverett Davis und Jesse Greenstein aus dem Jahr 1951 werden die Staubkörner durch Stöße von Gasatomen in Rota-tion versetzt. Die Rotationsachse präzediert um die Magnetfeldrichtung. Der kumulative Effekt von Drehmomenten durch zufällig auftreffende Teilchen führt zu einer langsamen Ausrichtung der Rotationsachse parallel zur Magnetfeldrichtung, also einer Ausrichtung der Hauptachse der Teilchen senkrecht zum Magnetfeld (Davis-Greenstein-Effekt). Leider stellte sich heraus, dass dieser Vorgang zu ineffektiv und zu langsam ist. Nach den Forschungsarbeiten von Alex Lazarian and Thiem Hoang aus dem Jahr 2007 werden die Drehmomente durch Photonen aus dem unsymmetrischen (anisotropen) Strahlungsfeld benachbarter Sterne übertragen. Durch die Bestrahlung mit Sternlicht überschreitet die Rotation der Staubkörner mehr als eine Million Rotationen pro Sekunde. Das wird als »superthermisch« bezeichnet, was bedeutet, dass die Rotationsenergie größer ist als die Wärmeenergie der Teilchen. Das beschleunigt den Ausrichtungsprozess, der nur noch einige zehntausend Jahre benö-tigt. Diese Theorie kann erklären, wieso kleine Teilchen nicht ausgerichtet werden: Sie werden nicht so häufig von Photonen bestrahlt. Auch Teilchen in dichten Molekülwolken sind nicht ausgerichtet, weil dort das Strahlungsfeld zu schwach ist.
Als Ergebnis der Ausrichtung rotieren die Staubkörner mit ihren Hauptachsen senkrecht zu den Magnetfeldlinien. Warme Staubkörner senden Ferninfrarotstrahlung aus, deren lineare Polarisationsrichtung senkrecht zur Komponente des Magnetfelds in der Himmelsebene beobachtet wird. Staubkörner absorbieren auch das Licht von Sternen, die auf der Sichtlinie hinter der Staubwolke liegen, und zwar vorzugsweise senkrecht zum Magnetfeld. Die Polarisationsrichtung der optischen Strahlung verläuft daher parallel zum Magnetfeld in der Himmelsebene (siehe »Polarisation durch Staub«).
Die Ausrichtung der Staubteilchen ist alles andere als perfekt: Nicht alle Teilchen sind paramagnetisch, nicht überall ist das Strahlungsfeld ausreichend stark, Stöße von Gasatomen oder Teilchen der kosmischen Strahlung können den Ausrichtungsprozess stören; außerdem sind die Magnetfeldrichtungen teilweise turbulent. Es verwundert daher nicht, dass die beobachteten Polarisationsgrade wenige Prozent nicht übersteigen. Der Mittelwert über eine Galaxie wie NGC 891 beträgt nur rund ein Prozent.
Die Magnetfeldstärke in 9io9 lässt sich abschätzen, wenn man annimmt, dass das Magnetfeld und die Turbulenz des kal-ten Gases eine ähnliche Energiedichte haben. Die daraus folgende Feldstärke in 9io9 von etwa 500 Mikrogauß, was 5 × 10–8 Tesla entspricht, ist viel höher als die in nahen Spiralgalaxien wie NGC 891, aber ähnlich derjenigen in nahen Starburst-Galaxien wie Messier 82. Die FIR-Methode zur Messung von Magnetfeldern wird seit Langem erfolgreich auf Staub-wolken im Milchstraßensystem und in nahen Galaxien angewendet, zum Beispiel mit dem Polarimeter HAWC+ an Bord von SOFIA. Jetzt gelang der Sprung zu weit entfernten, jungen Galaxien.
Ursprung der Magnetfelder
Wie passen die neuen Ergebnisse zu unserer rudimentären Vorstellung von der Entstehung und Entwicklung von kosmischen Magnetfeldern? Schwache Saatfelder lassen sich durch systematische Trennung zwischen elektrischen Ladungen erzeugen, beispielsweise in der Nähe von rotierenden, kompakten Galaxienkernen (»Biermann-Batterie«) oder in den Überschallstoß-fronten in sehr jungen Galaxien (Protogalaxien). Auch Phasenübergänge im sehr jungen Universum könnten schwache Saatfelder hinterlassen. Die Feldverstärkung um viele Größenordnungen übernimmt dann in jungen Galaxien ein kleinskaliger Dynamo, der einen Teil der Energie von turbulenten Gasbewegungen auf Skalen von weniger als 100 Lichtjahren in magnetische Energie verwandelt. Dieser Prozess benötigt nur wenige zehn Millionen Jahre. Es ist daher kaum überraschend, dass die jüngsten bekannten Radioquasare bei Rotverschiebungen von mehr als z = 7,5 im Alter von nur rund 700 Millionen Jahren nach dem Urknall bereits starke (ungeordnete) Magnetfelder besitzen, um intensive Synchrotronstrahlung aussenden zu können.
Der kleinskalige Dynamo produziert nur ungeordnete, also turbulente Magnetfelder. In relativ nahen Galaxien wie NGC 891 beobachten wir jedoch großräumig geordnete Magnetfelder. Die gemessene Faraday-Rotation in der Andromedagalaxie Messier 31 zeigt sogar ein Feld mit großräumig einheitlicher Richtung. Zur Erklärung wird die Theorie des großskaligen Dynamos herangezogen, der auf Skalen von einigen tausend Lichtjahren arbeitet und von Turbulenz und differenzieller Rotation angetrieben wird. Die Zeitskala bis zur vollständigen Richtungsordnung beträgt einige hundert Millionen Jahre, bei großen Galaxien mehrere Milliarden Jahre.
Zuvor wurden im Jahr 2017 entfernte Magnetfelder mit großräumig geordneter Richtung von der Astronomin Sui Ann Mao und ihrem Team vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn in einer Galaxie bei einer kosmologischen Rotverschiebung von z = 0,44 gefunden.
Ist das geordnete Magnetfeld in 9io9 also ein großräumiges Dynamofeld? Die Autoren kommen in ihrem Artikel in »Nature« zu dem Schluss, dass die für die Anregung des Dynamos nötigen Bedingungen nicht erfüllt sind. Allerdings basiert diese Abschätzung auf einem Dynamomodell für nahe, gealterte Galaxien, das nicht unmittelbar auf junge Galaxien anwendbar ist. Das Alter von 9io9 ist jedenfalls ausreichend für die Produktion eines Dynamofelds. Andererseits ist es möglich, dass das Feld in 9io9 geordnet erscheint, aber keine großräumige Richtungsordnung hat. Die Feldrichtungen könnten auf kleinen Skalen um 180 Grad springen, wie bei komprimierten turbulenten Feldern, die in den Spiralarmen naher Galaxien beobachtet werden. Klarheit könnte das Messen der Faraday-Rotation von polarisierter Synchrotronstrahlung im Radiobereich bringen. Da die Dreh- von der Feldrichtung abhängt, lassen sich in der Orientierung konstante von sprunghaften Feldern unterscheiden. Letztere erzeugen nämlich keine große Faraday-Drehung.
Die Galaxie 9io9 wurde im Radiobereich bereits im Jahr 2014 mit dem Very Large Array bei fünf Gigahertz beobachtet, allerdings ohne einen Nachweis von Polarisation. Vermutlich war die Beobachtungszeit nicht ausreichend lang. Für eine Suche nach Faraday-Rotation wäre eine Beobachtungsfrequenz von fünf Gigahertz zu hoch. Bei einer Quelle mit der Rotverschiebung von z ist die Frequenz bei der Abstrahlung (1 + z)-mal höher. Der Faraday-Rotationswinkel nimmt mit dem Quadrat der Frequenz ab und wäre bei 18 Gigahertz kaum noch nachweisbar.
Neue Polarisationsmessungen bei niedrigeren Radiofrequenzen sind also nötig, um die Existenz eines Dynamofelds in jungen Galaxien zu untermauern. Dafür gibt es neben 9io9 noch andere interessante Kandidaten mit »Gravitationslinsen-Turbo«.
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