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Experimentalphysik: Kamera für allerschnellste Filme

Die Anlage ist mehrere Kilometer groß und das Objekt des Interesses etwa ein zehntel milliardstel Meter. So sehen die Dimensionen aus, wenn Forscher beobachten wollen, wie Atome auf Laserstrahlen reagieren.
Schnappschüsse bewegter Atome
Im Lehrbuch ist alles starr. Atome sitzen als feste Kügelchen an wohl definierten Orten und bauen ein ordentliches Gitter oder Molekül auf. In der Theorie sausen die Elektronen auf der Energieoberfläche der Quantenphysik herum und zappeln Atomkerne um statistische Ruhelagen. In der Praxis hat noch niemals jemand gesehen, ob das alles wirklich so passiert.

Das Problem ist, dass die Welt der Atome ungeheuer klein ist – so im Bereich um 0,000 000 000 1 Meter – und noch ungeheurer schnell. Um auszudrücken, wie schnell sich Moleküle an Stress anpassen, brauchen wir Sekundenangaben mit etwa elf Nullen nach dem Komma. Für die Vibrationen von Atomen kommt noch eine Null hinzu, und die Kollision von zwei Elektronen in Festkörpern verlangt eine weitere Null. Dehnnen wir einmal zum Größenvergleich den Zeitraum einer normalen Sekunde auf das Alter der Erde (ungefähr 4,6 Milliarden Jahre) aus, so fänden die Aktionen der Atome im Bereich von Stunden statt.

Mit den winzigen Ausmaßen kommen Wissenschaftler schon seit einigen Jahrzehnten wunderbar zurecht. Ihr Geheimrezept heißt Röntgenstrahlung. Deren Wellenlängen sind so kurz, dass sie bereits auf einzelne Atome reagieren und hinter einer Probe seltsame Fleckenmuster auf dem Detektor erzeugen, aus denen Spezialisten die mittlere Position der Atome bestimmen können. Zahlreiche farbenfrohe Modelle von Molekülen, Kristallen und ganzen Viren verdanken wir dieser Technik. Der ultraschnellen Zeit war die Forschung hingegen bislang nicht mit atomarer Genauigkeit auf den Fersen. Doch das könnte demnächst anders werden. Ein großes Team um David Mark Fritz vom Stanford Linear Accelerator Center hat nun die Probleme gelöst, die den schnellen Blick ins Kleinste so schwierig machen.

Zum einen standen die Wissenschaftler vor der Schwierigkeit, ausreichend starke und kurze Röntgenpulse zu generieren. Eine übliche Quelle dafür sind Elektronenstrahlbündel, die in einem Undulator genannten Gerät mit Magnetfeldern auf kurvige Bahnen gezwungen werden und dabei Strahlung aller Art abgeben. Die Elektronen wiederum stammen für gewöhnlich aus riesigen kreisförmigen Teilchenbeschleunigern, doch deren Qualität reichte für die anstehenden ultraschnellen Messungen nicht aus. Stattdessen setzte das Team den drei Kilometer langen geraden Beschleuniger des Stanford Linear Accelerator Centers ein – ein Prototyp, der den Durchbruch bei der Elektronenqualität brachte.

Wann geht es los? | Ein Problem bei der zeitlich hochaufgelösten Vermessung von atomaren Bewegungen liegt darin, dass der messende Röntgenpuls zu einem unbekannten Zeitpunkt kommt. Um die einzelnen Komponenten ihres Experiments miteinander zu synchronisieren, bedienten sich David Fritz und seine Kollegen darum eines Tricks: Ein elektrooptischer Kristall (grün) verändert seine Eigenschaften, wenn der Elektronenstrahl (weiß) vorbeifliegt, der kurz darauf die Röntgenstrahlen auslöst. Ein Laser (rot) registriert die Reaktion des Kristalls und gibt das Signal an den eigentlichen Versuchsaufbau in rund hundert Metern Entfernung weiter.
Allerdings haperte es an der Zuverlässigkeit der Röntgenstrahlung. Wann genau diese auftaucht, ist nämlich nicht beliebig exakt vorherzusagen. Die Pulse entstehen spontan und damit ein wenig zufällig. Will man jedoch die Atome dabei beobachten, wie sie "etwas machen", müssen sie es natürlich zur richtigen Zeit machen – also dann, wenn der messende Röntgenpuls unterwegs ist. Die richtige Synchronisation war gefragt, im Zeitraum von tausendstel milliardstel Sekunden.

Einzelbilder für den Film | Die auslösenden Signale für hundert Einzelbilder. Die Hügel zeigen an, zu welchem Zeitpunkt die jeweiligen Aufnahmen gemacht wurden. Die Zeitskala auf der x-Achse zählt hier in Pikosekunden – tausendstel milliardstel Sekunden. In die richtige Reihenfolge gebracht, liefern die dazugehörigen Bilder einen Film über die atomaren Abläufe in dieser Zeit.
Die Physiker um Fritz nutzten schließlich den Nachteil der unzuverlässigen Pulse zum Vorteil für ihre Messungen. Statt den Röntgenbeschuss zu einem festgelegten Zeitpunkt starten zu wollen, ließen sie ihn einfach nach seiner eigenen Laune kommen – und steuerten damit indirekt die anderen Teile des Experiments: Sie verwendeten einen elektrooptischen Kristall, der seine Eigenschaften verändert, wenn der Elektronenstrahl vorbeikommt. Während letzterer kurz darauf die Röntgenstrahlen auslöst, registriert ein Laser die Reaktion des Kristalls und gibt das Signal an den eigentlichen Versuchsaufbau in rund hundert Metern Entfernung weiter. Auf diese Weise erhielten sie bei einer langen Folge von Pulsen ebenso viele Standbilder von leicht unterschiedlichen Zuständen der Probe. In die richtige zeitliche Abfolge gebracht, ergibt dies einen Film der atomaren Bewegungen.

In ihren ersten Versuchen verfolgten die Wissenschaftler die Reaktionen von Bismut-Atomen auf die Anregung ihrer Elektronen mit Laserlicht. Ein vergleichsweise unspektakulärer Auftakt im Angesicht der Vorhaben, mit denen Forscher demnächst an die Tür klopfen werden. Wie chemische Reaktionen ablaufen, was Supraleiter auf atomarer Ebene machen, wie sich dünne Filme ablagern und welche Tricks bei den ersten Schritten der Fotosynthese ablaufen, wird in bewegten Bildern erst so richtig verständlich. Die Kamera dafür gibt es nun endlich.

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