Kardinal Richelieu: Alle für einen, einer für Frankreich
Die drei Männer wirken souverän, beherrscht bis zur emotionalen Kälte, als ob sie das Geschehen um sich herum vollkommen kontrollieren. Die drei Porträtansichten aus dem Jahr 1642 zeigen ein und dieselbe Person, den damals mächtigsten Mann Frankreichs: Richelieu, Kardinal und Premierminister unter – oder eher – über König Ludwig XIII.
Armand-Jean du Plessis, duc de Richelieu (1585–1642), wie er mit vollem Namen hieß, war ein Mann mit vielen Gesichtern – Theologe, Politiker, Meisterspion, Gegner der drei Musketiere und eine Inkarnation des Machiavellismus. Auf dem Gemälde von Philippe de Champaigne (siehe Bild oben), das heute in der National Gallery London hängt, wirkt Richelieu janusköpfig. Doch seine Lebensgeschichte zeigt, dass der Mann kein Wendehals war. Er wechselte zwar oft die Verbündeten, verlor jedoch nie sein Ziel aus den Augen: Frankreich zur Grande Nation zu machen. Sich selbst und dem Land war der Kardinal also immer treu geblieben.
Das Porträt aus drei Perspektiven stellt Richelieu denn auch als einheitliche Figur dar. Es sollte Bildhauern als Vorlage für eine Statue dienen, vor allem weil der Kardinal keine Zeit hatte, lange Modell zu sitzen. Schon gar nicht in Italien, wo Künstler wie Gian Lorenzo Bernini und Francesco Mochi mit Hilfe der drei Ansichten ein Marmorbildnis von Richelieu fertigen sollten.
Richelieu und die Musketiere
Das Dreifachporträt ist nicht die einzige irritierende Darstellung des Kardinals. Viel bekannter ist seine Figur im Mantel-und-Degen-Epos »Die drei Musketiere«. Wer nur wenig über Richelieu weiß, kennt ihn zumindest als Gegner von d'Artagnan, Athos, Porthos und Aramis. Im Roman von Alexandre Dumas (1802–1870) gibt es eine Szene, die keine Verfilmung auslässt, wie der Romanist Ralf Junkerjürgen von der Universität Regensburg in seinem Buch über Dumas schreibt: der Moment, als der junge Gascogner d'Artagnan zu den drei Musketieren stößt. Eigentlich wollte er sich mit ihnen duellieren, doch die vier werden von der Garde des Kardinals überrascht. Duelle sind verboten, weil sie der aufmüpfigen, selbstbestimmten Tradition des Adels entstammen – und den will der Kardinal mit allen Mitteln zähmen. Doch wer sich duelliert, entzieht sich seiner Kontrolle. D'Artagnan weiß, dass der Kardinal und seine Garde die »natürlichen Feinde der Musketiere« sind. Denn die Musketiere dienen dem König, die rote Garde dem Kardinal.
D'Artagnan stellt sich auf die Seite der neuen Freunde und »gegen den mächtigsten Mann Frankreichs«. Die Rivalität zwischen den Musketieren und den Garden ist keine Erfindung von Dumas. Dass König und Premierminister jeweils ihre eigene Leibgarde brauchten und dass sich diese heimlich bekämpften, resultierte aus den feindseligen Verhältnissen am Hof von Ludwig XIII. (1601–1643). Die Atmosphäre war bestimmt von Intrigen, Misstrauen und brüchigen Bündnissen. Ständig drohten Aufstände, Machtverlust und Attentate.
Die tiefe Zwietracht, die den Pariser Hof spaltete, zeigte sich mit aller Deutlichkeit im Dreißigjährigen Krieg. Der Konflikt, der von 1618 bis 1648 ganz Europa verheerte, entzündete sich am Gegensatz zwischen den Habsburgern in Österreich und den Bourbonen in Frankreich – und reichte bis in die königliche Familie hinein, weil Frankreichs Königin aus dem Haus Habsburg stammte und ihr Bruder König von Spanien war. Richelieu wähnte sein Land von den Habsburgern umzingelt und wollte deren Vormacht in Europa zu Gunsten Frankreichs brechen. Selbst wenn dies bedeutete, als Katholik Krieg gegen Katholiken zu führen. In dem Konflikt ging es längst nicht nur um religiöse Gegensätze zwischen Protestanten und Katholiken. Es standen Adelige gegen Könige, Minister gegen Stände, die Königinmutter gegen den König. Misstrauisch zu agieren, war in dieser Situation kein Charakterfehler, sondern für alle Beteiligten überlebenswichtig.
Nun war Dumas ein großer Erzähler. Vieles in seinem Roman ist zwar genau recherchiert und nah an den historischen Tatsachen, anderes aber übertrieben und holzschnittartig. Auch Richelieu. Seine politischen Errungenschaften spart der Roman aus. Dafür dürfte die Charakterzeichnung den Franzosen ganz gut getroffen haben. Der Kardinal im Roman ist misstrauisch bis zur Paranoia, er ist kränklich, machtgierig und hinterhältig, zudem ein regelrechter Workaholic. Niemand mag ihn, nicht einmal der König.
Der Kardinal und sein König
Als junger Mann wollte Richelieu zum Militär. Doch mitten in der Ausbildung beschloss sein älterer Bruder, Mönch zu werden und nicht, wie vorgesehen, Bischof. Das Amt musste aber von der Familie besetzt werden, also tauschte Armand 1607 den Degen gegen die Soutane. Als Richelieu 1616 ins Zentrum der Macht vorrückte, war sein Dienstherr Ludwig noch ein Kind. Dessen Mutter, Maria von Medici (1575–1642), leitete die Regierungsgeschäfte und hatte sich dafür den klugen, ehrgeizigen Bischof an die Seite geholt.
Im Alter von 16 Jahren wollte Ludwig jedoch selbst regieren. Mutter und König gerieten aneinander. Und Richelieu entschied sich in dem Zwist für den König. Maria von Medici versuchte danach mehrfach, den Kardinal zu stürzen. Die Scharmützel zwischen Richelieu und der Königinmutter mündeten schließlich in einem Showdown am 11. November 1630, dem denkwürdigen »Tag der Geprellten«, wie er bald danach genannt wurde. Der Kardinal sprengte ein Komplott, das die Königinmutter, der Königsbruder und die Königin gegen ihn geschmiedet hatten. Richelieu wurde ihnen zu mächtig, sein Einfluss auf den König zu absolut. Der Premier erfuhr über seine Spione davon, platzte ins Gespräch und zog den König wieder auf seine Seite. Die Königinmutter wurde schließlich ins Exil geschickt. Diese Intrige und viele zuvor vereitelte Richelieu geschickt und entschied die Konflikte für sich.
Sechs Jahre zuvor, am 28. April 1624, hatte der König Richelieu in den Staatsrat berufen, in das Gremium der höchsten Würdenträger des Landes. Noch im selben Jahr, am 13. August, erhob er ihn dann zum Premierminister. Bei seinem ersten Auftritt im Staatsrat versprach der Kardinal, die »Partei der Hugenotten zu zerstören, den Hochmut der Großen zu verringern« und Frankreich groß zu machen. Er sollte alle seine Versprechen halten.
Die calvinistisch geprägten Hugenotten hatten sich im 16. Jahrhundert mehr als drei Jahrzehnte mit den Katholiken im Land bekriegt. Sie besaßen eigene Truppen und gut befestigte Städte – und gerieten deshalb ins Visier von Richelieu, weil sie seiner Idee einer Zentralmacht im Weg standen. Mit der Einnahme der Hugenottenstadt La Rochelle, die der Kardinal ein Jahr lang, von 1627 bis 1628, belagern ließ, raubte er dem Gegner jede Macht und etablierte in Frankreich den dominierenden Katholizismus. Nach und nach entkräftete Richelieu auch den aufmüpfigen Hochadel und stärkte damit die Monarchie und den Zentralismus des Landes; in 18 Jahren im Amt führte er mehrere politische und militärische Reformen durch. Damit legte er das Fundament für den Absolutismus. Ludwig XIII. hatte nicht im Entferntesten das Zeug zum absolutistischen Herrscher, aber das kümmerte Richelieu nicht, denn es ging ihm nicht um den König, sondern um die Monarchie.
Ein wankelmütiger Herrscher ohne Thronfolger
Ludwig war ein schwacher König. Nicht sehr intelligent, strategisch eine Null, genusssüchtig, verschwenderisch und launisch. Ständig war er krank, er stotterte und einen Thronfolger brachte er auch nicht zu Stande, klagte der Hof. Wenn er schlechte Laune hatte, schoss er im Schlosspark auf Spatzen. Dabei erwischte er einmal um ein Haar seine Frau, Anna von Österreich (1601–1666). Die ohnehin schon angespannte Ehe wurde danach noch komplizierter. Der Thronfolger ließ auf sich warten, was die Position von Ludwig weiter schwächte. Was war schon ein König ohne Kronprinzen?
Die Feinde wetzten längst die Messer. Sollte der kränkliche König ohne Nachkommen bleiben, würde sein jüngerer Bruder Gaston d'Orléans (1608–1660) den Thron besteigen. Die Idee gefiel nicht nur Gaston, sondern auch seiner Mutter. Nur einer stand im Weg: Richelieu. Er vereitelte Anschlag um Anschlag auf den König, und der einzige Grund, warum Gaston seinen Kopf behielt, war seine Position in der Thronfolge. Er musste als Reserve am Leben bleiben.
Die Lage war heikel für Ludwig. Bis der König eines Nachts bei Gewitter Schutz bei seiner Frau suchte und bei der Gelegenheit einen Sohn zeugte. Die Geburt von Ludwig, dem zukünftigen Sonnenkönig, stärkte zwar die Position des Königs. Beliebt war er freilich immer noch nicht. Niemand mochte ihn, dabei wollte er geliebt werden. Den Kardinal mochte auch niemand. Aber im Gegensatz zum König war ihm das einerlei, wie der Kulturjournalist Uwe Schultz in seinem Buch »Richelieu« aus dem Jahr 2015 erklärt.
Ein Spionagenetzwerk versorgte den Premier mit Informationen
Richelieu brauchte keine Liebe, er brauchte Macht. Neben dem schwachen König, der ständig von den Hugenotten, dem jüngeren Bruder, der Mutter oder dem Hochadel vom Thron gestoßen zu werden drohte, war er der starke Mann in der Regierung. Von Gefühlen ließ er sich nicht beirren, er ging systematisch vor. Richelieu deckte Verschwörungen auf, verhinderte Attentate, brachte Verräter aufs Schafott – er sah alles, wusste alles und hielt die Strippen in der Hand.
Sein Netzwerk gilt heute als das erste professionelle Spionagenetz der Welt. Seine Spione überbrachten ihm Nachrichten aus ganz Europa, von Feinden und Verbündeten. Für den Austausch von Informationen verwendeten sie eine Chiffre, die ohne den Schlüssel bis heute wohl nicht entziffert worden wäre. Im Schloss befand sich Richelieus Nachrichtenzentrale, in der alle Berichte zusammenliefen, hier wurden Siegel gelöst und wieder angebracht. Nicht einmal Ludwig wusste von dem Raum, in dem Agenten und Dechiffrierer arbeiteten. Der König wusste jedoch vieles nicht, anders als Richelieu. Seine Spione belauschten den gesamten Hofstaat, weil der Kardinal niemandem traute. Er führte den Hof wie ein Marionettentheater.
Was Richelieu ausmachte, legte besonders eine Affäre offen, an deren Ende fast alle Protagonisten aus seinem politischen Leben auftauchten und er, das Mastermind, triumphierte. Die Geschichte begann, als Richelieu wieder einmal befürchtete, seinen Einfluss auf den König zu verlieren. Ludwig traf sich gelegentlich mit einer alten Freundin im Kloster, einer Nonne. Sie war seine einzige Vertraute, aber natürlich wurde sie von anderen Nonnen ausspioniert. So erfuhr Richelieu, dass der König sich über ihn beklagte und sich einsam fühlte. Also suchte der Kardinal einen Gesellschafter für Ludwig, den er kontrollieren konnte. Auf die befreundete Nonne traf das nicht zu. Doch Richelieu hatte bereits eine Marionette im Blick: den jungen, schönen Marquis de Cinq-Mars (1620–1642).
Der 16-Jährige erhielt ein Amt in Königsnähe und wurde, wie vorgesehen, zu Ludwigs Vertrautem. Anfangs ging Richelieus Rechnung auf. Der Junge erzählte brav, worüber Ludwig XIII. plauderte. Doch Cinq-Mars entwickelte einen eigenen Willen und begann bald, seine Beziehung zum König nicht für Richelieu, sondern für sich selbst zu nutzen. Er wollte Minister werden. Aber der König, so begeistert er von dem hübschen Jungen war, stellte sich taub.
Todkrank eilte Richelieu zur Rettung des Königs
Cinq-Mars' nächste Idee war, Ludwig aus dem Griff Richelieus zu befreien. Er plante ein Attentat auf den Kardinal – was scheiterte. Dabei hatte er gute Verbündete: die Mutter des Königs, seinen Bruder, verschiedene Adelige und vermutlich sogar Ludwigs Ehefrau Anna von Österreich. Cinq-Mars dachte groß. Ihm schwebte eine Umgestaltung des Hofes vor. König und Kardinal waren ständig krank. Wäre es nicht praktisch, Gaston endlich zum König zu machen, mit Spanien zu paktieren und selbst Premierminister zu werden? Der Junge hatte viel von Richelieu gelernt, erklärt Journalist Schultz, aber offenbar nicht genug.
Als der Kardinal wieder einmal krank im Bett lag, fingen seine Spione einen Brief ab, in dem das Komplott detailliert beschrieben war. Darin hieß es auch, das spanische Heer sei bereit, den König zu stürzen. Richelieu ließ sich eine Brühe bringen, erhob sich und stand wenig später samt Schreiben beim König. Wieder einmal hatte er Ludwig und sich gerettet. Er diktierte dem König die Lösung des Konflikts: Cinq-Mars, sein ehemaliger Spitzel, wurde umgehend geköpft, Gaston verlor den Anspruch auf die Erbfolge. Maria von Medici starb, bald nachdem die Affäre aufgeflogen war, im Juli 1642 in Köln. Richelieu war wieder mächtig – aber todkrank. Er raffte die letzten Kräfte zusammen und schrieb dem König sein politisches Vermächtnis.
Als Richelieu am 4. Dezember 1642 starb, tanzte das Volk auf den Straßen. Die Menschen hatten für den Despoten nie viel übriggehabt. Nach 18 Jahren enger Zusammenarbeit regierte Ludwig noch fünf Monate allein. Dann starb auch er. Auf dem Totenbett setzte er Richelieus letzten Willen durch: Er ernannte Kardinal Jules Mazarin zum Premierminister und zum Patenonkel des jungen Thronfolgers. Die Regierung übergab er bis zur Volljährigkeit des Königs an seine Frau Anna von Österreich sowie an Mazarin. Frankreich war so stark und stabil wie nie zuvor. Erst 1793 schlugen die Revolutionäre auf die Marmorstatue von Richelieu ein, die Mochi rund 150 Jahre zuvor gefertigt hatte, und köpften sie.
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