Giftmischer im Tierreich: Kegelschnecken lähmen durch Unterzucker
Kegelschnecken sind die fähigsten Giftmischer unter all den Schnecken, die ihren Lebensunterhalt nicht gerade als harmlose Vegetarier bestreiten: Die im Meer heimischen Weichtiere haben einen auf unterschiedliche Beutetiere perfekt abgestimmten Satz von Toxinen im Angebot. Häufig injizieren sie das Giftgemisch dabei mit nadelförmigen Jagdwaffen in Beutetiere wie Meereswürmer oder andere Schnecken. Einige Arten haben aber auch die Jagd auf schnellere Tiere wie Fische perfektioniert, die sie mit ihrem zum körpereigenen Netz umgebauten Mundsack erhaschen. Und manche unterstützen diesen Fischzug offenbar mit einer ganz besonderen chemischen Kriegsführung, die einen kompletten Schwarm desorientieren und träge machen kann: durch ins Wasser abgegebenes Insulin, das bei den Fischen, die es aufnehmen, massiven Unterzucker und die damit einhergehenden Folgen verursacht.
Die Strategie, Insulin als lähmendes Gift bei der Jagd einzusetzen, verfolgen zumindest zwei Fische jagende Kegelschnecken, die Tulpenkegelschnecke (Conus tulipa) und der Landkartenkegel (Conus geographus), berichten Baldomero Olivera von der University of Utah und seine Kollegen.
Die Weichtierinsulinvariante macht – anders als bei anderen Kegelschnecken, die eine ganze Reihe verschiedener Neurotoxine produzieren – bei den Fischjägern den Hauptanteil der in den Giftdrüsen hergestellten Chemikalien aus, berichten die Forscher in ihrer Studie. Beide Schnecken gehören zu dem Gastridium-Verwandtschaftszweig der Weichtiere, der bekannt für ihre typische Jagdstrategie ist: Sie stülpen sackförmige Auswachsungen um die Mundöffnung vor und fangen darin, wie in einem Netz, unvorsichtige Fische. Dies gelingt offensichtlich besser, wenn die Fische zuvor mit freigesetztem Insulin in Kontakt gekommen sind. Das Hormon sorgt für einen hypoglykämischen Schock, der die Fische desorientiert und hilflos macht, wie die Experimente zeigen.
Um diese Wirkung erzielen zu können, mussten die Schnecken das körpereigene Weichtierinsulin biochemisch umgestalten: Die Fischvariante des Hormons ist deutlich kürzer und trägt auch weniger quer vernetzende Cysteinbrücken als ein gängiges Molluskeninsulin. Die kurzen, toxischen Moleküle gelangen offenbar über die Kiemen rasch in den Blutkreislauf der Fische und wirken dort wie eine Überdosis des fischeigenen Insulins. Eine Insulinüberdosis kann im Extremfall tödlich enden – wie man aus medizinischen Fallstudien sowie von spektakulären Kriminalfällen weiß –, sorgt aber in jedem Fall für teils massive Bewusstseinseintrübungen.
Als unterstützende Jagdwaffe von Tieren kannte man Insulin bisher jedoch noch nicht: Vermutet wurde bislang allenfalls ein in gewisser Weise ähnlicher Mechanismus, mit dem Gila-Krustenechsen (Heloderma suspectum) sich verteidigen. Diese Tiere produzieren das Polypeptid Exendin-4, welches dem Glucagon-like Peptid 1 des Menschen ähnelt – einem Hormon, das die Ausschüttung von Insulin fördert. Das Krustenechsentoxin wirkt demnach ähnlich wie das nun entdeckte Insulinanalogon der Fische fangenden Kegelschnecken. Viele verwandte Kegelschnecken, die sich auf langsamere Beute wie Würmer oder andere Meeresschnecken spezialisiert haben, verfügen dagegen mit ihren Conotoxinen eher über ein gemischtes Arsenal wirksamer Neurotoxine.
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