Assyrer: Keilschrifttafel bezeugt bislang unbekannte Sprache
Neue Hinweise auf die einstige Sprachenvielfalt im assyrischen Großreich liefert Forschern eine bis zu 2700 Jahre alte Keilschrifttafel. Auf dem Fund aus der Südosttürkei sind weibliche Eigennamen verzeichnet, die Philologen keiner bisher bekannten Sprachfamilie zuordnen können. Womöglich handelte es sich bei den Frauen um Nachfahren einer indigenen Bevölkerung oder Gruppen, die die Assyrer aus dem Iran verschleppt hatten.
Den Fundort Ziyaret Tepe am Tigris identifizierten Forscher jüngst als die neuassyrische Provinzhauptstadt Tuschan. Im dortigen Statthalterpalast aus dem 9. bis 6. Jahrhundert v. Chr. legten Archäologen das Tontäfelchen frei. Es lag im Brandschutt des Gebäudes, das um 700 v. Chr. errichtet worden war. Beidseitig sind darauf die Namen von 144 Frauen gelistet, die von der Palastverwaltung für Arbeiten in umliegenden Dörfern oder Kornspeichern eingeteilt wurden. Wie der Altorientalist John MacGinnis von der University of Cambridge feststellen konnte, ist kaum einer der Namen assyrischen Ursprungs. Eine etymologische Untersuchung von 59 noch lesbaren Eigennamen ergab, dass die Mehrzahl von keiner bekannten Sprache Altanatoliens oder des Vorderen Orients, wie dem Akkadischen, Hurritischen, Alt-Iranischen, Elamischen oder Luwischen, abstammt. Ebenfalls zu verwerfen sei eine Zugehörigkeit zu altägyptischen Sprachen.
MacGinnis erwägt, ob die Namen auf die einheimische Sprache "Schubrisch" zurückgehen, die in der Gegend von Tuschan vor Ankunft der Assyrer gesprochen wurde – und für die es bisher noch keine schriftlichen Belege gibt. Eventuell sind die Frauen aber auch einer nicht-indoiranischen Sprachgruppe aus dem Westiran zuzuordnen. Darauf würde laut MacGinnis auch hindeuten, dass die Assyrer Menschen aus dem Iran, beispielsweise dem Zagros-Gebirge, in andere Regionen des Großreichs umsiedelten.
Deportationen waren seit dem 9. vorchristlichen Jahrhundert eine weit verbreitete Praxis im Assyrerreich. Zweck dieses Unterfangens: "Ziel war es, in neu eroberten Gebieten die eigene Macht zu festigen, indem man die Herrschaftsgewalt der lokalen Elite zerschlug", so der Sprachwissenschaftler. Weiter erklärt er: "Wenn Volksgruppen an einen neuen Ort verschleppt wurden, dann lag von da an ihr Wohlergehen vollkommen in den Händen der assyrischen Verwaltung". Am Zielort wurden die Deportierten zum Bau neuer Städte herangezogen oder arbeiteten in der Landwirtschaft.
Nicht auszuschließen sei allerdings auch, dass die Frauen aus den Randgebieten des Assyrerreichs freiwillig eingewandert oder bei Raubzügen gefangen genommen worden waren.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben