Bergbau: Kein rohstoffarmes Land
Wer behauptet, Deutschland habe keinen Bergbau mehr, liegt völlig daneben: Im Jahr 2009 fuhren Lastwagen Rohstoffe im Wert von 17 Milliarden Euro aus hiesigen Gruben, die zumindest den Bedarf so genannter Massenrohstoffe fast völlig deckten. Denn Kiese und Sande, Kalisalz und Braunkohle können billig mit großen Maschinen gefördert werden. Doch damit nicht genug: Auch der Abbau wirtschaftlich enorm wichtiger Industriemetalle könnte hier zu Lande zukünftig wieder beginnen. Er endete fast überstürzt mit der Wiedervereinigung, als sich deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt plötzlich viel billiger mit Blei, Zink oder Kupfer versorgen konnten. In Folge wurden überall die Bergwerke geschlossen, im Erzgebirge ebenso wie im Harz oder Sauerland. "Die Preise waren so niedrig, dass sich die chemische und metallurgische Industrie von ihrer eigenen Rohstoffbasis getrennt hat", sagt Reinhard Schmidt vom sächsischen Oberbergamt, der diese Entwicklung seit der Wende in Freiberg beobachtete.
Viele Erzvorkommen sind seit Jahrzehnten bekannt, doch ihr Abbau war lange Zeit zu teuer. Dazu gehört etwa der Kupferschiefer, der über 800 Meter tief unter der Lausitz zwischen Brandenburg und Sachsen liegt. Er ist Teil eines Gesteinsgürtels, der sich vom Baltikum über Polen und halb Mitteleuropa bis nach England zieht, doch nur an wenigen Stellen viel Kupfer führt. Die DDR hatte deshalb die Lausitz als strategische Reserve auserkoren. Für den Abbau fehlten ihr allerdings Devisen.
Heute erkunden zwei Unternehmen den Untergrund der Lausitz: Bei Weißwasser operiert der finanzstarke polnische Bergbaukonzern KGHM, wenige Kilometer westlich die frisch gegründete Kupferschiefer Lausitz, unterstützt von einem Investor, der im Steuerparadies Panama residiert. Viel Geld brauchen beide Unternehmen. Denn um das Kupfer profitabel zu fördern, müssen sie große Tunnel bauen, die ebenso große Maschinen fassen.
Längst bekannte Erze, lange vergessen
Eine Milliarde Euro will allein die KSL investieren, wenn sich der Abbau lohnen sollte. "Wir sind gerade noch dabei, das zu untersuchen", sagt Geschäftsführer Thomas Lautzsch, der das Kupfer für etwa 5000 Dollar pro Tonne gewinnen möchte. "Der Weltmarktpreis lag die letzten Jahre bei über 8000 Dollar. Das bedeutet, dass diese Lagerstätte durch den völlig veränderten Rohstoffmarkt möglicherweise wirtschaftlich ist."
Viele junge Unternehmen inspizieren heute ebenfalls das deutsche Rohstoffinventar. Dazu gehört die 2006 gegründete Deutsche Rohstoff AG. Die Firma hat sich in Sachsen geradezu eingedeckt mit Aufsuchungsrechten für Zink, Wolfram und sogar für das einzige westeuropäische Vorkommen von Seltenen Erden in Storkwitz. Hier dürfen die Geologen nun in einem amtlich vorgegebenen Zeitraum das Erzvorkommen untersuchen, um am Ende einen Betriebsplan für ein mögliches Bergwerk vorzulegen. Ob das gelingt, hängt davon ab, ob die Rohstoffpreise ihr Niveau halten werden. "Hohe Preise lösen hohe Investitionen aus, und irgendwann wird auch das Angebot wieder steigen", ist sich Thomas Gutschlag von der Deutschen Rohstoff AG sicher. "Allerdings kann dieser Zyklus sehr lange dauern, weil jetzt mit China oder Indien Länder als Nachfragende auftreten, die enorm groß sind."
Unbekannte Erzlinsen in der Tiefe
Die unternehmerischen Gefahren eines plötzlichen Kurssturzes wären geringer, ließen sich noch heute in den Revieren besonders reiche Vorkommen im Untergrund entdecken. Sie müssten allerdings Generationen von Geologen bislang verborgen geblieben sein. Durch die lange Bergbaupause in Deutschland ist das jedoch nicht völlig ausgeschlossen: Seitdem entwickelten die Prospektoren neue Methoden, um Rohstoffe zu entdecken und sehr große Datenmengen zu verarbeiten. "Deshalb gilt Deutschland heute sogar als untererkundet", bestätigt Jens Gutzmer, Direktor des Helmholtz-Instituts für Ressourcentechnologie in Freiberg.
Selbst in unmittelbarer Nachbarschaft der größten Erzlagerstätte im Harz vermuten Geologen so ein unerkanntes Vorkommen: Am Rammelsberg, wo schon im Jahr 968 die ersten Bergleute schürften, lag damals eine besonders leicht zugängliche Lagerstätte, die noch in den 1970er Jahren ein knappes Drittel des deutschen Zink- und Bleibedarfs deckte. Als sich das Ende des Bergbaus 1988 abzeichnete, gab es nur verzagte Probebohrungen im Umkreis des Rammelsbergs. Viel zu teuer wäre es damals gewesen, wie bei der Nadel im Heuhaufen nach einem neuen Lager zu suchen. Erst 2008 wertete das Unternehmen Scandinavian Highlands aus dem dänischen Horsholm erneut die umfangreichen Unterlagen aus und führte sie computergestützt zusammen: über geochemische Messungen des tiefen Grundwassers, das vielleicht durch Risse im Erz geströmt ist, oder über die magnetischen und elektrischen Eigenschaften des Gesteins, die sich im Bereich von Metallerzen stark von ihrer Umgebung unterscheiden.
Die ermittelten Indizien sind so eindeutig, dass das Unternehmen nun im Gosetal bohrt, in direkter Nachbarschaft des Rammelsbergs. Mit dabei ist der Geologe Eckart Walcher, der seit 30 Jahren im Harz arbeitet und weiß, wie die hiesigen Erzvorkommen vor rund 360 Millionen Jahren entstanden. Er hält es für wahrscheinlich, dass tief im komplex gefalteten Schiefergestein weitere Erzlinsen liegen. Denn damals lag der Nordharz in einer vulkanisch aktiven Zone tief unter dem Meer. Aus unterirdischen Quellen pusteten Schwarze Raucher unentwegt metallhaltigen Schlamm, der sich auf den Meeresboden legte. Heute bekannte untermeerische Vulkane treten jedoch nie allein auf, was auch um den Rammelsberg zu erwarten wäre – bislang verlief die Suche jedoch noch erfolglos.
Erzgewinnung: Eine Frage der Technik
Und selbst wenn Deutschland auch mit den neuen Methoden nicht reicher an unbekannten Lagerstätten werden sollte, so besitzt die Bundesrepublik noch viele Erzvorkommen, deren Abbau sich momentan nur wegen der verfügbaren Technologie nicht lohnt. Im erzgebirgischen Freiberg etwa entstand im August 2011 zu diesem Zweck das Helmholtz-Zentrum für Ressourcentechnologie: Es soll interdisziplinäre Ansätze entwickeln, um nur lokal vorkommende Erzminerale besser aufzubereiten, die in ihrem chemischen Aufbau einmalig sind und sich durch international gängige Verarbeitungsmethoden nicht aufbereiten lassen: Lithium etwa, das heute überwiegend in ausgetrockneten Salzseen in Südamerika gewonnen wird, steckt auch in einem Gestein, das im Erzgebirge erstmalig beschrieben wurde.
Dieses Gestein liegt derzeit noch in Schauvitrinen – und auf dem Tisch von Martin Bertau im Institut für Technische Chemie an der TU Bergakademie Freiberg. Es enthält den Lithiumglimmer Zinnwaldit: Aus ihm wurde schon in den 1940er Jahren Lithium gewonnen, indem es Arbeiter mit konzentrierter Schwefelsäure aus dem dichten Mineral herauslösten. "Das ist prinzipiell kein schlechter Weg und bis heute Stand der Technik", erläutert Martin Bertau. "Das Problem ist nur, dass dann flüchtige, fluorhaltige Verbindungen auftreten, die ein gewisses Umweltpotenzial haben und sich auf die Stabilität der Anlagen auswirken."
"Das werden sicher keine Vitamine sein, aber ein Fortschritt"
Martin Bertau
Deshalb versucht die Freiberger Projektgruppe neue Pfade zu gehen. Sie will die Wertmetalle mit sanfteren Methoden aus dem Gestein gewinnen: "Das werden sicher keine Vitamine sein, aber ein Fortschritt", sagt Martin Bertau. Gleichzeitig soll auch der Müll stark reduziert werden, den die Bergleute am Ende deponieren müssen und der in jedem Bergwerk anfällt. Deshalb will Bertaus Team nicht nur Lithium gewinnen, das im Erz zu maximal nur etwas mehr als einem Prozent vorkommen kann. Seine Mitarbeiter möchten auch die darin in kleineren Mengen vorhandenen Elemente Kobalt, Nickel, Zinn, Zink und Wolfram aus dem Gestein extrahieren und gleichzeitig die korrosiven Fluorverbindungen in dem Prozess abscheiden: als Fluorid, das sich gut als Rohstoff verkaufen lässt.
Wenig Metall und viel Abraum
Insgesamt ist es trotz aller Fortschritte dennoch unwahrscheinlich, dass hier zu Lande der Bergbau erneut eine so große Rolle spielen wird wie früher. Zu klein sind die Vorkommen und zu groß der ständige Rohstoffhunger der Industrie. "Wir werden vielleicht fünf Prozent des deutschen Kupferbedarfs decken", schätzt etwa Thomas Lautzsch die Kapazitäten des geplanten Bergwerks in Spremberg. Alle Beteiligten sind sich zudem im Klaren darüber, dass sie sich vorsehen müssen im umweltfreundlichen Deutschland. Thomas Lautzsch spricht von Eingriffen in den lokalen Grundwasserhaushalt, "der bei jedem industriellen Großbetrieb immer ein Thema ist. Wir werden Grubenwasser heben, behandeln und dann ableiten müssen. Das werden wir uns natürlich vorher gut überlegen."
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