News: Keine Kakerlaken-Entgleisung
Vielleicht abgesehen von Hühnern ist kaum etwas schwerer einzufangen als wild fliehende Kakerlaken. Nun adelt die Wissenschaft die extreme Schaben-Beweglichkeit: als Blaupause künftiger Roboterfortbewegung.
C3PO, der goldglänzende Androide aus dem Science-Fiction-Epos "Star Wars", ist nur bedingt das angestrebte Ideal moderner Roboter-Ingenieure – gar so menschenähnlich müssen die Modelle der Zukunft nach ihren Vorstellungen gar nicht aussehen. Auf Extremitäten laufen sollten sie allerdings schon können, denn diese Fortbewegungsweise bringt doch erhebliche Vorteile gerade im rauen Gelände. Zwei Beine sind dafür allerdings etwas wenig, solcherart beinbewehrte Roboter erinnern in Eleganz und Beweglichkeit auf absehbare Zeit wohl eher an die Hauptdarsteller ganz anderer Filmproduktionen: Wie von den Toten erweckte, bandagenbehinderte Mumien aus schwarz-weißen Horrorfilmen würden sie umherstaksen, stets hüftsteif um Balance ringend. Als Mustermodell beinbewehrter Organismen gilt Roboterforschern mithin nicht der zweibeinige Mensch sondern ein Insekt – die Kakerlake. Diese flinken, kleinen, sechsbeinig stabilisierten Krabbler kippt kaum etwas aus der Kurve. Die Grundlagen der überlegenen Schaben-Straßenlage zu ergründen, ist daher schon seit längerem ein Ziel moderner Bioniker – Wissenschaftlern also, die daran arbeiten, die ingeniösen Prinzipien der Natur in menschenmachbare Technik umzusetzen. Und dabei stehen sie schon bei einem von Laien eher abfällig angesehenen Forschungsobjekt, wie der Kakerlake, vor großen Herausforderungen. Robert Full von der University of California in Berkeley gab beispielsweise die übermenschliche Balance-Befähigung dieser Schabe Rätsel auf. Er vermutete, dass einige der gleichgewichtserhaltenden Reflexe des Insekts dermaßen schnell erfolgen, dass sie kaum noch durch die Nervenleitungen des neuronalen Systems kontrolliert sein können. Um diese Hypothese zu testen, unternahm Full mit Devin Jindrich von der Harvard School of Public Health einige Anstrengungen, die standfesten Krabbler aus der Bahn zu werfen: Sie beschossen die unbeirrt laufenden Insekten beispielsweise mit kleinen Federprojektilen und scheuchten sie, magnetbewehrt, durch plötzlich angelegte Magnetfelder. Zuletzt klebten sie den Versuchs-Kakerlaken sogar kleine Raketentreibsätze auf den Rücken – und zündeten einen ablenkenden 10-Millisekunden-Schub in vollem Schabengalopp. Ohne Resultat: "Die sind nicht mal aus dem Tritt gekommen", sagt Jindrich.
Die Erklärung für die beeindruckend unbeeindruckbare Standfestigkeit ergründete Full zusammen mit Mathematikern der Princeton University: Mithilfe eines mathematischen Modells zeigten sie, dass die Balancekontrolle außerordentlich durch die mechanischen Eigenschaften von Muskeln und Außenskelett der Schabenbeine beeinflusst wird. Erst das Zusammenwirken neuronaler Prozesse und der besonderen Bauweise der Extremitäten ermöglicht das Schaben-Stehvermögen. Nach dramatischen Ausgangsexperimenten und abgeleiteten theoretischen Erklärungen gingen die Wissenschaftler nun wieder in die Praxis: Sie analysierten die Materialeigenschaften eines echten Schabenhinterbeins und dessen Reaktionen auf, zur Abwechslung, natürliche Belastungen, die auch beim ganz normalen Laufen auftreten. Das Bein von Blaberus discoidalis offenbarte dabei sehr ähnliche Eigenschaften wie viskoelastische Materialien. Die Forscher machten sich nun daran, künstliche Roboter-Beine mit möglichst identischen Material-Eigenschaften wie die der Schaben-Extremität zu suchen. Zu Hilfe kamen ihnen dabei die Fortschritte eines zunehmend bedeutenden Verarbeitungsprozesses, dem so genannte SDM (Shape Deposition Manufacturing) zur Verarbeitung geschichteter Material-Gemische. Das Verfahren ermöglicht den kontrollierten Aufbau eines heterogenen Produktes mit lokal abwechselnd weicheren und härteren Bereichen – wie einem Kakerlakenbein, beispielsweise.
Full und seine Kollegen entdeckten, dass ein in der SDM oft verarbeitetes weiches Polyurethan in seinen viskoelastischen Eigenschaften der Schabenextremität recht nahe kommt. Diese Materialinformation nutzten wiederum Forscher der Stanford University, um einen neuen Versuchsroboter mit viskoelastischen Beinen auszustatten. SPRAWL, so der Name des Laufroboters mit Schaben-Chassis, bringt die in seinen Extremitäten eingearbeitete Materialintelligenz entschiedene Vorteile – ohne zusätzliche Computer-regulierte Balance bewegt er sich flink und sicher durch unebenes Gelände. Roboter wie diese, meint Full, könnten von Balance-Aufgaben befreite Computerkapazitäten dann für andere Dinge nutzen. Er denkt an Aufgaben wie Navigation oder Wegplanung. Aber auch wenn sie wohl nicht unbedingt so zu sprechen lernen wie C3PO – wie Mumien herumstolpern, werden sie wohl auch nicht.
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