Direkt zum Inhalt

Gletscher: Kettenreaktion auf dem Eis

Im Sommer wird Grönlands Eisoberfläche zunehmend blauer: Gletscherseen sprenkeln das Weiß. Doch wenn sie überlaufen, setzen sie eine fatale Kettenreaktion in Gang.
Wissenschaftler seilt sich in Gletscherspalte ab

Jeden Sommer bilden sich auf Grönlands Eisschild tausende Schmelzwasserseen, und ihre Zahl nimmt seit Jahren wegen der Erderwärmung zu. Viele dieser Gewässer überdauern Monate, manche sogar Jahre. Doch wenn sie sich entleeren, kann es rasend schnell gehen: Wie die Niagarafälle stürzen dann Wassermassen innerhalb weniger Stunden durch Gletschermühlen oder Spalten in die Tiefe und gelangen oft bis zum Fuß der Eiszunge. Dort setzt das Wasser wie ein Schmiermittel die Reibung herab, so dass die Gletscher schneller fließen können. Und immer öfter setzen diese Sturzbäche Kettenreaktionen in Gang, die letztlich den Zerfall des Eispakets beschleunigen, wie Poul Christoffersen von der University of Cambridge und sein Team in "Nature Communications" schreiben.

Das in die Tiefe strömende Wasser führt große Mengen an Wärmeenergie mit sich, die dafür sorgt, dass sich das Wasser leichter und weiter in diesem sensiblen Bereich des Gletschers ausbreiten kann. Zudem handelt es dabei nicht (mehr) um einzelne, isolierte Ereignisse, so die Glaziologen. Vielmehr formen diese Seen ein riesiges Netzwerk und stehen zunehmend in Verbindung zueinander, so dass die Drainage eines größeren Gletschersees eine regelrechte Kettenreaktion auslösen kann. Das relativ warme Wasser breitet sich im Gletscherinneren zügig aus und beschleunigt dabei den Gletscher. An seiner Oberfläche reißen dadurch neue Spalten auf, und alte vertiefen sich – wodurch sich wiederum weitere Seen entleeren können. Die Spalten und Kanäle erleichtern zudem den Wasserfluss; so kann sich der gesamte Prozess bis zu einem gewissen Grad verstetigen und schneller werden. Wenn der erste See durchbricht, kann dies noch 80 Kilometer weiter Folgen haben.

Gletschersee | Sie sehen hübsch aus, sind aber Vorboten des Verfalls: die Gletscherseen auf Grönlands Eisschild. In den letzten Jahrzehnten nahm ihre Zahl deutlich zu, was den Zerfall mancher Eiszungen beschleunigt hat.

In einem Fall beobachteten Christoffersen und Co, wie innerhalb von fünf Tagen 124 Seen verschwanden. Die Fließgeschwindigkeit des Eispakets erhöhte sich im betroffenen Gebiet um 400 Prozent. Dadurch wird das gesamte Eisschild instabiler, und es könnte auch der Meeresspiegel schneller steigen: Im Gegensatz zum Meereis lässt das Schmelzwasser von Festlandsgletschern die Pegel weltweit anschwellen. Gegenwärtig verliert der grönländische Eisschild pro Tag rund eine Milliarde Tonnen Eis, was allein schon jährlich den Meeresspiegel um einen Millimeter steigen lässt. Seen auf Gletschern finden sich mittlerweile mehr als 100 Kilometer von der Küste entfernt und auf einer Höhe von bis zu 2000 Metern über dem Meer – ein Gebiet, das in den letzten 25 Jahren deutlich zugenommen hat.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.