Klimazyklen: Das größte Rätsel der Eiszeiten
Eiszeiten folgen einem markanten Rhythmus, zumindest in der jüngeren Erdgeschichte. Das zeigt ein Blick auf die Klimageschichte unseres Planeten: Wiederholt wuchsen und schrumpften gewaltige Eismassen auf dem Festland der Nordhalbkugel. Die jüngste Eiszeit ging vor rund 10 000 Jahren zu Ende, die zweitjüngste vor etwa 130 000 Jahren, die drittjüngste vor 220 000 Jahren. Auch in der Zeit davor hat es den Anschein, dass etwa alle 100 000 Jahre eine weitere Eiszeit endete. Dieser Rhythmus ist allerdings nur im Jüngeren Pleistozän zu finden. Schaut man weiter zurück – bis zu 2,6 Millionen Jahre –, findet sich ein anderer, schnellerer Klimarhythmus von rund 41 000 Jahren.
Warum endete der schnelle Takt der Eiszeiten und ging über in einen langsamen? Das ist eine der wichtigsten Fragen der Paläoklimatologie. Sie treibt Forscherinnen und Forscher seit Jahrzehnten um. Die Antwort darauf ist keineswegs nur eine akademische Spitzfindigkeit. Es gehe darum, wie zuverlässig Klimamodelle sind, sagt Russell Drysdale von der University of Melbourne. »Wenn sie diesen Wechsel abbilden können, erhöht das unser Vertrauen, dass sie auch die zukünftige Entwicklung darstellen können.«
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Bislang gelingt das nicht oder allenfalls mit diversen Annahmen. Drysdale und weitere Wissenschaftler versuchen derzeit, die Erdgeschichte in einer besonders spannenden Epoche genauer zu rekonstruieren. Es ist die Zeit vor zwischen 1,2 und 0,8 Millionen Jahren, sie wird als »Mid-Pleistocene Transition« (MPT) bezeichnet: der Übergang von der 41 000er- zur 100 000er-Welt im Mittleren Pleistozän. Die Klimaänderungen zu jener Zeit lassen sich anhand verschiedener Ablagerungen in der Tiefsee erkennen. Doch die Daten bergen Unsicherheiten und widersprechen sich teilweise. Je präziser das Klimageschehen aufgedröselt wird, umso besser gelingt es, den rätselhaften Wechsel aufzuklären, hoffen die Forscher.
Bislang haben sie sich rund 800 000 Jahre »zurückgearbeitet« und verfügen für diesen Zeitraum über zuverlässige Klimadaten. Sie stammen aus Eisbohrkernen, die in der Antarktis gewonnen wurden. Anhand von Spurengasen wie Kohlendioxid, aber auch Isotopen von Sauerstoff und Wasserstoff lässt sich die Paläotemperatur ermitteln. Diese Ergebnisse werden ergänzt mit Daten von Sauerstoffisotopen aus Tiefseesedimenten. Auch Tropfsteine sind wichtige Klimaarchive, die neben den Sauerstoffisotopen geringe Mengen an Uran aufweisen – und so helfen, markante Klimawechsel über die radiometrische Altersdatierung zeitlich präzise zu fassen.
In diesen Daten ist das Ende von Eiszeiten deutlich erkennbar, weil es zu abrupten Änderungen binnen weniger Jahrtausende kommt. Es folgen Warmzeiten, so genannte Interglaziale, die Phasen zwischen den Eiszeiten. In den vergangenen 800 000 Jahren wurden elf davon identifiziert. Beim Blick auf die Zeitachse wird deutlich: Der 100 000er-Rhythmus ist zum einen eine mittlere Angabe, die eine gewisse Spannbreite hat. Zum anderen enthalten die Daten zwei Interglaziale mehr, als rein rechnerisch in diesem Zeitraum zu erwarten wären. Dazu kommen wir später.
Erdumlaufbahn ändert sich mit der gleichen Frequenz
Warum die Interglaziale grob alle 100 000 Jahre wiederkehren, ist eines der ungelösten Probleme der Klimaforschung. Im Prinzip könnte die mit gleicher Frequenz sich verändernde Erdumlaufbahn verantwortlich sein. Sie wechselt zwischen einer mehr kreisförmigen sowie einer mehr elliptischen Bahn. Das wird als Exzentrizität bezeichnet. Infolgedessen variiert die Sonneneinstrahlung auf der Nordhalbkugel. Der Effekt ist jedoch zu klein, um den Vorstoß und Rückzug der Eismassen zu erklären. Auch der Wechsel vom 41 000er- zum 100 000er-Rhythmus kann so nicht erklärt werden.
»Wenn Klimamodelle diesen Wechsel abbilden können, erhöht das unser Vertrauen, dass sie auch die zukünftige Entwicklung darstellen können«
Russell Drysdale, University of Melbourne
Es gibt noch weitere Erdparameter, die zu wechselnder Sonneneinstrahlung führen und als Milanković-Zyklen bekannt geworden sind. Dazu gehört die Präzession – hier steckt die Kreiselbewegung der Erdachse drin – mit einer Periodizität von 19 000 beziehungsweise 23 000 Jahren. Auch die Neigung der Erdachse gegenüber ihrer Umlaufebene um die Sonne ändert sich, mit einer Periode von 41 000 Jahren.
Just dieser Rhythmus ist in den Klimadaten von 2,6 bis 1,0 Millionen Jahren vor heute zu finden, jedoch ist zu beachten: Aus dieser Zeit existieren weniger Daten, und das Signal ist schwächer. Lediglich in drei Viertel der Fälle kam es wohl zu einem echten Interglazial, gekennzeichnet durch das Schwinden der großen Landeismassen in Nordamerika und Eurasien, wie Peter Köhler vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven und Roderik van de Wal von der Universität Utrecht in einer Modellierungsstudie in »Nature Communications« schließen.
Spielt eine zusätzliche Abkühlung eine Rolle?
Was ist damals geschehen, warum änderte sich der Rhythmus vom 41 000er zum 100 000er in der jüngeren Vergangenheit? Es gibt verschiedene Erklärungsversuche, die Constanijn Berends von der Universität Utrecht sowie Peter Köhler und Kollegen vergangenes Jahr in »Review of Geophysics« zusammengefasst haben. Viele gehen davon aus, dass es während des Pleistozäns im Durchschnitt kühler wurde. Für diese Annahme gebe es deutliche Hinweise in Klimaarchiven, obgleich manche Daten zum CO2-Gehalt der Atmosphäre und zu Kohlenstoffisotopen in Sedimenten widersprüchlich sind, schreiben die Autoren.
Bei niedrigerer Temperatur, so die Überlegung, würden Eisschilde mächtiger und auch in Zeiten stärkerer Sonneneinstrahlung – nach 41 000 Jahren – nicht mehr vollständig schmelzen. Das Interglazial fällt sozusagen aus. Die Kaltzeit dauert an und endet erst in der nächsten Runde nach 82 000 Jahren, womöglich erst in der dritten Runde nach 123 000 Jahren. Beziehungsweise in der Phase dazwischen, schließlich wird das Klima nicht allein von der Veränderung der Sonneneinstrahlung durch die Milanković-Zyklen beeinflusst, sondern auch von diversen Rückkopplungsprozessen. Dazu gehört unter anderem das Eis-Albedo-Feedback: Die hellen Massen reflektieren mehr Sonnenstrahlung als gewöhnlicher Erdboden oder Meerwasser. Dadurch sinkt die Temperatur, und die Eismasse wächst über die Ränder hinaus sowie in die Höhe, wo es noch kälter ist und die Bedingungen umso besser. Derart gestärkt kann ein Gletscher auch eine Phase erhöhter Sonneneinstrahlung überstehen. Umgekehrt kann beim Rückzug die Schmelze beschleunigt werden, wenn die Eismassen instabil werden, zerbrechen, an Höhe verlieren und mehr dunkle Flächen in der Nachbarschaft aufgeheizt werden.
»Wir können bis zu 1,4 Millionen Jahre zurückgehen und Änderungen in dieser Zeit genau datieren«
Russell Drysdale, University of Melbourne
Andere Studien sehen einen Zusammenhang mit der Ozeanzirkulation. Je kälter das Oberflächenwasser ist, umso mehr CO2 kann es aus der Luft aufnehmen, was den Kühleffekt verstärkt. Der Prozess wird während weit reichender Vereisung zusätzlich verschärft, wenn angewehter Gletscherstaub das Wachstum von Phytoplankton fördert, das wiederum weiteres CO2 aus der Luft aufnimmt. Analysen von Sedimentkernen aus der Tiefsee deuten an, dass sich Strömungen während der MPT änderten. Wie stark sie den Rhythmus der Kaltzeiten beeinflussen oder ob sie nur eine Folge dessen sind, ist offen.
Die Forschenden hoffen, mit weiteren Daten aus Klimaarchiven das »MPT-Enigma« zu knacken, wie es Köhler formuliert. »Maßgeblich werden Eisbohrkerne aus der Antarktis sein, die über die bisher erreichten 800 000 Jahre hinaus Informationen liefern, beispielsweise zum CO2-Gehalt der Atmosphäre.« In dieser und den nächsten zwei Saisons sollten die betreffenden Schichten erreicht werden, sagt er. Außerdem brauche es noch etwas Zeit für Messungen, Datenanalyse und Publikation – doch das Ziel ist nahe. »Verbindet man diese mit Messungen aus Tiefseesedimenten, ergibt das ein genaueres Bild.«
Russell Drysdale setzt seine Archivarbeit in der toskanischen Karsthöhle Antro del Corchia fort. Anhand von Tropfsteinen haben er und weitere Forscherinnen und Forscher Klimawechsel bis 960 000 Jahre vor heute datiert. Im Herbst war er wieder dort und hat weitere Proben genommen. »Wir können bis zu 1,4 Millionen Jahre zurückgehen und Änderungen in dieser Zeit genau datieren«, sagt er.
Nächste Eiszeit fällt völlig aus dem Rhythmus
So kommen immer mehr Puzzleteile zusammen. Die Detektivarbeit der Forscher wird damit nicht unbedingt leichter. Zwar ist der CO2-Gehalt global weitgehend gleich, doch die Isotopendaten, aus denen sich Temperaturen, Salzgehalte und Niederschläge ablesen lassen, variieren je nach Ort. Entsprechend komplex müssen die Modelle sein, die den Wechsel von der 41 000er- zur 100 000er-Welt nachbilden können.
Nicht ausgeschlossen, dass die strenge Unterscheidung künftig wegfallen könnte. »Manche meinen, dass wir es im Grunde mit einem 41 000-Jahre-Rhythmus zu tun haben, der bis heute anhält«, sagt Köhler. Nur dass zuletzt häufiger Interglaziale auf Grund verschiedenster Wechselwirkungen ausgefallen seien. Die Exzentrizität mit ihrem 100 000er-Takt wäre weniger mächtig als bisher vermutet. »Diese Idee ist durchaus ernst zu nehmen«, sagt der AWI-Forscher, »aber sie ist bisher nicht in der gesamten Forschungsgemeinde akzeptiert.«
Sehr wahrscheinlich wird die nächste Eiszeit keinem der genannten Rhythmen folgen. Sie hätte eigentlich kurz vor dem Beginn der industriellen Revolution beginnen sollen, doch hohe CO2-Gehalte und eine geringe Exzentrizität der Erdbahn verhinderten das, schreiben Andrey Ganopolski und seine Kollegen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) 2016 in »Nature«. Der Beginn der nächsten Vereisung würde sich demnach um mehrere Jahrtausende verschieben – ohne menschliches Zutun. Berücksichtigt man die seitdem vom Menschen freigesetzten Mengen an Treibhausgasen und deren Klimawirkung, wird es mindestens 100 000 Jahre dauern, bis die Nordhalbkugel wieder von gewaltigen Eisschilden überzogen werden wird.
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