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Barriereriff: Kohle versenkt das Riff

Bergbau, Abwasser, Sedimente und Versauerung gefährden Australiens größtes Naturwunder: das Great Barrier Reef. Die nächste Wahl entscheidet vielleicht über sein Schicksal.
Buntes Leben im Riff

Am Samstag wählt Australien ein neues Parlament. Umwelt- und Klimapolitik spielen ebenso wie Wirtschaftspolitik im Wahlkampf eine wesentliche Rolle, denn beide Bereiche sind Downunder eng verzahnt. Gigantische Vorräte an Kohle, Eisenerz und Uran bescheren Australien seit Jahrzehnten einen wirtschaftlichen Erfolg sondergleichen. Ein Ende der sprudelnden Einnahmen aus der Bonanza ist nicht abzusehen, zumindest solange nicht, wie die Wirtschaft Chinas als wichtigsten Abnehmer für die Bodenschätze aus der roten australischen Erde brummt. War bis vor nicht zu langer Zeit vor allem Westaustralien das Zentrum des Bergbaus, locken jetzt auch reiche Kohle- und Erdgasvorkommen an der Ostküste im Bundesland Queensland die globalen Minenbetreiber an. Doch das ohnehin schon durch Klimaveränderungen und giftige Abfälle aus der Landwirtschaft leidende Ökosystem des Großen Barriere-Riffs (GBR) droht dabei zum Kollateralschaden zu verkommen.

June Norman will, dass auch noch ihre Urgroßenkel die Wunder des GBR erleben können. Deshalb ist die 72-Jährige strikt gegen den Bergbau in Queensland. Das hat die Großmutter auf ihrem 1200 Kilometer langen Fußmarsch von ihrer Heimatstadt Brisbane entlang der Küste des Korallenmeers von Queensland, jedem erzählt, der es hören wollte – und sicher auch vielen, die nicht hören wollten, warum sie 80 Tage marschiert, nur um zwei Wochen vor der Wahl in der Hafenstadt Gladstone bei einer Demo von Umweltaktivisten zum Schutz des Ökosystems dabei zu sein.

Great Barrier Reef aus dem All | Das Great Barrier Reef zieht sich über mehr als 2000 Kilometer an der australischen Ostküste entlang. Es ist das längste Barriereriff der Welt und Weltnaturerbe.

Neben Kohle werden über Gladstones Port Curtis aus Aluminiumoxid, Aluminium, Zementprodukte, Ammoniumnitrat und Natriumzyanid exportiert. Leidtragende der Industrialisierung ist die einstmals blühende Fischereibranche, der durch kranke Fischbestände jährlich Millionenverluste entstehen. Gladstone, schon jetzt der viertgrößte Kohlehafen der Welt, wird auf der Insel Wiggins ein weiteres Kohleterminal gebaut. Laut Umweltschützern, die sich unter anderem in der Kampagne Fight For Reef des WWF Australien und der Australian Marien Conservation Society organisieren, müssen dazu 6,3 Millionen Tonnen Seeboden ausgebaggert und der Schlamm irgendwo entsorgt werden. Für die vier Raffinerien für Flüssigerdgas (LNG) wurden bislang 15 Millionen Tonnen Seeboden weggebaggert und ein knappes Drittel davon in einem ausgewiesen Schutzgebiet des Riffs entsorgt.

Hafenexpansionen sind auch in anderen Orten des "Sonnenscheinstaats" Queensland wie Townsville oder Dudgeon Point geplant. Wenn sich die Bergbaulobby durchsetzt, könnte zudem in Abbot Point mit einer Kapazität von 85 Millionen Tonnen der größte Kohlehafen der Welt entstehen – gerade einmal 50 Kilometer von den traumhaften Whitsunday Islands entfernt, eines der touristischen Highlights des blühenden Rifftourismus und inmitten eines Seegebiets, das ein Sammelpunkt von Buckelwalen ist.

Kohle gegen Korallen

Normans Hauptsorge gilt zunächst den Kohlefrachtern, die das schwarze Gold zu den Kunden in China und andernorts transportieren. "Durchschnittlich ist das einer pro Stunde, rund um die Uhr, sieben Tage die Woche", sagte sie in jedes der vielen Reportermikrofone, die ihr auf dem langen Marsch hingehalten wurden. "Unser empfindliches Riff hält das nicht aus. Hinzu kommen der Bau von Kohlehäfen, Bahnlinien zu den Häfen, das Ausbaggern und danach die Entsorgung des Schlamms draußen am Riff."

Genau die gleichen Sorgen treiben Hunderte von australischen Wissenschaftlern wie auch die UNESCO um. Nur knapp ist Australien im vergangenen Jahr der Schmach entgangen, den Rang des GBR als "Weltkulturerbe" einzubüßen. Auf ihrer Tagung in St. Petersburg im Sommer 2012 lobte die UNESCO zwar das australische Engagement zum Schutz des GBR und das exzellente Management der verschiedenen marinen Schutzzonen in der Vergangenheit. Gegenwart und Zukunft des GBR aber sehen die UN-Experten mehr als kritisch. Sie forderten Australien auf, bis zur 39. Sitzung des World Heritage Komitees im Jahr 2015 eine "Strategische Einschätzung" der Ökosituation des Riffs und einem "daraus resultierenden Managementplan" vorzulegen. Bis dahin sei es "essentiell", so die UNESCO, keine Infrastrukturentwicklungen wie Häfen zu genehmigen, die Auswirkungen auf das Riff haben könnten.

Im Juli dieses Jahres schockte die australische Nachrichtenagentur AAP die Öffentlichkeit mit der Schlagzeile: "Jetzt ist die Gesundheit des Riff offiziell ‚schlecht'." Diese Diagnose stellten die von der australischen Regierung beauftragten Experten in ihrem Zustandsbericht "Great Barrier Reef 2011". Vor allem kritisiert die Report Card die Qualität des Wassers am Riff, die den Korallen, Fischen und Seegraswiesen das Überleben schwer macht. Ein Grund sind Unwetter wie der Zyklon Yasni im Februar 2011, durch den vor allem über die Flüsse Fitzroy und Proserpine Unmengen Sedimente ins Meer gespült wurden.

Zyklone gehören zur tropischen Natur von Queensland wie Clownfische zum Riff, aber durch den Klimawandel werden Stürme und Unwetter häufiger und schwerer und damit zu einer existenziellen Gefahr für Riffe. Zusammen mit stickstoffhaltigem Dünger und den Pestiziden, die im großen Stil von den Farmern im Hinterland von Queensland auf ihren Feldern, Plantagen und Weiden eingesetzt und durch Regen sowie die künstliche Bewässerung ins Meer gespült werden, gehören für die Wissenschaftler die Sedimentablagerungen zu einer der größten Gefahren für das weltweit einzigartige Ökosystem des GBR. Dornenkronenseesterne sind die einzigen Lebewesen, die sich über das verschmutzte und durch den Klimawandel erwärmte Wasser freuen. In der Brühe vermehren sie sich die giftigen Acanthaster planci explosionsartig. Das Problem: Sie ernähren sich ausschließlich von Korallen. Ein einzelnes Tier kann innerhalb eines Jahres eine Korallenfläche von 13 Quadratmetern vertilgen.

Nationaler Stolz

Dabei sind die Australier stolz auf die 2900 Einzelriffe, die zusammen das 2300 Kilometer lange Naturwunder Great Barrier Reef vor der Küste Queenslands formen. Das von den Korallentierchen erschaffene kunstvolle Kalkbauwerk ist Heimat von 1500 Fischarten – immerhin zehn Prozent aller weltweit bekannten Fischspezies – und 360 Arten von Hartkorallen. Die jährlich etwa 1,8 Millionen Touristen geben für Hotelzimmer, Restaurantbesuche und Schnorchel- und Tauchtouren mehr als fünf Milliarden australische Dollar aus. Rechnet man die Einnahmen durch die Sportfischerei sowie die kommerziellen Fischfangflotten hinzu, verdankt Australiens Wirtschaft dem Riff 5,8 Milliarden australische Dollar und 63 000 Jobs. Laut Umfragen in neun Wahlkreisen der Küste von Queensland fordern 73 Prozent der Wähler ein Entsorgungsverbot für Abfall aus der Ausbaggerung von Häfen in den Abschnitten des Riffs, die zum Weltkulturerbe zählen.

Buntes Leben im Riff | Die Artenvielfalt im Great Barrier Reef ist überwältigend: Mindestens 1500 Fischarten nennen es ihren Lebensraum – ein Zehntel aller bekannten Arten weltweit (Symbolbild).

Im Kampf um die Macht in Canberra spielt also verständlicherweise das Riff eine wesentliche Rolle in den umweltpolitischen Programmen der Parteien. Sowohl die regierende Labourpartei – der Umfragen wenig Chancen auf eine Wiederwahl einräumen – als auch die kurz "The Coalition" genannte Opposition aus Liberaler und Nationaler Partei versprechen millionenschwere Programme zum Schutz des Riffs. Richtig glücklich über das Wahlkampfgeklingel von Labour und der Koalition ist keine der großen australischen Umweltorganisationen. Während der notorisch diplomatische WWF seine Kritik und Zweifel an den Wahlversprechen mit dem lauten Lob der positiven Elemente verbrämt, scheut sich die Australian Marine Conservation Society (AMCS) nicht vor klaren Worten. So traut die AMCS der Aussage von Oppositionsführer Tony Abbott, "besser" keine Häfen in Gegenden mit "hohem Umweltwert" zu bauen, erst dann, wenn er sich darauf im Falle eines Wahlsiegs verbindlich festlegt.

Ebenso unglücklich sind sie über die Riffpolitik von Premierminister Kevin Rudd, die nach Ansicht der AMCS ein paar Symptome kuriert, aber nicht die Ursachen angeht. "Man kann keinen glaubwürdigen 'Riffrettungsplan' haben, ohne die zerstörerischen Auswirkungen der größtenteils von dem Ziel der Steigerung des Kohleexports getrieben rapiden Industrialisierung anzugehen", betont Felicity Wishart, Leiterin der Riffkampagne der AMCS. Dasa Dilemma von Rudd, dessen Umweltbewusstsein um einiges stärker ausgeprägt ist als das seines Konkurrent Abbott: Als Queensländer mit Wahlkreis in seiner Heimat kann Rudd die mächtigen Bergbaumultis – die wegen seiner CO2-Steuer maßgeblich an seinem Sturz während seiner ersten Amtszeit beteiligt waren – ebenso wenig verprellen wie die Wähler, die Fischer und die Tourismusbranche, die sich um die Zukunft des Riffs sorgen.

Wenige Tage vor der Wahl rückte zudem wieder der Klimawandel als Bedrohung des Riffs in den Vordergrund. Die erste schlechte Nachricht lieferte das Bureau of Meteorology: Der Zeitraum von September 2012 bis August 2013 war der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Australien. Die zweite schlechte Nachricht steckt in einer in dieser Woche veröffentlichten neuen Studie von Meeresbiologen der Universität von Queensland: Korallen des GBR lösen sich im Wasser schneller auf, das durch den steigenden CO2-Gehalt immer wärmer und säurehaltiger wird. Korallenriffe seien durch den Klimawandel stärker gefährdet, als bisher angenommen, warnt Ove Hoegh-Guldberg, Koautor der Studie.

Ist das Great Barrier Reef also vor den Gefahren von Kohle und Klimawandel, Landwirtschaft und Unwetter noch zu retten? Bei den Umweltschützern zumindest überwiegt angesichts der "leeren Platitüden" der großen Parteien während des Wahlkampfes die Skepsis.

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