Meeresökologie: Verlust der Kinderstube
Was wäre die Menschheit ohne das Meer und seine Reichtümer? Zumindest die Versorgung mit Nahrung wäre noch eingeschränkter. Ungeachtet dessen greifen wir das fundamentale Kapital der Ozeane an und zerstören die Kreißsäle und Kinderkrippen der Fische in Mangrovenwäldern wie Korallenriffen - obwohl wir von den Zinsen besser leben könnten.
Wie wertvoll Mangroven sein können, mussten die Bewohner von Wanduruppa schmerzlich am ersten Weihnachtstag des Jahres 2004 erfahren: Die von einem Seebeben vor Sumatra ausgelösten Tsunamis rissen in dem kleinen Dorf auf Sri Lanka zwischen 5000 und 6000 Menschen ins Meer oder erschlugen sie durch Baumstämme und Schutt, die von den starken Wellen umher geschleudert wurden. In den Jahren zuvor hatten die Menschen Wanduruppas ihre umliegenden Mangrovenwälder abgeholzt, um Garnelenzuchtteiche anzulegen oder Baumaterial und Brennstoff zu gewinnen. Die meterhohen Fluten aus dem Indischen Ozean konnten dadurch ungehindert ins Dorf rauschen und ihrern Tribut fordern.
Müllhalde statt Kindergarten
Allein diese Schutzwirkung sollte deshalb schon Anlass genug sein, die urigen Wälder auf ihren Stelzwurzeln im Gezeitenbereich zu bewahren – die Realität sieht jedoch völlig anders aus: Sri Lanka hat bereits mehr als die Hälfte seiner Mangroven verloren, an der thailändischen Küste zur Andamanensee standen zur Zeit des Tsunamis nach Angaben der IUCN nur noch kümmerliche 100 Hektar. Weltweit ging während der letzten 25 Jahre ein Fünftel der vorhandenen Mangroven verloren: Sie werden gerodet, um Platz zu schaffen für Garnelenzuchtteiche oder Hafenanlagen, dienen als Bauholz oder werden zu Holzkohle verarbeitet, sie stehen Hotelanlagen im Weg oder dienen als billige Müllhalde.
Die robusten Gewächse am Saum zwischen Land und Meer schützen jedoch nicht nur die Küste. Sie dienen auch als sichere Kinderstube vieler kommerziell nutzbarer Fischarten, deren Jungvolk unerreichbar für größere Raubfische durch das Wurzelgeflecht schwimmen kann. Aburto-Oropeza und seine Kollegen untersuchten daher, ob und welcher Zusammenhang zwischen der Größe eines Mangrovenbestandes und der Gesamtmenge angelandeter Fische in benachbarten Gemeinden besteht.
Jeder dritte Fisch stammt aus dem Wald
Ihre Zahlen waren eindeutig. Je stärker Mangroven den Jungfischschulen und bestimmten Krabben Schutz boten, weil sie entsprechend intakt und groß waren, desto mehr Beute zogen die Fischer aus dem umgebenden Meer: Fast jeder dritte Fisch wuchs in den Gezeitenwäldern auf. Die in den Gemeinden veräußerten 11 600 Tonnen Meeresgetier pro Jahr erbrachten durchschnittlich 19 Millionen Dollar Einkommen. Pro Hektar Mangrovenfläche erzielte die lokale Bevölkerung 200 Mal mehr Gewinn, als die mexikanische Regierung bislang annahm, und erbrachte ihnen zwischen 25 und 50 000 Dollar, während ein Garnelenzuchtteich gleicher Größe nur tausend Dollar abwerfen würde.
Erkannt hat man diesen ökonomischen und ökologischen Wert mittlerweile auch andernorts – etwa in Südostasien, wo nach dem Tsunami viele Aufforstungsprojekte initiiert wurden, um die Küsten kostengünstig zu schützen. Wie Maricar Samson und Rene Rollon von der University of the Philippines in Quezon City jedoch feststellen mussten, ging dieser gute Wille allerdings oft daneben [2]. Schon vor zwei Jahrzehnten begannen Naturschützer auf dem Archipel in Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung, neue Mangrovenwälder anzulegen, und pflanzten mehrere hundert Millionen Setzlinge. Von den rund 70 Projekten scheiterten jedoch die weitaus meisten, wie die Forscher bei ihren Besuchen vor Ort entdeckten: Viele der Bäumchen waren bereits wieder abgestorben oder kümmerten vor sich hin.
Guter Wille, grobe Fehler
Bevor neue Projektleiter sich allerdings auf die langwierige Suche nach geeigneten Standorten machen, empfehlen Samson und Rollon, alte Shrimpszuchtanlagen wieder zu restaurieren – sie lägen ohnehin meist auf ehemaligem Mangrovenland. Allerdings, so gestehen sie zu, scheint dies zumindest auf den Philippinen leichter gesagt als getan: Die Besitzer spekulieren nach Ende der Garnelenwirtschaft auf noch lukrativere Bauvorhaben an der Uferlinie.
Während beim Mangrovenschutz die Fischer ihren Nutzen häufig auf den ersten Blick erkennen, fällt es ihnen meist erheblich schwerer, neu geschaffene marine Reservate zu akzeptieren, in denen sie ihre Netze nicht auswerfen dürfen. Immer mehr Erhebungen zeigen allerdings, dass in den protegierten Arealen so viel Fisch heranwächst, dass dessen Überschüsse außerhalb des Gebietes guten Gewissens abgeschöpft werden können. Vielfach liegen die Erträge trotz der eingeschränkten Fangflächen sogar noch höher als vor dem Verbotserlass. Und an Korallenriffen ließen sich eventuelle Erwerbseinbußen – zumindest potenziell – durch Tauchtourismus ausgleichen, der vom bald wieder reichhaltigen Leben angelockt wird.
Seesterne im Zaum
Im indopazifischen Raum etwa fressen sich oft Dornenkronenseesterne (Acanthaster planci) durch die Bestände – und hinterlassen auf ihrem Weg nichts als weiße Korallenskelette. Erst wenn sie alles in erreichbarem Umkreis konsumiert haben, verhungern sie, aber nicht ohne vorher Legionen an Larven geboren zu haben, die mit der Strömung zu neuen Riffen treiben. Ihr Hunger zerstört vielfach bis zu drei Viertel der ortsansässigen Korallen. Nicht so in den 1989 eingerichteten Totalreservaten am Great Barrier Reef, die damals 4,5 Prozent des Schutzgebiets ausmachten: Verglichen mit der Situation außerhalb blieben Seesternattacken hier die Ausnahme. Nur in knapp jedem vierten Fall waren diese Riffe betroffen.
Kapuhenwala kam dagegen glimpflich davon. Obwohl der Weiler gleich in der Nachbarschaft von Wanduruppa liegt, starben hier nur zwei Menschen: Die Wucht der Tsunamis wurden durch die umliegenden 200 Hektar intakter Mangrovenwälder gebremst, ins Dorf schwappten nur noch kleinere Wogen, die kaum Schaden anrichteten. Auch wenn belastbare Zahlen zur Wirkung des Ökosystems auf die Energiebilanz von Tsunamis fehlen, so verringern die Bäume den Schlag normaler Sturmwellen um 70 bis 90 Prozent, wie Erfahrungen aus Regionen mit Mangroven und Wirbelstürmen zeigen.
Müllhalde statt Kindergarten
Allein diese Schutzwirkung sollte deshalb schon Anlass genug sein, die urigen Wälder auf ihren Stelzwurzeln im Gezeitenbereich zu bewahren – die Realität sieht jedoch völlig anders aus: Sri Lanka hat bereits mehr als die Hälfte seiner Mangroven verloren, an der thailändischen Küste zur Andamanensee standen zur Zeit des Tsunamis nach Angaben der IUCN nur noch kümmerliche 100 Hektar. Weltweit ging während der letzten 25 Jahre ein Fünftel der vorhandenen Mangroven verloren: Sie werden gerodet, um Platz zu schaffen für Garnelenzuchtteiche oder Hafenanlagen, dienen als Bauholz oder werden zu Holzkohle verarbeitet, sie stehen Hotelanlagen im Weg oder dienen als billige Müllhalde.
Während die Profite dieser Unternehmungen häufig andernorts eingestrichen werden, leiden die unmittelbaren Anwohner der Mangroven allerdings nicht nur im extremen Fall eines Tsunamis, wie Octavio Aburto-Oropeza von der Scripps Institution of Oceanography im kalifornischen La Jolla und sein Team an einem konkreten Beispiel nachgerechnet haben [1]. Sie richteten ihr Augenmerk auf die Küsten der Halbinsel Baja California und des angrenzenden Festlandes, wo die nördlichsten Mangrovenbestände des östlichen Pazifiks wachsen. Trotz der niedrigen Bevölkerungsdichte schwindet hier die Fläche des Ökosystems jährlich um zwei Prozent, in manchen Gebieten wurde bereits mehr als ein Viertel des Bestandes vernichtet.
Die robusten Gewächse am Saum zwischen Land und Meer schützen jedoch nicht nur die Küste. Sie dienen auch als sichere Kinderstube vieler kommerziell nutzbarer Fischarten, deren Jungvolk unerreichbar für größere Raubfische durch das Wurzelgeflecht schwimmen kann. Aburto-Oropeza und seine Kollegen untersuchten daher, ob und welcher Zusammenhang zwischen der Größe eines Mangrovenbestandes und der Gesamtmenge angelandeter Fische in benachbarten Gemeinden besteht.
Jeder dritte Fisch stammt aus dem Wald
Ihre Zahlen waren eindeutig. Je stärker Mangroven den Jungfischschulen und bestimmten Krabben Schutz boten, weil sie entsprechend intakt und groß waren, desto mehr Beute zogen die Fischer aus dem umgebenden Meer: Fast jeder dritte Fisch wuchs in den Gezeitenwäldern auf. Die in den Gemeinden veräußerten 11 600 Tonnen Meeresgetier pro Jahr erbrachten durchschnittlich 19 Millionen Dollar Einkommen. Pro Hektar Mangrovenfläche erzielte die lokale Bevölkerung 200 Mal mehr Gewinn, als die mexikanische Regierung bislang annahm, und erbrachte ihnen zwischen 25 und 50 000 Dollar, während ein Garnelenzuchtteich gleicher Größe nur tausend Dollar abwerfen würde.
Die Fischer profitierten selbst von kleinen Mangrovenwäldern, sofern diese intakt waren: In ihrem Umfeld tummelten sich überdurchschnittlich viele gesuchte und hochpreisige Arten wie Barsche der Gattung Centropomus oder Rote Schnapper (Lutjanus campechanus). Und da sowohl die Bevölkerung Mexikos als auch der Bedarf an Fisch und anderem Meeresgetier zukünftig weiter zunimmt, dürfte der Wert der Mangroven ebenfalls weiter wachsen, prophezeien die Biologen – und fordern dringend zu deren Schutz auf.
Erkannt hat man diesen ökonomischen und ökologischen Wert mittlerweile auch andernorts – etwa in Südostasien, wo nach dem Tsunami viele Aufforstungsprojekte initiiert wurden, um die Küsten kostengünstig zu schützen. Wie Maricar Samson und Rene Rollon von der University of the Philippines in Quezon City jedoch feststellen mussten, ging dieser gute Wille allerdings oft daneben [2]. Schon vor zwei Jahrzehnten begannen Naturschützer auf dem Archipel in Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung, neue Mangrovenwälder anzulegen, und pflanzten mehrere hundert Millionen Setzlinge. Von den rund 70 Projekten scheiterten jedoch die weitaus meisten, wie die Forscher bei ihren Besuchen vor Ort entdeckten: Viele der Bäumchen waren bereits wieder abgestorben oder kümmerten vor sich hin.
Guter Wille, grobe Fehler
Schnell machten sie Unwissenheit der willigen Gärtner als Ursache aus: Zumeist kannten die Betreuer die ökologischen Ansprüche der typischen Mangrovenarten nicht und wählten Sand- oder Schlammbänke und Seegraswiesen als Ansiedelungsort aus. Nährstoffmangel, starke Strömungen und Stürme setzten den Pflanzungen anschließend meist übel zu. Und um den Schaden noch zu vergrößern, zerstörten sie häufig noch unabsichtlich funktionierende Ökosysteme wie die Seegraswiesen, die Fische zum Laichen nutzen, oder Watten, die Zugvögeln als nahrhafte Rastgebiete dienen. Stattdessen empfehlen die beiden Ökologen Areale, die sanft zum Meer abfallen und nur während eines Drittels des Gezeitenzykluses unter Wasser stehen.
Bevor neue Projektleiter sich allerdings auf die langwierige Suche nach geeigneten Standorten machen, empfehlen Samson und Rollon, alte Shrimpszuchtanlagen wieder zu restaurieren – sie lägen ohnehin meist auf ehemaligem Mangrovenland. Allerdings, so gestehen sie zu, scheint dies zumindest auf den Philippinen leichter gesagt als getan: Die Besitzer spekulieren nach Ende der Garnelenwirtschaft auf noch lukrativere Bauvorhaben an der Uferlinie.
Während beim Mangrovenschutz die Fischer ihren Nutzen häufig auf den ersten Blick erkennen, fällt es ihnen meist erheblich schwerer, neu geschaffene marine Reservate zu akzeptieren, in denen sie ihre Netze nicht auswerfen dürfen. Immer mehr Erhebungen zeigen allerdings, dass in den protegierten Arealen so viel Fisch heranwächst, dass dessen Überschüsse außerhalb des Gebietes guten Gewissens abgeschöpft werden können. Vielfach liegen die Erträge trotz der eingeschränkten Fangflächen sogar noch höher als vor dem Verbotserlass. Und an Korallenriffen ließen sich eventuelle Erwerbseinbußen – zumindest potenziell – durch Tauchtourismus ausgleichen, der vom bald wieder reichhaltigen Leben angelockt wird.
Seesterne im Zaum
Denn auch an Riffen gilt, was an den Mangroven festgestellt wurde: Von gesunden Beständen profitieren langfristig Mensch wie Ökosystem, wie die Experten um Hugh Sweatman vom Australian Institute of Marine Science in Townsville am Beispiel des Great Barrier Reefs neuerlich darlegen [3]. Abwässer, Erderwärmung und Überfischung bedrohen das weltgrößte Riff in seinem Bestand, obwohl es zu großen Teilen als Nationalpark ausgewiesen ist. Die verschiedenen ökologischen Krisen schwächen die Korallen, die die bunte Basis des Lebensraums bilden, und machen sie anfälliger für Krankheiten oder Räuber.
Im indopazifischen Raum etwa fressen sich oft Dornenkronenseesterne (Acanthaster planci) durch die Bestände – und hinterlassen auf ihrem Weg nichts als weiße Korallenskelette. Erst wenn sie alles in erreichbarem Umkreis konsumiert haben, verhungern sie, aber nicht ohne vorher Legionen an Larven geboren zu haben, die mit der Strömung zu neuen Riffen treiben. Ihr Hunger zerstört vielfach bis zu drei Viertel der ortsansässigen Korallen. Nicht so in den 1989 eingerichteten Totalreservaten am Great Barrier Reef, die damals 4,5 Prozent des Schutzgebiets ausmachten: Verglichen mit der Situation außerhalb blieben Seesternattacken hier die Ausnahme. Nur in knapp jedem vierten Fall waren diese Riffe betroffen.
Was genau diese Zonen so widerstandsfähig macht, blieb den Forschern noch verborgen – Anekdoten weisen auf räuberische Fische hin, die junge Seesterne konsumieren, denen aber selbst gerne von Anglern und Kuttern nachgestellt wird. Sweatman glaubt dagegen eher an eine Kettenreaktion im Nahrungsnetz, in der große die kleineren Raubfische fressen. Davon profitieren am Ende größere Wirbellose, die sich wiederum an den Larven der Seesterne schadlos halten – zum Wohle der Korallen. Australien hat aus diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen immerhin Konsequenzen gezogen: Seit 2004 steht ein ganzes Drittel des Great Barrier Reef unter totalem Bann.
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