Marine Ökologie: Bis zur letzten Gräte
Die Menschen lieben Fisch; sei es als edles Sushi, wertvolle Proteinquelle oder billiges Viehfutter. Doch das Meer gibt immer weniger her. Setzt nicht bald ein Umdenken ein, könnten in vierzig Jahren auch die letzten Fanggründe heillos ausgebeutet sein - mit unabsehbaren Folgen für das gesamte Ökosystem.
Eine Meldung aus dem Independent, von Spiegel Online und Reuters schreckte im Sommer dieses Jahres britische und deutsche Touristen auf: "Quallenplage sucht spanische Mittelmeerküste heim".
Gleichzeitig entdeckten Wissenschaftler erstmals Riesenkalmare vor Alaska – sie leben sonst sehr viel weiter südlich vor Peru.
Im Winter zuvor beklagten sich Fischer rund um Japan über eine Invasion von riesigen, bis zu 200 Kilogramm schweren Nomura-Quallen, die ihre Netze zerstören oder verstopfen und die wenigen Fische darin durch Schleim wertlos machten.
Britische Ornithologen notierten gerade zum wiederholten Mal mangelnden Bruterfolg bei verschiedenen Seevogelarten, die essenziell auf jene Sandaale angewiesen sind, die verstärkt für Aquafarmen oder Viehfutter abgeschöpft werden.
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) warnte im September, dass bereits mehr als drei Viertel aller Fischereigründe der Erde überfischt oder bereits völlig zerstört sind.
Und zugleich meldeten die Vereinten Nationen, es gebe weltweit 150 zeitweilig oder permanent tote Meereszonen, in denen Überdüngung zu Algenblüten, Sauerstoffmangel und dem Absterben jeglichen tierischen Lebens führt – mehr als jemals zuvor.
Ihre Warnung basiert dabei auf profunden Daten, schließlich umfasst sie die Ergebnisse von 32 kontrolliert durchgeführten Experimenten, Aufnahmen aus 48 verschiedenen Meeresschutzgebieten und globalen Fangdaten von Fischen wie Wirbellosen der FAO, die zwischen 1950 und 2003 in 64 großen marinen Ökosystemen offiziell erfasst wurden. Zusätzlich bezogen die Wissenschaftler archäologische Aufnahmen, historische Fangbücher, Archivmaterial und Sedimentproben in ihre Analyse mit ein, um für zumindest zwölf Küstenregionen – etwa das Wattenmeer, die Adria, die Bucht von San Francisco oder den St.-Lorenz-Strom in Kanada – jeweils tausendjährige Zeitreihen der marinen Vielfalt wie ihrer Nutzung aufstellen zu können.
Kettenraktion im Ökosystem
Was sie entdeckten, erschütterte den Biologen Worm: "Ob in einzelne Gezeitentümpeln oder kompletten Ozeanbecken – überall entdeckten wir das gleiche Muster: Verlieren wir eine Art, verlieren wir die Produktivität und Stabilität des gesamten Systems. Ich war verstört, wie konsistent diese Trends sind – weit stärker als wir je vermuteten."
Ähnlich gezielte Eingriffe erleichtern ebenso die Ansiedelung invasiver Arten wie der Fall der Pazifischen Auster (Crassostrea gigas) in der Nordsee zeigt. Sie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Nordsee als Zuchttier eingeführt, um die zuvor durch Übernutzung dezimierte und schließlich fast vollständig ausgerottet Europäische Auster (Ostrea edulis) zu ersetzen.
Der Neuankömmling hätte sich eigentlich nicht ausbreiten dürfen, da er aus wärmeren Gewässern stammt und die europäischen Winter nicht überleben sollte. Begünstigt aber durch den Klimawandel und höhere Wassertemperaturen wie auch durch die unfreiwillig von der europäischen Verwandten frei geräumte ökologische Nische breitet sich die Auster mit Migrationshintergrund nun zunehmend in der Nordsee aus. Dabei verdrängt sie die heimischen Miesmuscheln (Mytilus edulis), die wirtschaftlich wichtig sind und von vielen Vogelarten des Wattenmeers als Nahrung genutzt werden, während die Pazifischen Austern für sie kaum zu knacken sind. Klimawandel und Überfischung werden zusammengenommen auch als Hauptschuldige für vermehrt auftretende Quallenplagen genannt, die vom Fehlen ihrer konsequent befischten Feinde wie Tunfische oder Meeresschildkröten profitieren.
Noch ist nicht alles zu spät
Alles in allem notierten die Forscher während der letzten tausend Jahre einen stetigen Verlust an Arten vor allem in gut erreichbarer Küstennähe, der sich seit der industriellen Revolution deutlich beschleunigt hat. Mittlerweile gelten die Populationen eines guten Drittels aller derartig genutzten Fisch-, Weichtier- oder Krustentierspezies als vollständig erschöpft, sodass ihre Erholung zumindest sehr fraglich scheint – wie jene des atlantischen Kabeljaus vor Neufundland, dessen Bewirtschaftung 1995 komplett eingestellt werden musste.
Als Beleg dienen Worms Mannschaft 48 marine Reservate, in denen kein Fischfang oder ähnliche kommerzielle Nutzung erfolgen darf. Verglichen mit ähnlichen, jedoch bewirtschafteten Arealen wiesen sie im Schnitt eine um ein Fünftel höhere Biodiversität auf – auch von kommerziell nachgefragten Spezies. Außerdem ließen sich die Fänge im Umkreis der Schutzgebiete pro Flächeneinheit auf das Vierfache steigern, was zeigt, dass diese Verbotszonen als Hort und Quellgebiet für neuen Fischreichtum dienen können.
Gleichzeitig widerstanden diese Gebiete häufiger Störungen wie Stürmen oder Hitzestress als jene, die ohnehin schon durch die Fischerei belastet sind. Je höher der natürliche Artenreichtum dabei im Vergleich zu den ausgebeuteten Bereichen war, desto stabiler und produktiver erwiesen sich diese Schutzzonen.
Macht die Menschheit allerdings weiter wie bisher, wird wohl Ko-Autor Steve Palumbi von der Universität in Stanford Recht behalten: "Wenn wir unseren Umgang mit den Meeresarten nicht grundlegend ändern, wird dieses das letzte Jahrhundert für wilde Fische und Meeresfrüchte sein."
Gleichzeitig entdeckten Wissenschaftler erstmals Riesenkalmare vor Alaska – sie leben sonst sehr viel weiter südlich vor Peru.
Im Winter zuvor beklagten sich Fischer rund um Japan über eine Invasion von riesigen, bis zu 200 Kilogramm schweren Nomura-Quallen, die ihre Netze zerstören oder verstopfen und die wenigen Fische darin durch Schleim wertlos machten.
Britische Ornithologen notierten gerade zum wiederholten Mal mangelnden Bruterfolg bei verschiedenen Seevogelarten, die essenziell auf jene Sandaale angewiesen sind, die verstärkt für Aquafarmen oder Viehfutter abgeschöpft werden.
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) warnte im September, dass bereits mehr als drei Viertel aller Fischereigründe der Erde überfischt oder bereits völlig zerstört sind.
Und zugleich meldeten die Vereinten Nationen, es gebe weltweit 150 zeitweilig oder permanent tote Meereszonen, in denen Überdüngung zu Algenblüten, Sauerstoffmangel und dem Absterben jeglichen tierischen Lebens führt – mehr als jemals zuvor.
Es geht etwas vor in den Ozeanen und Randmeeren des blauen Planeten – offensichtlich jedoch nichts Gutes und gleich, wohin die Wissenschaft auch ihren Blick wirft, so wie es nun Meeresbiologen und Ökonomen um Boris Worm von der Dalhousie-Universität in Halifax getan haben. Bis 2050, so prognostizieren sie, werden alle gegenwärtig genutzten Fisch-, Muschel- oder Krustentiergründe kollabiert sein, sollten die gegenwärtig wenig nachhaltigen Nutzungsstrategien weiter Bestand haben.
Ihre Warnung basiert dabei auf profunden Daten, schließlich umfasst sie die Ergebnisse von 32 kontrolliert durchgeführten Experimenten, Aufnahmen aus 48 verschiedenen Meeresschutzgebieten und globalen Fangdaten von Fischen wie Wirbellosen der FAO, die zwischen 1950 und 2003 in 64 großen marinen Ökosystemen offiziell erfasst wurden. Zusätzlich bezogen die Wissenschaftler archäologische Aufnahmen, historische Fangbücher, Archivmaterial und Sedimentproben in ihre Analyse mit ein, um für zumindest zwölf Küstenregionen – etwa das Wattenmeer, die Adria, die Bucht von San Francisco oder den St.-Lorenz-Strom in Kanada – jeweils tausendjährige Zeitreihen der marinen Vielfalt wie ihrer Nutzung aufstellen zu können.
Kettenraktion im Ökosystem
Was sie entdeckten, erschütterte den Biologen Worm: "Ob in einzelne Gezeitentümpeln oder kompletten Ozeanbecken – überall entdeckten wir das gleiche Muster: Verlieren wir eine Art, verlieren wir die Produktivität und Stabilität des gesamten Systems. Ich war verstört, wie konsistent diese Trends sind – weit stärker als wir je vermuteten."
"Überall entdeckten wir das gleiche Muster: Verlieren wir eine Art, verlieren wir die Produktivität und Stabilität des gesamten Systems"
(Boris Worm)
Können Arten ihrer ökologischen Rolle nicht mehr nachkommen, hat dies eine Kettenreaktion zur Folge. Weitere Spezies verschwinden, weil womöglich der Feind ihres Feindes nun fehlt, wie Beispiele aus der Karibik zeigen. Dort stehen einige Haiarten kurz vor der Ausrottung und halten dadurch nicht mehr kleinere Raubfische in Schach, die im Bestand folglich anwachsen und wiederum Plankton fressende Schuppenträger nachhaltig dezimieren.(Boris Worm)
Ohne die Vegetarier aber können sich die Algen unkontrolliert ausbreiten, deren Absterben nach Blüteperioden zu Sauerstoff-Mangel im Wasser führt. Häufig bilden sie dicke Teppiche auf Korallenriffen, deren Bewohner darunter ersticken. Am Ende steht dann der Zusammenbruch des artenreichen Ökosystems, das durch ein deutlich artenärmeres ersetzt wird. Zusätzlich beeinträchtigt dies die Sicherheit der Küstenbewohner, agieren doch gesunde Riffe oder Mangroven als Wellenbrecher und bieten Schutz vor Sturmfluten.
Ähnlich gezielte Eingriffe erleichtern ebenso die Ansiedelung invasiver Arten wie der Fall der Pazifischen Auster (Crassostrea gigas) in der Nordsee zeigt. Sie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Nordsee als Zuchttier eingeführt, um die zuvor durch Übernutzung dezimierte und schließlich fast vollständig ausgerottet Europäische Auster (Ostrea edulis) zu ersetzen.
Der Neuankömmling hätte sich eigentlich nicht ausbreiten dürfen, da er aus wärmeren Gewässern stammt und die europäischen Winter nicht überleben sollte. Begünstigt aber durch den Klimawandel und höhere Wassertemperaturen wie auch durch die unfreiwillig von der europäischen Verwandten frei geräumte ökologische Nische breitet sich die Auster mit Migrationshintergrund nun zunehmend in der Nordsee aus. Dabei verdrängt sie die heimischen Miesmuscheln (Mytilus edulis), die wirtschaftlich wichtig sind und von vielen Vogelarten des Wattenmeers als Nahrung genutzt werden, während die Pazifischen Austern für sie kaum zu knacken sind. Klimawandel und Überfischung werden zusammengenommen auch als Hauptschuldige für vermehrt auftretende Quallenplagen genannt, die vom Fehlen ihrer konsequent befischten Feinde wie Tunfische oder Meeresschildkröten profitieren.
Noch ist nicht alles zu spät
Alles in allem notierten die Forscher während der letzten tausend Jahre einen stetigen Verlust an Arten vor allem in gut erreichbarer Küstennähe, der sich seit der industriellen Revolution deutlich beschleunigt hat. Mittlerweile gelten die Populationen eines guten Drittels aller derartig genutzten Fisch-, Weichtier- oder Krustentierspezies als vollständig erschöpft, sodass ihre Erholung zumindest sehr fraglich scheint – wie jene des atlantischen Kabeljaus vor Neufundland, dessen Bewirtschaftung 1995 komplett eingestellt werden musste.
"Es gibt eine gute Nachricht, denn es ist noch nicht zu spät für eine Wende"
(Boris Worm)
Der Verlust von 40 000 Arbeitsplätzen war die Folge, und bis heute ist kein Zuwachs an Kabeljau vor Ort feststellbar. Damit verknüpft sind vielfach degenerierte so genannte Kinderstuben der Tiere wie Seegraswiesen, Austernbänke, Mangroven oder Salzmarschen, die entweder direkt durch den Menschen zerstört wurden oder unter den vielfältigen Kettenreaktionen zu leiden hatten: Ihre Verluste belaufen sich auf etwa siebzig Prozent des ursprünglichen Bestands, und diese beeinträchtigen auch die Selbstreinigungsfähigkeit des Meeres, die sich ähnlich stark verschlechtert hat. (Boris Worm)
Nicht alles sieht aber pessimistisch aus, wie die Forscher betonen: "Es gibt eine gute Nachricht, denn es ist noch nicht zu spät für eine Wende", so Worm. Denn in ihrer Auswertung zeigte sich ebenso, welch starke Erholungskraft die Meere allen Belastungen zum Trotz immer noch besitzen. Werden – anders als im Fall des Kabeljaus – die Reißleinen rechtzeitig gezogen, besitzen die Arten wie das Ökosystem als Ganzes eine bemerkenswerte Regenerationsfähigkeit.
Als Beleg dienen Worms Mannschaft 48 marine Reservate, in denen kein Fischfang oder ähnliche kommerzielle Nutzung erfolgen darf. Verglichen mit ähnlichen, jedoch bewirtschafteten Arealen wiesen sie im Schnitt eine um ein Fünftel höhere Biodiversität auf – auch von kommerziell nachgefragten Spezies. Außerdem ließen sich die Fänge im Umkreis der Schutzgebiete pro Flächeneinheit auf das Vierfache steigern, was zeigt, dass diese Verbotszonen als Hort und Quellgebiet für neuen Fischreichtum dienen können.
Gleichzeitig widerstanden diese Gebiete häufiger Störungen wie Stürmen oder Hitzestress als jene, die ohnehin schon durch die Fischerei belastet sind. Je höher der natürliche Artenreichtum dabei im Vergleich zu den ausgebeuteten Bereichen war, desto stabiler und produktiver erwiesen sich diese Schutzzonen.
"Wenn wir unseren Umgang mit den Meeresarten nicht grundlegend ändern, wird dieses das letzte Jahrhundert für wilde Fische und Meeresfrüchte sein"
(Steve Palumbi)
Sofortige Gegenmaßnahmen wie verbesserte Wasserqualität, wirklich nachhaltige Fangquoten und die Ausweisung streng geschützter Rückzugsräume würden sich dabei nach Beobachtung von Worm und seinen Partnern rasch bemerkbar machen: "Wir dürften wohl keine vollständige Erholung innerhalb eines Jahres sehen, aber viele Arten werden deutlich schneller zurückkehren als erwartet – in drei, fünf oder zehn Jahren." (Steve Palumbi)
Macht die Menschheit allerdings weiter wie bisher, wird wohl Ko-Autor Steve Palumbi von der Universität in Stanford Recht behalten: "Wenn wir unseren Umgang mit den Meeresarten nicht grundlegend ändern, wird dieses das letzte Jahrhundert für wilde Fische und Meeresfrüchte sein."
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