Ökologische Netzwerke: Stützen des Systems
Der Mensch ist Teil eines so komplizierten Netzwerks, dass er dieses nicht vollständig versteht. Dennoch greift er an vielen Punkten darin ein und bringt das Gleichgewicht durcheinander. Insbesondere wenn Raubtiere verschwinden oder sich deren Nahrungsgrundlage verschiebt, könnten die Folgen fatal sein – auch für den Menschen.
Schon immer verschwanden Lebewesen von der Erde, doch noch nie in dem enormen Tempo, in dem sie in der letzten Zeit auf Nimmerwiedersehen von uns gehen. Schuld an dieser Beschleunigung ist die "Krone der Schöpfung", der Mensch: Blindlings zerstört er Lebensräume (vor allem tropische Regenwäler, Inlandsgewässer und Küsten), verschleppt Arten in neue Regionen, übernutzt – beispielsweise durch Überfischung – biologische Ressourcen und verschmutzt die Natur. Solch ein Raubbau kann nicht ohne Folgen bleiben: Rund 12 Prozent aller Vogelarten, 23 Prozent der Säugetiere, 25 Prozent der Koniferen, 32 Prozent der Amphibien und 52 Prozent der Palmfarne sind derzeit vom Aussterben bedroht.
An welchen Punkten ist ein Ökosystem gegenüber Störungen besonders anfällig? Ökosysteme sind hochkomplexe Netze, in denen zahlreiche Arten über die Nahrungssuche miteinander verwoben sind. Die Verbindungen zwischen den Arten eines Ökosystems können antagonistisch sein wie bei Jäger und Beute oder aber beiderseitigen Nutzen bieten wie bei der Bestäubung von Blüten durch Insekten. Zwischen manchen Arten bestehen sehr enge Verbindungen, zwischen anderen etwas losere. Diese Ökosystemnetze unterscheiden sich grundlegend von anderen Netzen, beispielsweise Computernetzen oder Netzen von Menschen untereinander, wie ein Team um José Montoya von der Queen Mary Universität London in einem aktuellen Übersichtsartikel betont [1].
Störungen von außen können diese Netzwerke eine ganze Zeit lang widerstehen, bevor sie abrupt zusammenbrechen. Die äußerst komplexen Verbindungen zwischen den zahlreichen Arten eines Ökosystems machen es enorm schwierig herauszufinden, welche Punkte die entscheidenden für die Stabilität des Systems sind. Neil Rooney von der Universität Guelph und sein Team fanden nun zwei entscheidende Punkte [2].
Die Wissenschaftler analysierten Daten aus mehreren über verschiedene Kontinente verteilten ganz unterschiedlich gearteten aquatischen und terrestrischen Ökosystemen von der amerikanischen Chesapeake Bay bis zur Beringsee und von arktischer Tundra über einen europäischen Nadelwald bis zum nordamerikanischen Grasland. Die Forscher legten ihr Augenmerk auf die Nahrungsketten in diesen Netzen.
Den Anfang dieser Nahrungsketten bilden in aquatischen Systemen entweder das Phytoplankton oder organische Substanz abbauende Mikroorganismen, in terrestrischen Systemen Bakterien und Pilze. Sie werden gefressen von Arten, die sich zumeist auf eine der beiden zur Wahl stehenden Nahrungsquellen spezialisiert haben und die selbst wiederum anderen Räubern zum Opfer fallen, sodass schließlich ein Nahrungsnetz entsteht.
Rooney und seine Kollegen stellten nun fest, dass all den von ihnen untersuchten Nahrungsnetzen eines gemeinsam ist: Die Räuber am oberen Ende des Netzes ernähren sich von verschiedenen Beutetieren, die aus unterschiedlichen Kanälen der Nahrungskette stammen. Dabei nehmen die Jäger über manche Kanäle wesentlich mehr Nahrung auf als über andere, wobei aber kein einzelner von ihnen eine dominante Bedeutung hat.
Gibt es nun über den einen Kanal gerade mehr zu fressen als über einen anderen, wendet sich der Räuber vorübergehend vor allem diesen zu, bis diese Quelle wieder versiegt und dafür eine andere umso reichhaltiger sprudelt. Durch diesen Wechsel sorgen die Räuber am oberen Ende der Nahrungskette für die Stabilität des ganzen Systems, und Störungen von außen können umso besser aufgefangen werden, je heterogener die Nahrungskanäle sind.
Nun greift der Mensch ausgerechnet in diese zwei Faktoren besonders stark ein: Übernutzung und Eutrophierung beeinträchtigen die Bedeutung der Räuber und der einzelnen Kanäle in den Nahrungsketten. Damit untergräbt der Mensch die stabilisierenden Stützen der Ökosysteme.
"Der Verlust der Biodiversität verursacht der Gesellschaft reale ökonomische Kosten“
(Charles Perrings)
Die Folge des hemmungslosen Wütens: Die natürliche Vielfalt der Arten, die Biodiversität, schwindet dahin. Doch gerade sie ist enorm wichtig für die Stabilität der Ökosysteme – und schließlich auch für den Menschen. "Die Biodiversität ist die Grundlage für Dienste, die die Ökosysteme leisten, wie die Regulation von Krankheiten und Klima, Schutz vor Stürmen und Lebensraum für nützliche Arten. Der Verlust der Biodiversität verursacht der Gesellschaft reale ökonomische Kosten", sagt der Ökosystemforscher Charles Perrings von der Arizona State University. (Charles Perrings)
An welchen Punkten ist ein Ökosystem gegenüber Störungen besonders anfällig? Ökosysteme sind hochkomplexe Netze, in denen zahlreiche Arten über die Nahrungssuche miteinander verwoben sind. Die Verbindungen zwischen den Arten eines Ökosystems können antagonistisch sein wie bei Jäger und Beute oder aber beiderseitigen Nutzen bieten wie bei der Bestäubung von Blüten durch Insekten. Zwischen manchen Arten bestehen sehr enge Verbindungen, zwischen anderen etwas losere. Diese Ökosystemnetze unterscheiden sich grundlegend von anderen Netzen, beispielsweise Computernetzen oder Netzen von Menschen untereinander, wie ein Team um José Montoya von der Queen Mary Universität London in einem aktuellen Übersichtsartikel betont [1].
Störungen von außen können diese Netzwerke eine ganze Zeit lang widerstehen, bevor sie abrupt zusammenbrechen. Die äußerst komplexen Verbindungen zwischen den zahlreichen Arten eines Ökosystems machen es enorm schwierig herauszufinden, welche Punkte die entscheidenden für die Stabilität des Systems sind. Neil Rooney von der Universität Guelph und sein Team fanden nun zwei entscheidende Punkte [2].
Die Wissenschaftler analysierten Daten aus mehreren über verschiedene Kontinente verteilten ganz unterschiedlich gearteten aquatischen und terrestrischen Ökosystemen von der amerikanischen Chesapeake Bay bis zur Beringsee und von arktischer Tundra über einen europäischen Nadelwald bis zum nordamerikanischen Grasland. Die Forscher legten ihr Augenmerk auf die Nahrungsketten in diesen Netzen.
Den Anfang dieser Nahrungsketten bilden in aquatischen Systemen entweder das Phytoplankton oder organische Substanz abbauende Mikroorganismen, in terrestrischen Systemen Bakterien und Pilze. Sie werden gefressen von Arten, die sich zumeist auf eine der beiden zur Wahl stehenden Nahrungsquellen spezialisiert haben und die selbst wiederum anderen Räubern zum Opfer fallen, sodass schließlich ein Nahrungsnetz entsteht.
Rooney und seine Kollegen stellten nun fest, dass all den von ihnen untersuchten Nahrungsnetzen eines gemeinsam ist: Die Räuber am oberen Ende des Netzes ernähren sich von verschiedenen Beutetieren, die aus unterschiedlichen Kanälen der Nahrungskette stammen. Dabei nehmen die Jäger über manche Kanäle wesentlich mehr Nahrung auf als über andere, wobei aber kein einzelner von ihnen eine dominante Bedeutung hat.
Gibt es nun über den einen Kanal gerade mehr zu fressen als über einen anderen, wendet sich der Räuber vorübergehend vor allem diesen zu, bis diese Quelle wieder versiegt und dafür eine andere umso reichhaltiger sprudelt. Durch diesen Wechsel sorgen die Räuber am oberen Ende der Nahrungskette für die Stabilität des ganzen Systems, und Störungen von außen können umso besser aufgefangen werden, je heterogener die Nahrungskanäle sind.
Nun greift der Mensch ausgerechnet in diese zwei Faktoren besonders stark ein: Übernutzung und Eutrophierung beeinträchtigen die Bedeutung der Räuber und der einzelnen Kanäle in den Nahrungsketten. Damit untergräbt der Mensch die stabilisierenden Stützen der Ökosysteme.
"Zum Wohl des Planeten muss die wissenschaftliche Gemeinschaft, die sich mit Biodiversität beschäftigt, einen Weg finden, ihre Arbeit disziplinübergreifend zu koordinieren und mit einer einzigen Stimme Regierungen zu den Schritten beraten, die notwendig sind, um den bereits voranschreitenden möglicherweise katastrophalen Verlust von Arten zu stoppen"
(Robert Watson)
Angesichts dieser Bedrohung und der rapide dahinschwindenden Artenvielfalt sind Schutzmaßnahmen zum Erhalt stabiler Ökosystem wichtiger denn je. Eine 19-köpfige Gruppe von Ökologen warnt davor, die Bedeutung der Biodiversität weiterhin zu unterschätzen und fordert – wie es für den Klimaschutz bereits getan wurde – die Einrichtung einer internationalen Expertengruppe, welche die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenträgt und die Regierungen über geeignete Maßnahmen berät. Es bestehe dringender Bedarf, den Abstand zwischen Wissenschaft und Maßnahmen zu überbrücken [3]. "Zum Wohl des Planeten muss die wissenschaftliche Gemeinschaft, die sich mit Biodiversität beschäftigt, einen Weg finden, ihre Arbeit disziplinübergreifend zu koordinieren und mit einer einzigen Stimme Regierungen zu den Schritten beraten, die notwendig sind, um den bereits voranschreitenden möglicherweise katastrophalen Verlust von Arten zu stoppen", sagt Robert Watson von der Weltbank, einer der Unterzeichner des Aufrufs. (Robert Watson)
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