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Artenschutz: Grenzgänger

Überfischung hat den Tunfisch in manchen Regionen des Atlantik an den Rand des Aussterbens gebracht. Verschiedene Schutzbestimmungen sollen den Kollaps der besonders gefährdeten westlichen Population verhindern. Doch sie basieren auf falschen Annahmen.
<i>Thunnus thynnus</i>
"Delfinsicher" oder etwas in der Art prangt auf inzwischen fast jeder Tunfischdose – welcher Wahrheitsgehalt auch immer dahinter steckt. Davon abgesehen müssten die Produzenten längst ein weiteres Qualitätsmerkmal einführen: "ohne westatlantischen Tun". Denn dessen Bestände vor der nordamerikanischen Küste nahmen durch Überfischung seit den 1970er Jahren um achtzig Prozent ab. Die Internationale Komission für den Erhalt des Atlantischen Tuns (ICCAT) zog daher auf dem 45. Längengrad eine schnurgerade Grenze mitten durch den Atlantik und beschränkte die Fangquoten im Westen auf 3000 Tonnen jährlich. Das entspricht einem Zehntel dessen, was im Osten des Meeres erlaubt ist. Grundlage für die Entscheidung war, dass der Große Tunfisch (Thunnus thynnus) ganz offensichtlich in zwei getrennten Populationen lebt, die – so die bisherige Annahme – die Meeresmitte meiden und sich so in ihrem Leben nie begegnen. Doch diese Annahme, so zeigt sich nun wieder, ist grundlegend falsch.

Denn Tunfische interessieren sich nicht im geringsten für Grenzen, schon gar nicht für menschgemachte, stellten Barbara Block von der Stanford-Universität und ihre Kollegen fest. Zwar bleiben sie in den Laichgründen offenbar gern ausschließlich unter sich, doch ergiebige Nahrungsgründe im zentralen und östlichen Atlantik erkunden insbesondere ausgewachsene Tiere beider Populationen durchaus gemeinschaftlich Seite an Seite. Und damit gehen die bedrohten Westatlantikbewohner auch im stark befischten Osten den Fischern ins Netz – beziehungsweise an die Langleine. Zumal die Fischerei, die sich damals zu ICCAT-Entscheidungszeiten Anfang der 1980er Jahre noch stärker auf die jeweiligen Küstenregionen beschränkt hatte, inzwischen auch die dazwischen liegenden Hochseeregionen durchzieht.

Besenderung der Tunfische | Mit Hilfe von implantierten und außen am Tier befestigten Sendern verfolgten die Forscher um Barbara Block von der Stanford University über Jahre hinweg das Wanderverhalten von Tunfischen. Offenbar nutzen auch Angehörige der gefährdeten westatlantischen Population Nahrungsgründe im Osten – und gehen dort den Fischern ins Netz.
Ihre umfangreichen Daten zum Wanderverhalten der Tiere ermittelten die Wissenschaftler mit Hilfe von Sendern, die sie den Fischen entweder implantiert hatten – eine Belohnung von 1000 Dollar sicherte die Rückgabe von bisher immerhin 88 dieser Archive – oder so angebracht hatten, dass sie sich nach einiger Zeit lösten und ihre Daten von der Wasseroberfläche aus per Satellit an die Forscher funkten. Insgesamt wurden 772 Tunfische derart ausgestattet, zu 332 lagen nun teils mehrjährige Aufzeichnungen vor. Block und ihrem Team gelang es auch, die Kinderstuben der Tunfische im Golf von Mexiko genauer auszumachen und zu bestätigen, dass die Tiere dort zwischen April und Juni laichen. In dieser Phase gefangene Tiere starben den Wissenschaftlern häufig schnell unter den Händen weg, obwohl sie teilweise "nur" zwei Stunden am Haken gehangen hatten. Block und ihre Kollegen vermuten, dass das warme Wasser und der Fortpflanzungsstress den Sauerstoffbedarf der Tiere enorm ankurbeln und dies sie an den Rand der körperlichen Leistungsfähigkeit bringt. Die Begegnung mit dem Haken wäre damit der letzte Auslöser für den Kollaps – und die ist, angesichts der dort genehmigten Fischerei, zu Laichzeiten nicht selten.

Die Ergebnisse rufen laut nach einer Neufassung der ICCAT-Regeln, meinen daher die Forscher. Zum einen sei es dringend notwendig, dass die Laichgründe im Golf von Mexiko zu Zeiten der Laichablage besser geschützt werden – am besten mit einem rigorosen Fangverbot. Da diese auf dem nordamerikanischen Schelf und vorwiegend im Hoheitsbereich der USA liegen, ist deren Regierung gefragt. Doch auch entsprechende Einschränkungen der Fischerei in der Karibik müssten folgen, um auch dort vermutete Kinderstuben zu schützen. Gleichzeitig gelte es, die irrelevante Grenze aufzuheben und stattdessen die ergiebigen, gemeinsam besuchten Futtergründe zwischen dem 35. und 50. Breitengrad unter besonderen Schutz zu stellen.

Alles in allem nachvollziehbare Maßnahmen – und auch durchaus leicht umzusetzen. Das Hauptproblem an der Sache dürfte trotzdem wieder einmal sein, die Verantwortlichen entgegen von Wirtschaftsinteressen zu überzeugen. Schließlich ist Tunfisch ein gutes Geschäft: In manch asiatischen Ländern werden bereits horrende Preise für den Fisch bezahlt. Wird nicht schnell etwas unternommen, werden die bis zu 650 Kilogramm schweren gigantischen Grenzgänger aus dem Westen wohl bald nicht mehr durch den Atlantik ziehen.

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