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Umweltökonomie: Hand in Hand

Raubbau ist oft die Regel, Naturschutz meist die Ausnahme: Nahezu weltweit versuchen Menschen im Namen des Fortschritts maximalen Profit aus Wäldern, Meeren oder Savannen zu ziehen und zerstören dabei ihre Umwelt. Ein Beispiel aus Thailand zeigt, dass es auch anders gehen kann.
Mangroven als Küstenschutz
Die Katastrophe brach unerwartet über Südostasien herein, und nichts hätte sie verhindern können: Der Tsunami vom 26. Dezember 2005 war die Folge eines schweren Seebebens im Andamanen-Graben des Indischen Ozeans und kostete mehr als 250 000 Menschen das Leben. Wenigstens ein Teil davon könnte heute aber vielleicht noch leben, wäre an Teilen der betroffenen Küsten nicht starker Raubbau an der Natur betrieben worden.

Denn in großen Teilen Süd- und Südostasiens wurden Korallenriffe und Mangroven zerstört, um Baumaterial zu gewinnen oder Platz für Garnelenzuchtanlagen zu schaffen. Beide ursprünglichen Ökosysteme hätten jedoch wie natürliche Wellenbrecher gewirkt, die die Wucht des Wassers mindern und so die dahinter an Land gelegenen Siedlungen schützen – was Vergleichsstudien zeigten: Dörfer, die hinter intakten Mangroven oder Riffen lagen, waren deutlich weniger von den Riesenwellen betroffen und geschädigt als benachbarte Gemeinden, die ihre Schutzschilde übernutzt und zerstört hatten.

Sammeln von Krabben | Eine naturverträgliche Form der Mangrovennutzung ist das Einsammeln bestimmter Krabben wie hier in Aklan auf den Philippinen, da hierfür die Bäume nicht gerodet werden müssen.
Angesichts dieser Erkenntnisse und des Schocks nach der Katastrophe verboten viele Regierungen, dass Mangroven weiter abgeholzt werden, und begannen zerstörte Areale wieder aufzuforsten oder sich regenerieren zu lassen. Eine Zwickmühle, denn auf der anderen Seite brachten beispielsweise Thailand die Zuchtgarnelen aus den neuen Teichen beträchtliche Deviseneinnahmen und sind ärmere Bevölkerungsschichten auf die natürlichen Ressourcen zwingend angewiesen – etwa um Feuerholz einzuschlagen.

Ein Ausgleich muss also gefunden, und laut Edward Barbier von der Universität von Wyoming in Laramie und seinen Kollegen lassen sich Ökonomie und Ökologie wirklich zum Nutzen aller vortrefflich vereinen. Sie berechneten den wahren Wert einer thailändischen Mangrove und setzten ihn in Bezug zu ihrem Schutzfaktor sowie den Erträgen, die sich aus Garnelenzucht, Fischfang und Holzeinschlag gewinnen lassen.

Als kostbarster Nutzen einer zehn Quadratkilometer großen Beispielfläche des Walds erwies sich tatsächlich der Küstenschutz, der bei maximaler Bedeckung einen Gegenwert von mindestens 16 Millionen US-Dollar ausmachte. Dazu kamen weitere drei Millionen Dollar aus der nachhaltigen Vermarktung von Holzprodukten sowie aus der Fischerei. Letztere profitiert davon, dass Mangroven die Kinderstube vieler Fischarten sind und zudem vielen Muscheln oder Krustentieren eine fruchtbare Heimat bieten. Garnelenfarmen erbrachten dagegen als Höchsteinnahme zehn Millionen Dollar – und das auch nur, wenn sie die Mangroven vollständig ersetzten. Die Wertschöpfung fiel also deutlich geringer aus als im totalen Naturschutz-Szenario, das nur eine sanfte Nutzung vorsieht – zumal sie im Beispiel der Forscher überwiegend an auswärtige Investoren fiele, während die lokale Bevölkerung vor allem von den natürlichen Dienstleistungen des Ökosystems profitiert.

Doch erkannten die Forscher, dass das Ökosystem nicht linear wertvoller wurde. Weder steigerte sich ab einer gewissen Mindestausdehnung seine Schutzwirkung mit immer größeren Flächen, noch nahm sein geldwerter Vorteil weiter zu: Eine verdoppelte Fläche erbrachte keine doppelte Protektion und doppelte Einnahmen. Vielmehr flachte die Kurve ab einem bestimmten Flächenmaß ab und verharrte auf gleichbleibend hohem Niveau, das allerdings weiterhin vom finanziellen Nutzen des Küstenschutzes getragen wurde.

Nur noch Stümpfe | Die Anlage von Zuchtteichen für Garnelen erfordert dagegen Kahlschlag. Ist die freigeräumte Fläche zu groß, verlieren die Mangroven ihre Schutzwirkung und erbringen auch ihre sonstigen ökonomischen Leistungen nicht mehr. In den vergangenen Jahrzehnten wurden in Südostasien viele Mangrovenwälder gerodet, um Platz für die Garnelenzucht zu schaffen. Experten führen einen Teil der Tsunami-Schäden aus dem Jahr 2005 auf diese Landumwandlung zurück.
Dennoch, so Barbier und seine Kollegen, könnte in diesem Szenario ein kleiner Prozentsatz der Mangroven entfernt werden, um stattdessen Garnelenteiche anzulegen, ohne dass sich die Gefährdung durch Sturmfluten oder Tsunamis steigert. Werden – maximal! – zwanzig Prozent des Ökosystems umgewandelt, erbringen Küstenschutz und andere Serviceleistungen den Gegenwert von etwas mehr als 13 Millionen Dollar, die Shrimpszucht weitere knapp zwei Millionen Dollar. Im Gegensatz zum Küstenschutz bleiben diese Einnahmen jedoch nicht nur virtuell, sondern fallen real an. Zudem ziehen sie nach Meinung der Wissenschaftler Investitionen von außen an und schaffen womöglich Arbeitsplätze zum Wohle der Küstengemeinden.

Unberücksichtigt lassen die Forscher in ihren Rechnungen jedoch, welche finanziellen Schäden durch Garnelenteiche entstehen können. In der Zucht werden viele Arzneimittel – etwa Antibiotika – und andere Chemikalien eingesetzt, die Wasser und Boden kontaminieren. Bereits nach wenigen Jahren müssen die Anlagen zudem häufig aufgegeben werden, da Parasiten und Krankheiten überhand nehmen und das Wasser zu arg verseucht ist. Außer acht lassen die Umweltökonomen weiterhin mögliche finanzielle Gewinne durch Naturtourismus wie Angeln oder Beobachtung von Tieren. Zudem bieten sich die kleinen Eingriffe ausschließlich in Gebieten an, in denen ausreichend große Mangrovenwälder stehen, was in manchen Regionen Südostasiens bereits Seltenheitscharakter hat.

Dennoch ist ihre Kalkulation ein Schritt, ein altes Dilemma zu lösen, wie Mitautorin Lori Cramer von der Oregon State University in Corvallis resümiert: "Darauf zu bestehen, dass Ökosysteme entweder völlig geschützt oder völlig entwickelt werden, führt nur zu einer Polarisierung, festgefahrenen Positionen und mangelnder Gesprächsbereitschaft." Und damit ist weder Mensch noch Natur gedient.

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