Biodiversität: Nur die Größe zählt
Waldfreunde haben es dieser Tage schwer: Weltweit schwindet rapide ihr Betätigungsfeld mit seinen Tieren und Pflanzen. Einige Schutzgebiete sollen zumindest Teile davon für die Zukunft bewahren. Doch sind sie zu klein, sind sie zu schwach für ihre Bewohner - und vielleicht auch die Menschen.
Das Jahr 2006 sah einige positive Nachrichten für den größten Regenwald der Erde: Brasiliens Regierung ernannte als eine Art Weihnachtsgeschenk für Ökologen noch kurz vor Jahresende das weltgrößte Regenwald-Schutzgebiet im Bundesstaat Pará, das zukünftig dauerhaft 15 Millionen Hektar unberührte Natur dauerhaft dem menschlichen Zugriff entziehen soll. Sinkende Soja-Preise und ein Moratorium großer Sojaeinkäufer, auf Ware frisch gerodeter Flächen zu verzichten, halbierte zudem die Vernichtungsrate verglichen mit den Vorjahren.
Unklar war bislang vor allem, ob und wie Vorkommen, Aussterben und Wiederbesiedelung tatsächlich quantitativ von Flächengröße und -lage abhängen und wie diese Prozesse alle zusammenspielen. Leben beispielsweise manche Vogelarten in einem Naturrestgebiet einfach nur deshalb nicht, weil sie auch im vorherigen Primärwald diesen Flecken mangels Eignung nicht besiedelt hätten? Und verstärkt dann Isolation dieses Nischenproblem noch oder beeinflusst sie die entsprechend spezialisierten Arten nicht?
Nicht überraschend war, dass kleinere Parzellen eine geringere Diversität besaßen als größere. Denn, so Ferraz, viele Vogelarten sind so selten, dass sie selbst in ungestörten Gebieten nicht darin vorkämen, weil ihre Nische fehlt. Der seltene Schwarzkehl-Ameisenwürger (Frederickena viridis) ist so ein Beispiel, da er eher auf Lichtungen oder Kahlschlägen lebt, die bereits wieder sehr dichtes Buschwerk aufweisen, was in ausgedehnten Wäldern nur kleinräumig vorkommt. Je kleiner die übrig gebliebenen Waldflächen waren, desto schneller verschwand er aus ihnen – so wie ähnlich stark angebundene Arten auch. Umgekehrt sank das Aussterberisiko, je mehr Lebensraum erhalten geblieben war: eine eindeutige Bestätigung bisheriger Naturschutztheorien und Untersuchungen.
13 000 Quadratkilometer zerstörte Regenwälder bedeuten allerdings immer noch Totalverluste, die fast der Landesfläche von Schleswig-Holstein entsprechen. Doch beeinträchtig werden durch die Kahlschläge und Feuer noch weit größere Gebiete, denn jedes kahle Ackerland oder jede frisch angelegte Straße öffnen das Waldinnere für Einflüsse von außen: Wind und Sonne trocknen das Unterholz aus, Licht liebende Pflanzen verdrängen Schattengewächse, und Tierpopulationen werden voneinander geschieden – und das möglicherweise artgefährdend. Kein Wunder ist es also, dass isolierte Waldparzellen mit der Zeit einen großen Teil ihrer Spezies verlieren oder sie erst gar nicht aufweisen, weil sich das Habitat verschlechtert, die nötige ökologische Nische darin nicht vorkommt oder Neukolonisation durch einzelne Arten ausscheidet, weil die Distanzen zwischen den geeigneten Lebensräumen zu groß sind.
Unklar war bislang vor allem, ob und wie Vorkommen, Aussterben und Wiederbesiedelung tatsächlich quantitativ von Flächengröße und -lage abhängen und wie diese Prozesse alle zusammenspielen. Leben beispielsweise manche Vogelarten in einem Naturrestgebiet einfach nur deshalb nicht, weil sie auch im vorherigen Primärwald diesen Flecken mangels Eignung nicht besiedelt hätten? Und verstärkt dann Isolation dieses Nischenproblem noch oder beeinflusst sie die entsprechend spezialisierten Arten nicht?
Um das zu klären, beobachteten Ökologen um Gonçalo Ferraz vom Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia das Schicksal von 55 Vogelarten über 13 Jahre hinweg auf 23 Primärwaldflächen [1]. Ursprünglich waren alle diese zwischen einem und 600 Hektar großen Areale in einen ununterbrochenen Baumteppich eingebettet, doch im Laufe der Zeit wurden elf davon durch neu angelegte Rinderweiden isoliert. Unter den ausgewählten Vögeln befanden sich unter anderem Arten, die in gemischten Schwärmen umherziehen oder eng an Heeresameisen und das von ihnen aufgescheuchte Beutespektrum gebunden sind. Insgesamt ergab sich also eine bunte Mischung aus Unterholz- und Kronendacharten, aus sehr ortstreuen und stark mobilen.
Nicht überraschend war, dass kleinere Parzellen eine geringere Diversität besaßen als größere. Denn, so Ferraz, viele Vogelarten sind so selten, dass sie selbst in ungestörten Gebieten nicht darin vorkämen, weil ihre Nische fehlt. Der seltene Schwarzkehl-Ameisenwürger (Frederickena viridis) ist so ein Beispiel, da er eher auf Lichtungen oder Kahlschlägen lebt, die bereits wieder sehr dichtes Buschwerk aufweisen, was in ausgedehnten Wäldern nur kleinräumig vorkommt. Je kleiner die übrig gebliebenen Waldflächen waren, desto schneller verschwand er aus ihnen – so wie ähnlich stark angebundene Arten auch. Umgekehrt sank das Aussterberisiko, je mehr Lebensraum erhalten geblieben war: eine eindeutige Bestätigung bisheriger Naturschutztheorien und Untersuchungen.
Der Artenschwund in zu kleinen Flächen muss dabei nicht Folge der Isolation sein, wie die Forscher ermittelten. Sie stellten zwar bei 36 von 55 Spezies einen Zusammenhang mit dem zur Verfügung stehenden Restareal fest: Wurde es ihnen zu eng oder ungemütlich, verschwanden sie und wanderten später auch nicht mehr ein. Nur bei zwölf Vertretern dieser Gruppe konnten die Biologen es allerdings an der Isolation der Waldstücke festmachen, bei den restlichen beiden Dritteln mussten die Ursachen also woanders liegen. Dieser große Rest würde also nicht einmal in ununterbrochenen Primärwäldern genau diese kleinen Flecken besiedeln, weil ihnen dort schlicht die Lebensbasis fehlen würde – eine wichtige Erkenntnis für Naturschützer, denn zukünftig zählt noch mehr die Größe eines Reservats als bisher.
Welche und wie viele Gründe nun genau die erhöhten Verluste in kleinen Restnaturecken verantworten, ist ebenfalls noch nicht genau geklärt. Neben den erwähnten klimatischen Veränderungen, erhöhtem Feinddruck oder verstärkter Inzucht, deren Folgeschäden die Population dauerhaft schwächen können, spielen wohl auch Parasiten eine große Rolle. Das zumindest haben nun Jason Tylianakis von der Universität Göttingen und seine Kollegen herausgefunden. Sie verglichen die Nahrungsnetze von 33 Bienen- und Wespenarten sowie neun darauf parasitierender Insekten aus fünf verschiedenen ecuadorianischen Ökosystemen – darunter Wald, Kaffeeplantagen, Weiden und Felder [2].
Der Landschaftswandel veränderte in nur geringem Ausmaß die Zusammensetzung der Artengesellschaften, doch sehr deutlich den Befall der Wirtsspezies mit Parasiten: Er war verhältnismäßig am geringsten in Wäldern und in den relativ naturnahen Schattenkaffee-Plantagen, doch stieg er in den naturfernen Lebensräumen stark an – mit negativen Konsequenzen für die Dienstleistungen der Wirtsinsekten wie Bestäubung oder Schädlingsbekämpfung. Zudem konzentrierten sich die Schmarotzer im Offenland auf wenige häufige Gastgeber, während sie sich im Wald von einem breiteren Spektrum an Ernährern alimentieren ließen. Das könnte aber wiederum manche ausgenutzte Art schwächen und somit auch ihr dauerhaftes Überleben in diesen Regionen gefährden.
Gerade bei Schlüsselarten wie den Pollen übertragenden Bienen löst dies wiederum Kettenreaktionen aus, die mitunter andere Arten ins Verderben reißen: Ein Mangel an Bestäubern gilt mittlerweile ebenfalls als Krisenfaktor für die Biodiversität. Und letztlich trifft es auch den Menschen, denn Bienen und Co steigern die Produktionsfähigkeit von knapp neunzig Nutzpflanzen und einem Drittel der Weltnahrungsproduktion – vielleicht eine Argumentationshilfe mehr, wenn das nächste Naturschutzgebiet eingerichtet werden soll.
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