Wundermittel Kokosöl: Kokos-Hype: Steigende Nachfrage ist kritisch
Kokosöl wird als das Wundermittel schlechthin gepriesen. Vor allem in seiner unraffinierten, nativen Form soll es die sportliche Leistung erhöhen, beim Abnehmen helfen, für gute Cholesterinwerte sorgen und damit vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen bewahren. Schließlich hätten etwa die Bewohner der Tokelau Island im Südpazifik früher kaum Herzleiden gekannt, als noch Kokosnüsse die Hauptnahrungsquelle waren. Auch soll das Öl gegen Viren und Bakterien vorgehen, das Immunsystem stärken sowie bei Alzheimer oder Aids zur Heilung beitragen. Sowohl Veganer als auch Steinzeitköstler propagieren Kokosöl etwa anstatt Butter oder Sahne, geben es großzügig in den morgendlichen »Bulletproof-Coffee« oder nutzen es zum Anbraten. Auch bei Clean-Eating-Fans gilt es als Superfood.
Doch nicht nur das. Äußerlich angewendet soll natives Kokosöl Falten glätten und Hautprobleme wie Akne und Neurodermitis bekämpfen. Andere verwenden das Öl als Mundspülung, um schädlichen Bakterien den Garaus zu machen und Giftstoffe aller Art aus dem Körper auszuspülen mit der Folge, dass etwa chronische Müdigkeit oder Migräne seltener würden. Auch wenn es keine Belege für all diese Behauptungen gibt, natives Kokosöl ist schlichtweg hip und sexy – das kurbelt die Nachfrage an. Allein im deutschen Biofachhandel kam es, verglichen zum Vorjahr, 2014 zu Umsatzsteigerungen von fast 80 Prozent. In Großbritannien haben Verbraucher 2013 für eine Millionen Pfund Kokosöl eingekauft, 2016 waren es dann schon 16,4 Millionen. Doch hat dieser Hype vielleicht negative Konsequenzen für die Anbauländer und die Umwelt – genau wie etwa im Fall von Quinoa oder Avocado?
Zwar ist der Kokosboom laut einer aktuellen Studie des World Wildlife Fund (WWF) bislang noch nicht in größerem Ausmaß auf den Plantagen in den Tropen angekommen. Weltweit wurden 2016 3,4 Millionen Tonnen Kokosfett produziert, 2018 waren es 3,5 Millionen Tonnen – die wichtigsten Anbauländer sind die Philippinen und Indonesien. Und diese Zahl stagniert seit Anfang der 2000er Jahre. Jedoch: »Sollte die Nachfrage weiter steigen und tropischer Regenwald für die Plantagen gerodet, hätte das massive Umweltfolgen, da erhebliche Mengen CO2 entweichen würden und Biodiversität unwiederbringlich verloren ginge«, sagt Nils Rettenmaier, Wissenschaftler am Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) in Heidelberg. »Ähnlich wie beim Palmöl, für das heute in riesigen Plantagen Ölpalmen wachsen, wo früher Regenwälder und Sumpfregenwälder standen.«
Bislang wird der Kokospalmen-Anbau in 90 Prozent der Fälle allerdings noch von Kleinbauern betrieben. Auf den Philippinen, dem wichtigsten Kokosöl-Exporteur, besitzen die Bauern im Schnitt nur 2,2 Hektar Land. Forscherinnen der FH Münster unter Leitung von Christine Göbel haben sich im Jahr 2017 die Produktionsabläufe auf philippinischen Farmen von Anbau über die Ölmühle bis hin zum Transport nach Deutschland angesehen und in einer Hotspot-Analyse veröffentlicht.
Demnach bauen 60 Prozent der Bauern die Palmen in Monokulturen an, was kritisch bewertet wird. Solche Einheitsfelder sind nämlich wenig widerstandsfähig gegen Schädlinge, daher werden auf diesen Plantagen mehr Pestizide verwendet. Generell ist deren Einsatz laut WWF aber vergleichsweise gering, da sich viele Bauern diese Chemikalien gar nicht leisten könnten. Immerhin haben die restlichen 40 Prozent der Bauern Mischkulturen angepflanzt, hier stehen neben den Kokospalmen auch Ananas oder Bananenstauden sowie Pfefferpflanzen und Kaffeesträucher. »So sieht ein Anbau aus, der zur Biodiversität beiträgt«, meint Rettenmaier. Auch eine ökologisch teils desaströse Extrabewässerung wie beim Avocado-Anbau ist in Kokosplantagen nicht nötig.
In Sachen Ökobilanz vergeben Göbel und ihr Team neben den Monokulturen auch der Abwasserbehandlung in den Ölmühlen Minuspunkte. Zwar gibt es Umweltgesetze, die eine Reinigung vorschreiben, vor allem kleine Ölmühlenbetreiber würden jedoch die Abwässer vermutlich einfach auf die Felder und Flüsse leiten. Zudem muss das Öl auf 24 Grad Celsius temperiert aus Südostasien nach Rotterdam oder Hamburg geschippert werden. Denn: Sonst verändert es seine Struktur und ist dadurch nicht mehr hochwertig, zudem kann es so besser abgepumpt werden. Auch das wird negativ bewertet.
Trotzdem meint Rettenmaier: »Wenn man sich das einzelne Produkt besieht, dann fällt der Schiffstransport des energiereichen Öls nicht so sehr ins Gewicht, ganz im Gegensatz zu Transporten von Obst und Gemüse, die zumeist einen hohen Wassergehalt haben.« So hatlaut einer IFEU-Studie aus dem Jahr 2009 ein Apfel aus Neuseeland einen doppelt so hohen ökologischen Fußabdruck wie ein Apfel aus Deutschland. »Viel schlechter wäre eine Landnutzungsänderung, sprich eine Entwaldung in den Tropen für neue Kokosplantagen«, sagt Rettenmaier. Und darum hält er auch wenig von der weit reichenden Verwendung von Kokosöl oder anderen Kokosprodukten wie Kokosmilch in der heimischen Küche. Er empfiehlt in Europa produziertes Speiseöl etwa Raps-, Oliven- oder Sonnenblumenöl. Denn: »Die Kontrolle der Landnutzung ist in der Europäischen Union gewährleistet, hier darf kein Wald für Felder abgeholzt werden.«
Ganz im Gegensatz zu Südostasien, wie das Beispiel Palmöl immer wieder zeigt. Weil dieses massenhaft in Lebensmitteln verwendete Öl mittlerweile in Europa so ein maues Image hat und der Verbraucher Produkte mit der Aufschrift »Palmfett« meidet, setzen darum auch immer mehr Lebensmittelunternehmen auf Kokosöl. Das hat eine Studie von Meo Carbon Solutions im Jahr 2016 belegt. Der WWF warnt: »Weitet sich der Trend aus, Palmöl durch Kokosöl zu ersetzen, dann hätte das negative Effekte auf die Umwelt, denn es würde mehr Fläche benötigt.« Der Ertrag der Ölpalme liegt mit durchschnittlich etwa 3,3 Tonnen Öl pro Hektar nämlich weit über dem von Kokosfett mit 0,7 Tonnen Öl pro Hektar. Ein Austausch der Öle wäre damit noch schlechter für die Umwelt. Zudem legen die Unternehmen bei der Auswahl der Kokosöle laut der WWF-Studie, die sich die Rezeptur von Eissorten angesehen hat, bislang kein Augenmerk auf ökologische oder soziale Auswirkungen ihrer Einkaufspolitik. Es wird darum vom WWF empfohlen, Bioeis zu bevorzugen.
Denn der Bioanbau tropischer Öle ist in vielerlei Hinsicht vorteilhaft: Dieser erlaubt keine Waldrodungen für neue Plantagen, Pestizide und Dünger werden weniger eingesetzt und viele Ökobauern setzen auf Zwischenfruchtanbau. Dennoch gibt es auch Bestrebungen in der konventionellen Landwirtschaft, nachhaltiger zu arbeiten. So hat die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) gemeinsam mit den Global Playern BASF und Cargill im Jahr 2011 ein Projekt initiiert, das Kokosbauern schult, effizienter und nachhaltiger zu arbeiten. Diese werden dann mit dem Rainforest Alliance Sustainable Agriculture Standard zertifiziert. Auch dieses Projekt ermutigt die Kokosfarmer, zwischen die Palmen Ingwer, Bananen oder Reis zu pflanzen.
Was hat das für Vorteile? Studien in Kakao- und Kaffeeplantagen zeigen etwa, dass bei unterschiedlicher Bepflanzung mehr Fledermäuse, Vögel, Spinnen, Insekten wie Ameisen oder Wespen und obendrein eine Vielfalt an Pilzen zu finden ist, die Bäume gegen Schädlinge feit, ohne das dabei die Produktivität leidet. Auch die Rate an Bestäubern wie Bienen, Wespen und Schmetterlingen steigt in so genannten Agroforstsystemen. Zudem hat der Bauer durch ein solches Anbausystem mehr Einkommensquellen: In einer indischen Studie aus dem Jahr 2011 konnte gezeigt werden, dass Kokosbauern, die auch auf andere Feldfrüchte und Tierzucht in den Plantagen setzen, 600 bis 700 Dollar pro Hektar und Jahr erzielen konnten. In Monokulturen sind es dagegen weniger als 400 Dollar (9).
Von den Palmen allein können Kokosbauern kaum leben. »Kokosöl wird am Markt teuer gehandelt, aber das kommt nicht beim Produzenten an«, meint man etwa beim WWF. Laut Studien der Organisation Oxfam leben mehr als 60 Prozent der Kokosbauern von täglich einem Dollar und damit in großer Armut. Das liegt daran, dass die Bauern meist nur eine Ölmühle beliefern, und damit abhängig vom Betreiber dieser Mühle sind. Der kann die Preise diktieren. Zudem gibt es kaum Arbeitsschutz, die Pflücker müssen mit Macheten bis zu 20 Meter hoch klettern, Kinderarbeit ist weit verbreitet und auch bei den Ölmühlen sind meist nur Tagelöhner angestellt. Eine Altersvorsorge gibt es nicht. Die Münsteraner Forscherinnen empfehlen darum auf Fairtrade-Kokosöl zurückzugreifen. Und auch bei der Herstellung von Bioöl werden soziale Aspekte berücksichtigt. Bei Serendipol, einer Kokosplantage in Sri Lanka, die etwa Rapunzel beliefert, erhalten die Bauern eine zusätzliche Bioprämie von 10 Prozent auf den aktuellen Marktpreis.
Bedenklich ist allerdings, dass teilweise dressierte Makaken-Affen dafür eingesetzt werden, die Früchte zu pflücken, vor allem in Thailand. Dies hilft Bauern vor Ort, schneller größere Mengen zu niedrigeren Kosten zu ernten: Die Affen sind billig zu haben, Menschen als Erntehelfer und Erntemaschinen teuer. Tierschutzvereine monieren das immer wieder – mit besorgtem Blick auf die keiner Rücksicht auf das Tierwohl unterworfenen Dressurmethoden. Laut einem Bericht des Bayerischen Rundfunks vom April 2018 bieten Siegel wie Bio oder Fairtrade auch keine Sicherheit, immerhin aber in Sachen Affen als Erntehelfer eine gewisse Orientierung. Denn: Diese Produkte sind schlicht teurer und darum ist es wahrscheinlicher, dass keine Affen zum Einsatz kamen. Wer es ganz genau wissen will, sollte aber direkt beim Händler oder Hersteller nachfragen.
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