News: Konkurrenz für Lucy
Doch inzwischen tauchten weitere Australopithecus-Arten wie A. anamensis, A. garhi oder A. bahrelghazali auf und zeigten, dass die Evolution des Menschen wohl nicht ganz so geradlinig abgelaufen sein kann. Im August 1999 grub der Anthropologe Justus Erus am Turkanasee in Kenia aus einer Schicht, die zwischen 3,2 und 3,5 Millionen Jahre alt war, einen kompletten Hominidenschädel aus, der den Wissenschaftlern neue Rätsel aufgab. Er ähnelte in seinen Eigenschaften – wie Hirnvolumen, Zähne oder Gehörgang – einem Mischmasch aus verschiedenen Australopithecus-Arten und Schimpansen. Damit ließ er sich nicht in das bestehende Hominidensystem einordnen.
Zusammen mit anderen Anthropologen wagte Meave Leakey von den National Museums of Kenya einen ungewöhnlichen Schritt: Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Schädel nicht nur zu einer bisher unbekannten Art, sondern sogar zu einer unbekannten Gattung gehört. In ihrer Erstbeschreibung nennen sie das unbekannte Wesen den "flachgesichtigen Kenia-Mensch": Kenyanthropus platyops.
Ob damit die Geschichte der Menschheit neu geschrieben werden muss, oder ob die neue Gattung nur zu einem Seitenzweig führte, der später erlosch, bleibt offen. "Da es kein anderes Fossil aus der Zeit vor 3,8 bis 3 Millionen Jahre gab, konnte bisher nur Australopithecus afarensis der einzig mögliche menschliche Vorfahre sein", erklärt Frank Brown von der University of Utah die neue Situation. "Doch nachdem wir jetzt eine neue Form früher Hominiden aus dem gleichen Zeitraum entdeckt haben, die sich von A. afarensis deutlich unterscheidet, müssen sich die Anthropologen entscheiden, welche der beiden Formen in unserem Stammbaum liegt. Es können nicht beide sein." Und er ergänzt: "Früher betrachteten wir die Evolution nur als einfache Leiter, die von einer Stufe zur nächsten führt. Jetzt glauben wir, dass die Geschichte des Menschen und menschenähnlicher Geschöpfe eher wie ein Busch aussieht – mit vielen Sackgassen und nur einem Stamm, der zu uns führt."
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