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Mikrobiologie: Kopf oder Schwanz?

Caulobacter gehört zu den ungewöhnlicheren Zeitgenossen im Reich der Bakterien: Seine ausgeprägte Polarität verkompliziert die Zellteilung - und macht es zu einem Lieblingsobjekt für Zellbiologen.
Caulobacter crescentus
Zellteilung sollte für Bakterien eigentlich nicht so kompliziert sein. Schließlich besitzen die meisten Keime keine komplexen Strukturen, sind also eher schlicht konstruiert. Ihr Genom, ein ringförmiges DNA-Molekül, muss nur verdoppelt und auf die zwei Hälften der Zelle verteilt werden, die Zelle schnürt sich dann in der Mitte ein – und schon sind aus einem Bakterium zwei geworden.

Bei manchen wird es aber doch kompliziert – und zwar dann, wenn sich bei ihnen vorne und hinten unterscheiden lässt, die zu teilenden Hälften also nicht gleich sind. Caulobacter, eine im Wasser lebende Bakteriengattung, ist so ein Fall, besitzen die polar aufgebauten Zellen an einem Ende doch einen Stiel, mit dem sie sich gegenseitig verhaken.

Caulobacter crescentus | Zellzyklus von Caulobacter crescentus: Eine Schwärmerzelle verliert seine Geißel, bildet einen Stiel aus und verdoppelt seine DNA (origin of replication: Replikationsstartpunkt). Dann wächst die Zelle in die Länge und teilt sich schließlich in eine größere gestielte Zelle und einen kleineren begeißelten Schwärmer. Während die gestielte Zelle sich weiter teilen kann, muss der Schwärmer vor einer neuen Teilung seine Geißel verlieren und einen Stiel bilden.
Caulobacter vermehrt sich daher auch nicht mit einer normalen, gleichmäßigen Zellteilung, sondern einer ungleichen binären Spaltung. Die gestielte Zelle wächst zunächst in die Länge und verdoppelt die DNA. Dann geschieht Ungewöhnliches: Auf der dem Stiel gegenüberliegenden Seite entsteht eine Geißel, und daraufhin teilt sich das Bakterium in eine längere gestielte Zelle und eine kürzere Schwärmerzelle. Während die gestielte Zelle sich so weiter teilen kann, schwimmt der Schwärmer fort, verliert seine Geißel und verwandelt sich wiederum in eine gestielte, teilungsfähige Zelle – womit der Kreis geschlossen ist.

Das Bakterium muss also bei der Teilung seinen polaren Aufbau berücksichtigen – und wird damit zu einem Modellorganismus für Zellbiologen, stehen doch die wesentlich komplexer aufgebauten Eukaryoten, also Zellen mit einem echten Zellkern, vor ähnlichen Problemen.

Zemer Gitai, Natalie Dye und Lucy Shapiro von der Universität Stanford wussten bereits, dass ein bestimmtes Protein für die Aufrechterhaltung der Zellform bei Bakterien eine Rolle spielt. Dieses Protein namens MreB entspricht den Aktin-Filamenten der Eukaryoten, deren Geflecht ebenfalls das Zytoskelett stabilisieren.

Wirkung von MreB | Im Lichtmikroskop (linke Spalte) sowie mit verschiedenen Färbungen (mittlere und rechte Spalte) untersuchten die Forscher die Bildung des Replikationsstartpunkts bei Caulobacter crescentus: Während beim Widltyp (oben) die DNA-Verdopplung an einem Zellpol stattfindet, ist bei Stämmen mit zu wenig (2. Reihe) oder zu viel von dem Protein MreB (3. Reihe) die DNA-Verdopplung gestört. Eine Veränderung des Proteins CreS (unten) hat keinen Effekt.
Die Forscher züchteten daher Stämme von Caulobacter crescentus, bei denen das Gen für MreB deaktiviert war. Das Fehlen des Proteins hatte dramatische Folgen für die Zellteilung: Die Verdopplung der DNA fand in den Schwärmerzellen nicht mehr wie üblich in unmittelbarer Nähe der Geißel statt, sondern wahllos irgendwo in der Zelle. Offensichtlich "wusste" das Bakterium ohne MreB nicht mehr, wo vorne und hinten ist.

Ein ähnlicher Effekt trat bei Stämmen auf, die zu viel MreB produzierten. Ein anderes Protein namens CreS, das ebenfalls im Verdacht stand, bei der Zellteilung mitzumischen, hatte dagegen keinen Effekt auf die DNA-Verdopplungsmaschinerie.

Durch Fluoreszenzmarkierung konnten die Forscher das Schicksal von MreB genauer verfolgen: In den gestielten Caulobacter-Zellen durchzieht das Protein wie eine Spirale den gesamten Zellkörper. Während die Zelle in die Länge wächst, verdichtet sich diese Spirale zu einem Ring, der sich genau an der Stelle positioniert, wo sich die Zelle bei der Teilung durchschnürt. Nach der Teilung bilden beide Töchter, die gestielte Zelle und der Schwärmer, wiederum die spiralförmige Proteinform aus.

Die Forscher vermuten, dass durch den Wechsel zwischen Spiral- und Ringform von MreB weitere für die Zellteilung wichtige Proteine an die richtige Stelle innerhalb der Zelle transportiert werden. Das Protein scheint demnach tatsächlich – wie Aktin bei Eukaryoten – nicht nur für das Zellskelett, sondern auch für die Polarität der Zelle eine wichtige Rolle zu spielen. Das Problem, vorne und hinten voneinander zu unterscheiden, haben also prokaryotische und eukaryotische Zellen auf ähnliche Weise gelöst.

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