Angriffskrieg gegen die Ukraine: Die Welt schließt russische Forschende aus
Wissenschaftliche Organisationen und Forschende weltweit haben den grundlosen Einmarsch Russlands in die Ukraine entschieden verurteilt. Einige Institutionen in westlichen Ländern haben umgehend ihre Verbindungen zu Russland abgebrochen, sie strichen Finanzmittel oder beendeten die Zusammenarbeit mit russischen Wissenschaftlern. Von Mauritius bis Lettland haben Wissenschaftsakademien und Arbeitsgruppen Erklärungen abgegeben, in denen sie den Krieg scharf kritisieren und ihre ukrainische Kollegenschaft unterstützen.
In der Ukraine selbst drängen Forschende andere Staaten dazu, Russland aus Forschungsprogrammen auszuschließen. Zudem rufen sie russische Institute und führende Wissenschaftler dazu auf, den Einmarsch öffentlich zu verurteilen.
»Es sollte einen vollständigen Boykott der russischen akademischen Gemeinschaft geben. Keine Zusammenarbeit mehr«, sagt Maksym Strikha, Physiker an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität in Kiew, die sich im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt befindet und nach eigenen Angaben nur etwa 30 Kilometer von der Front entfernt ist. Dazu gehörte laut Strikha auch, dass von Russen verfasste Artikel nicht mehr in westlichen Zeitschriften veröffentlicht werden dürften und Forschende mit Verbindungen nach Russland nicht mehr in internationalen Teams mitarbeiten dürften. »Die russische akademische Gemeinschaft sollte den Preis für ihre Unterstützung [des russischen Präsidenten Wladimir] Putin bezahlen«, sagt Strikha.
Auch aus Russland hagelt es Kritik
Dieser Meinung sind auch tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Russland. Sie zeigen sich entsetzt über das Vorgehen ihrer Regierung. In einem von der russischen Forschergemeinde initiierten und von mehr als 5000 Personen unterzeichneten Brief verurteilen sie die Feindseligkeiten aufs Schärfste und erklären, die russische Führung habe einen ungerechtfertigten Krieg nur wegen ihrer »geopolitischen Ziele« begonnen. Den offenen Brief unterzeichneten auch rund 85 Wissenschaftler, die Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften sind. Die staatliche Einrichtung beaufsichtigt einen Großteil der Forschung des Landes. Der Biologe Eugene Koonin vom US National Center for Biotechnology Information in Bethesda im US-Bundesstaat Maryland hat dennoch seine ausländische Mitgliedschaft gekündigt. Seine Begründung: Die Führung der Akademie sähe dem Geschehen untätig zu. Die Russische Akademie der Wissenschaften selbst hat hierzu auf eine Anfrage von »Nature« nicht reagiert.
Zu den schärfsten Maßnahmen, die bisher ergriffen wurden, gehört die Entscheidung einiger der größten deutschen Forschungsförderer, darunter die Deutsche Forschungsgemeinschaft: Diese haben die gesamte wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Russland ausgesetzt. In einer Erklärung der Allianz der Wissenschaftsorganisationen in Deutschland vom 25. Februar 2022 heißt es, dass Russland keine Forschungsgelder mehr zugutekommen, keine gemeinsamen wissenschaftlichen Veranstaltungen mehr stattfinden und keine neuen Kooperationen begonnen werden sollten. »Die Allianz ist sich der Folgen dieser Maßnahmen bewusst und bedauert diese für die Wissenschaft zugleich außerordentlich«, heißt es in der Erklärung.
»Niemand hätte gedacht, dass es so weit kommen würde, dass es zu einer Invasion kommt«Mikhail Gelfand, Biologe am Skoltech Center of Life Sciences in Moskau
»Eine ehemalige Studentin von mir lebt in Deutschland, und wir arbeiten weiterhin zusammen. Sie wurde von ihren Vorgesetzten darüber informiert, dass von jeglichem Kontakt mit russischen Wissenschaftlern stark abgeraten werde«, sagt Mikhail Gelfand, Mitorganisator des offenen Briefs der russischen Wissenschaftsgemeinde und Biologe am Skoltech Center of Life Sciences in Moskau. »Soweit ich sehe, geschieht dasselbe vielerorts.«
Die Stimmung in der Kollegenschaft in Russland sei »schrecklich«, sagt Gelfand. »Niemand hätte gedacht, dass es so weit kommen würde, dass es zu einer Invasion kommt«, fährt der Biologe fort. »Niemand hat gedacht, dass Russland Kiew angreifen würde.« Gelfand hofft auf einen Weg, damit die Sanktionen den einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht schaden. Denn viele von ihnen würden sich öffentlich gegen den Krieg aussprechen.
Das MIT kappt die Verbindung nach Russland
In den Vereinigten Staaten hat das Massachusetts Institute of Technology in Cambridge seine Zusammenarbeit mit der Skolkovo-Stiftung beendet, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Moskau, die sich mit Innovationen befasst. 2011 hatten die Partner das Skolkovo Institute of Science and Technology, kurz Skoltech, in Moskau gegründet. »Wir bedauern diese Entscheidung sehr, da wir großen Respekt vor dem russischen Volk haben und die Beiträge der vielen ausgezeichneten russischen Kollegen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, sehr schätzen«, heißt es in einer Erklärung des MIT vom 25. Februar 2022.
Am 27. Februar 2022 twitterte der britische Wissenschaftsminister George Freeman, dass er eine rasche Überprüfung der von der britischen Regierung an russische Begünstigte gezahlten Mittel für Forschungsinnovationen eingeleitet habe.
Ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versuchen unterdessen, internationale Organisationen davon zu überzeugen, noch strengere Maßnahmen gegen Russland zu ergreifen. Mehr als 130 Forschende haben einen offenen Brief an die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet: Sie fordern, dass alle Finanzierungen für russische Einrichtungen und die gesamte internationale Zusammenarbeit ausgesetzt werden. »Die Europäische Union sollte den Institutionen, die dem Putin-Regime untergeordnet sind, keine Finanzmittel mehr zur Verfügung stellen, wenn die EU auf der Grundlage ihrer in den EU-Verträgen erklärten Werte handeln will«, heißt es in dem Brief.
In dem Schreiben, das vom ukrainischen Rat junger Wissenschaftler initiiert wurde, steht auch, dass Russland nicht mehr an EU-Forschungsprogrammen wie Horizon Europe, dem Austauschprogramm Erasmus+, internationalen Kooperationen wie dem CERN bei Genf (Schweiz) und dem internationalen Kernfusionsprojekt ITER beteiligt werden dürfe. Ein Sprecher der Europäischen Kommission sagt, das Schreiben sei eingegangen und »nichts sei vom Tisch«. »Die Europäische Union steht an der Seite der Ukraine und ihrer Bevölkerung«, so der Sprecher.
Keine Fields-Medaille in Sankt Petersburg
Eine weitere Absage hat viel Aufmerksamkeit erregt: die alle vier Jahre stattfindende Konferenz der Internationalen Mathematischen Union. Während der Tagung wird traditionell die Fields-Medaille verliehen, eine der höchsten Auszeichnungen in diesem Fachbereich. Sie hätte dieses Jahr im Juli in Sankt Petersburg stattfinden sollen. Nachdem sich verschiedene mathematische Gesellschaften und mehr als 100 der eingeladenen Redner und Rednerinnen gegen den Tagungsort aussprachen, erklärte die Union am 26. Februar 2022, ihren Kongress virtuell abhalten zu wollen.
»Es sollte einen vollständigen Boykott der russischen akademischen Gemeinschaft geben. Keine Zusammenarbeit mehr«Maksym Strikha, Physiker an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität in Kiew
Einige ukrainische Wissenschaftler wissen die Unterstützung ihrer russischen Kollegen zu schätzen, die bisher angekündigten Maßnahmen gingen jedoch nicht weit genug. Insbesondere die russischen akademischen Einrichtungen hätten es versäumt, den Angriffskrieg zu verurteilen, heißt es in einem offenen Brief der Akademie der Wissenschaften der Höheren Schule der Ukraine. Die Einschränkungen für die russische Wissenschaftlerzunft müssen umfassend sein, steht in dem Schreiben: »Wir fordern, dass Forscher, die solchen Institutionen angehören, nicht zu internationalen Stipendiengruppen zugelassen werden, nicht zu internationalen Konferenzen eingeladen werden und nicht in führenden internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichen dürfen.«
Zumindest eine Redaktion, die des Fachblatts »Journal of Molecular Structure«, hat beschlossen, Manuskripte von Forschenden, die an Einrichtungen in Russland arbeiten, nicht mehr zu berücksichtigen.
Der russisch-amerikanische Chemiker Alexander Kabanov von der University of North Carolina in Chapel Hill hat ebenfalls einen offenen Brief angestoßen: Es unterzeichnete die im Ausland tätige russische Forschergemeinde. Seiner Meinung nach sei der nächste entscheidende Schritt, ukrainische Forschende zu unterstützen. »Im Moment kämpfen viele Ukrainerinnen und Ukrainer für ihr Land und einige sind Flüchtlinge«, sagt Kabanov. Die Wissenschaftsinstitutionen im Westen sollten Ausbildungsprogramme zu deren Unterstützung einrichten. »Ich meine, die Labore sollten für sie offen stehen.«
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