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Elektromobilität: Können auch Lastwagen elektrisch fahren?

Schwere Batterien, hoher Leistungsbedarf, geringe Reichweiten: Lastwagen galten bislang als undankbare Kandidaten für Elektroantriebe. Im städtischen und regionalen Lieferverkehr ändert sich das gerade rasant.
Rennen der Schwergewichte

Wenn in Berlin künftig der Paketzusteller klingelt, kündigt ihn nichts mehr vorher an – jedenfalls kein brummender Dieselmotor. 40 Elektrolieferwagen sind seit Sommer auf den Straßen der Hauptstadt unterwegs. Die so genannten StreetScooter, eine Eigenentwicklung von Deutsche Post DHL, tanken lediglich Strom und machen weder Lärm noch Dreck. Dennoch gelten sie als alltagstauglich – mit einer Reichweite von bis zu 150 Kilometern und Platz für 120 Pakete. Auch in München stellen mittlerweile 30 Elektrolieferwagen die Sendungen zu, genauso wie in vielen anderen Städten und Regionen. Rund 3500 StreetScooter sind nach Angaben von DHL derzeit im Einsatz, Tendenz rasch steigend: Die nächste Generation der batteriebetriebenen Elektrolaster, mit Platz für gut 200 Pakete, läuft in Aachen bereits vom Band. Noch in diesem Jahr sollen 150 Vorserienmodelle damit beginnen, Pakete auszuliefern. Elektromobilität boomt – zumindest in einem Bereich, in dem man es zunächst nicht denken würde: bei den Lastwagen.

Während sich die klassischen Autohersteller schwertun, ihre Elektromobile an die Kunden zu bringen, während im September – trotz Kaufprämie – in ganz Deutschland nur etwas mehr als 2000 Elektrofahrzeuge zugelassen wurden, vergeht kaum eine Woche, in der nicht neue Elektrolieferwagen präsentiert werden. Egal ob Platzhirsche wie Daimler, Elektroautopioniere wie Tesla oder Newcomer wie DHL – sie alle wollen im lukrativen Markt mit elektrischen Lieferwagen und kompakten Lkw mitspielen. Lediglich bei den ganz schweren Lastern, bei den 40-Tonnern, die quer durch die Republik brettern, ist noch keine überzeugende Lösung in Sicht. Hier helfen nur ungewöhnliche Ideen, hohe Investitionen und eine komplett neue Infrastruktur.

"Die Herausforderung, elektrische Sattelschlepper zu bauen, gleicht dem Versuch, Flugzeuge elektrisch zu betreiben"Venkat Viswanathan

"Die Herausforderung, elektrische Sattelschlepper zu bauen, gleicht dem Versuch, Flugzeuge elektrisch zu betreiben", sagt Venkat Viswanathan. Der Maschinenbauingenieur von der Carnegie Mellon University im amerikanischen Pittsburgh hat zusammen mit seinem Kollegen Shashank Sripad untersucht, bis zu welchen Größen und Strecken sich Elektrolastwagen rechnen. Die Forscher haben dazu eine Formel entwickelt, die nicht nur die durchschnittliche Ladung und Fahrstrecke eines Sattelschleppers berücksichtigt, sondern auch Faktoren wie den Wirkungsgrad des Antriebs, den Rollwiderstand und sogar die Dichte der Luft. Die Ergebnisse, veröffentlicht in den "Energy Letters" der American Chemical Society, klingen ernüchternd: Bei einer Energiedichte von 243 Wattstunden pro Kilogramm, dem typischen Wert eines aktuellen Lithium-Ionen-Akkus, lohnt sich der batteriebetriebene Warentransport nur bis etwa 500 Kilometer. Auf längeren Strecken wird der Akku zu schwer und zu teuer, um nennenswert Fracht zu transportieren und unterm Strich noch Geld zu verdienen.

Batterie wiegt mehr als Lastwagen selbst

Bei einer angepeilten Reichweite von knapp 1000 Kilometern würde die Batterie, so Viswanathan, bereits mehr als 16 Tonnen wiegen – das Doppelte des Leergewichts eines Lastwagens. Bei 1500 Kilometern, einer Strecke, die große Diesel-Lkw problemlos ohne Tankstopp bewältigen können, schlagen Batterien dann mit 24,5 Tonnen und Anschaffungskosten von bis zu 450 000 Euro zu Buche; ein vergleichbarer Diesellaster kostet lediglich 120 000 Euro. Selbst bei einem 40-Tonner verbleiben somit – zieht man das Eigengewicht des Fahrzeugs ab – nur etwa fünf Tonnen für die Ladung. Mit der nächsten Generation von Akkus sollten immerhin 16 Tonnen Nutzlast möglich sein. Dennoch: "Unsere Studie zeigt, dass es schnell unwirtschaftlich wird, wenn lange Strecken mit großen Batteriepaketen zurückgelegt werden sollen", so Viswanathan. "Die heutige Lithium-Ionen-Technologie ist für die Langstrecke schlichtweg nicht gemacht."

Die Hersteller scheinen das ganz ähnlich zu sehen. Der neue StreetScooter Work XL, den DHL gerade gemeinsam mit dem Autohersteller Ford auf den Alltagseinsatz vorbereitet, schafft mit einer Batterieladung bis zu 200 Kilometer. Sein Ladevolumen umfasst dabei 20 Kubikmeter. Daimlers eCanter, ein Kurzstreckentransporter, den der Konzern Mitte September 2017 in New York präsentiert hat, kann bis zu dreieinhalb Tonnen rund 100 Kilometer weit transportieren, bevor er wieder an die Steckdose muss. Sechs wassergekühlte Batterien sind dafür notwendig.

Lediglich 500 Stück des, so Daimler, "weltweit ersten vollelektrischen Leicht-Lkw in Serienproduktion" sollen in den ersten beiden Jahren montiert werden. Erst 2019, wenn das Wissen rund um die Batterie weiter fortgeschritten ist, wird dann die Serienproduktion starten. "Der eCanter ist unsere Antwort auf die weltweit steigende Nachfrage nach Fahrzeugen, die immer schärfere CO2-Grenzen erfüllen und diese sogar übertreffen sollen", sagt Marc Llistosella, Chef der Daimler-Tochter Mitsubishi Fuso Truck. "Das ist kein handgefertigter Lkw, der schick ausschaut, aber erst in vier oder fünf Jahren bei den Kunden stehen wird. Das ist ein Lieferwagen, der schon jetzt einsatzbereit ist." Eine Nummer größer und deutlich visionärer fällt dagegen der e-Fuso Vision One aus, den Daimler Ende Oktober auf der Tokyo Motor Show vorgestellt hat. Bis zu 350 Kilometer soll der vollelektrische Lastwagen schaffen, bei einem Gesamtgewicht von 23 Tonnen und einer Nutzlast von etwa elf Tonnen – nur zwei Tonnen weniger als die Dieselvariante des Modells. Llistosella spricht von einem "revolutionären Konzept", das allerdings noch etwas auf sich warten lässt: In vier Jahren könnte Vision One Wirklichkeit werden.

Hohe Erwartungen und große Versprechen

Schon jetzt sind die Erwartungen hoch. DHL verspricht, mit seinem StreetScooter Work XL jährlich fünf Tonnen weniger Kohlendioxid in die Luft zu pusten als mit einem konventionellen Lieferwagen und dabei 1900 Liter Diesel zu sparen. Daimler wirbt beim eCanter mit 1000 Euro weniger Treibstoff- und Wartungskosten pro 10 000 Kilometern. Hinzu kommen die prinzipiellen Vorteile der E-Laster: Die Fahrzeuge machen – nicht nur beim Ausliefern von Paketen – kaum Lärm. Sie entwickeln bereits beim Anfahren das volle Drehmoment und erlauben so eine bessere Beschleunigung ganz ohne nervige Schaltvorgänge. Sie sind einfacher zu bauen und zu warten. Vor allem aber pusten sie – sofern der Strom zum Aufladen aus regenerativen Quellen kommt – weder Kohlendioxid noch Feinstaub oder Stickoxide in die Luft.

Das ist auch dringend nötig: Etwa drei Viertel aller Güter, die in Europa auf dem Landweg transportiert werden, sind derzeit auf der Ladefläche eines Lastwagens unterwegs, so der Europäische Automobilherstellerverband ACEA. Das hat zur Folge, dass die Lkw-Flotten für etwa 25 Prozent aller Kohlendioxidemissionen des Straßenverkehrs verantwortlich sind. Bis zum Jahr 2050 könnte dieser Wert nach Berechnungen des Weltverkehrsforums ITF im globalen Durchschnitt auf bis zu 50 Prozent steigen. 3,4 Milliarden Tonnen Kohlendioxid würde der Straßengüterverkehr dann weltweit ausstoßen – etwa doppelt so viel wie heute.

Viele Staaten werden das nicht hinnehmen. Sie werden Dreckschleudern verbieten, Umweltauflagen verschärfen, Diesel verteuern. Die Preise der Akkus werden hingegen sinken. Entsprechend umkämpft ist der Markt der E-Lastwagen. Selbst Elektroautopionier Tesla, bislang vor allem durch Limousinen aufgefallen, hat inzwischen seinen ersten Elektrolaster vorgestellt. "Es lohnt sich, einen genauen Blick auf dieses Biest zu werfen", twittert Firmengründer Elon Musk. "Es ist irreal." Logistikexperten gehen dennoch davon aus, dass auch Teslas Laster – gemäß den Vorhersagen von Venkat Viswanathan – im Reichweitenbereich bis 350 Kilometer unterwegs sein wird.

Kurze Reichweite im Güterverkehr kein Problem

Das muss nicht schlimm sein. Etwa 85 Prozent aller Güter, die heutzutage mit Lastwagen transportiert werden, legen nach ACEA-Berechnungen weniger als 150 Kilometer zurück. Die durchschnittliche Strecke eines DHL-Paketzustellers beträgt sogar nur 80 Kilometer pro Tag. Elektrofahrzeuge, die nach vergleichsweiser kurzer Strecke zum Depot zurückkehren oder die ständig zwischen Flughafen und Zentrallager pendeln, stellen keine hohen Ansprüche an die Ladeinfrastruktur. Sie können während des Ausladens, spätestens aber am Abend ans Netz gehängt werden. Etwa drei Stunden benötigt zum Beispiel der StreetScooter Work XL, bis seine Batterien wieder voll sind. Daimlers eCanter muss acht Stunden am Stromnetz hängen.

Für den regionalen oder innerstädtischen Lieferverkehr, der nachts ohnehin ruht, ist das kein Problem. Anders sieht es bei den schweren Lastwagen für die Langstrecke aus. Ein Sattelschlepper, der nicht fährt, sondern stundenlang an der Ladesäule hängt, verdient kein Geld. Und da Lastwagen in Zukunft autonom unterwegs sein sollen, ist es auch wenig sinnvoll, für das Laden auf die heute noch vorgeschriebenen Ruhezeiten eines menschlichen Fahrers zu schielen. Das US-Start-up Nikola versucht es daher mit einer Technologie, die im Pkw-Bereich noch immer ein Nischendasein fristet: Brennstoffzellen. Wasserstoff wird darin zusammen mit dem Sauerstoff der Luft in Strom verwandelt. Als Reaktionsprodukt entsteht lediglich Wasser.

Der Clou: Ein Wasserstofftank kann ähnlich groß ausgelegt werden wie ein Dieseltank und ist in 15 Minuten wieder gefüllt. Bis zu 2000 Kilometer weit soll Nikola One, so der Name der 1000-PS-starken Zugmaschine, damit kommen. Das Problem: Es gibt so gut wie keine Wasserstofftankstellen. Exakt 376 Zapfsäulen will Nikola daher in den kommenden Jahren strategisch günstig über die USA verteilen. Und jede soll Wasserstoff mit Hilfe von Solarstrom erzeugen. Im Jahr 2021 könnte der Nikola One dann in Serie gehen. Angeblich liegen bereits 8000 Reservierungen vor.

Effizienz der Bahn plus Flexibilität des Lkws

100 Kilometer nördlich von Stockholm läuft derweil das Kontrastprogramm. Auf einem etwa zwei Kilometer langen Abschnitt der schwedischen Autobahn E16 hat Siemens auf der rechten Spur eine Oberleitung installiert. Umgebaute Sattelschlepper, die Stahl und Papier transportieren, fahren dort einen Stromabnehmer aus, der sich mit Hilfe von Sensoren exakt auf den Fahrdraht ausrichtet. Eine gute Minute lang sind die Lastwagen elektrisch unterwegs. Die Fahrer genießen die Ruhe, bevor sie wieder abbügeln – wie Eisenbahner das Einfahren des Stromabnehmers nennen – und mit ihrem Hybridantrieb weiterfahren. Auch beim Überholen, Ausweichen oder Setzen des Blinkers trennt sich das Fahrzeug automatisch vom Fahrdraht.

Oberleitungs-Lkw auf der Autobahn

"Noch befindet sich das System in der Forschungs- und Entwicklungsphase, aber die ersten Erfahrungen sind ausgesprochen gut", sagt Hasso Grünjes, Leiter der Abteilung eHighway bei Siemens. "Letztlich kombinieren wir dadurch die Effizienz der Eisenbahn mit der Flexibilität eines Lastwagens." Billig ist das allerdings nicht. Mit etwa 1,7 bis 2,5 Millionen Euro pro Autobahnkilometer rechnen Ingenieure für den Aufbau von Oberleitungen in beiden Richtungen – Ladestationen und Kontrollzentren eingeschlossen. Immerhin: Besonders schwierig und damit kostspielig zu elektrifizierende Streckenabschnitte – Brücken oder Tunnel zum Beispiel – können ausgespart werden, da die Lastwagen das kurze Stück auch mit ihrem Hybridantrieb schaffen.

Aber warum nicht gleich mit der Eisenbahn? "Wir sind große Befürworter des Güterverkehrs auf der Schiene", sagt Grünjes. "Wir sehen aber, dass wir in Deutschland einerseits Kapazitätsengpässe haben, die neue, teure und langwierige Bahnstrecken nötig machen würden, und andererseits auf die Flexibilität der Lastwagen nicht verzichten können." Zudem könne der eHighway vom "überlegenen Wirkungsgrad" der Oberleitungssysteme profitieren: Mehr als 80 Prozent der elektrischen Leistung setzt ein Elektrolaster in Vortrieb um; Bremsenergie kann zurück ins Netz gespeist werden. Brennstoffzellen liegen, wenn der Wasserstoff mit Ökostrom produziert wird, bei lediglich 30 Prozent. Auch Erdgas oder Biodiesel, die für Langstreckenlaster ebenfalls in der Diskussion sind, schneiden bei klimaneutraler Herstellung des Treibstoffs deutlich schlechter ab. Für Grünjes stellt sich die Frage nach Alternativen daher gar nicht erst: "Wenn man sich anschaut, wie viel Energie nötig sein wird, um den Transportsektor klimafreundlich zu machen, werden wir nicht darum herumkommen, auf die jeweils effizientesten Technologien zurückzugreifen."

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