Bodenkunde: Leben unter der Erde
Bei einem Waldspaziergang nehmen wir gern die Schönheit der Natur wahr. Unser Blick fällt vielleicht auf die hübsche Wildblume am Wegesrand und den daneben wachsenden ausladenden Farn, wir erhaschen kurz das rotbraune Aufblitzen eines vorbeihuschenden Eichhörnchens, erfreuen uns an der leuchtenden Farbe eines Pilzes sowie an dem goldglänzenden Laub eines Baums und entdecken schließlich einen Laufkäfer, der gemächlich über den Weg krabbelt. Doch nur selten betrachten wir einen der wichtigsten Bestandteile dieses Ökosystems genauer, obwohl er im wahrsten Sinne des Wortes grundlegend ist: den Boden. Er stellt das Herzstück eines terrestrischen Lebensraums dar, ganz egal, ob wir uns in Wäldern, auf Feldern oder Wiesen im Flachland oder im Gebirge aufhalten. Denn unter der Erde werden die abgestorbenen Gewebe der lebenden Organismen – und damit das organische Material, aus dem sie bestehen – zu Nährstoffen umgebaut, die wiederum den oberirdischen Pflanzen zur Verfügung stehen.
Die Böden erfüllen zahlreiche Aufgaben. Für uns Menschen bilden sie in erster Linie die Basis der Landwirtschaft. Ackerbau kann ohne lebendigen und gesunden Boden nicht funktionieren; nur dank des Recyclings der in ihm enthaltenen organischen Substanzen lässt sich der Einsatz synthetischer Düngemittel einschränken. Böden spielen aber auch eine herausragende Rolle im Wasserkreislauf und sichern unsere Trinkwasserversorgung. Und schließlich avancieren sie durch ihre Fähigkeit zur Speicherung kohlenstoffreichen Materials zu wichtigen Mitspielern in der Regulation des Erdklimas: Nach Schätzungen des Weltklimarats speichern sie mehr Kohlenstoff als alle Pflanzen und die Atmosphäre zusammen (siehe »Nachgezählt«).
Menschliche Aktivitäten, vor allem das Nutzen von Naturflächen, setzen allerdings viel Kohlenstoff aus organischer Substanz frei, der in Form von Kohlenstoffdioxid (CO2) in die Atmosphäre gelangt. Wenn zum Beispiel ein Wald in Ackerfläche umgewandelt wird, geht mehr als ein Viertel des in den obersten 30 Bodenzentimetern gebundenen Kohlenstoffs verloren. Das lässt zusammen mit dem Verbrennen fossiler Energieträger den atmosphärischen CO2-Gehalt ansteigen und forciert den Klimawandel.
Nachgezählt
1700 Gigatonnen
In der Gesamtheit aller terrestrischen Ökosysteme (ohne Permafrostgebiete) speichern die Böden ungefähr 1700 Gigatonnen (Gt) Kohlenstoff. Zum Vergleich: Die Vegetation enthält etwa 450 Gt, die Atmosphäre 870 Gt und die Permafrostböden 1200 Gt. Alle menschlichen Aktivitäten setzen rund 10 Gt Kohlenstoff pro Jahr frei.
5 Gigatonnen
Alle terrestrischen Kohlenstoffspeicher (Böden, Vegetation, Permafrost) nehmen jährlich etwa 5 Gt Kohlenstoff auf, die Ozeane rund 2 Gt.
25 Gigatonnen
Im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter (vor 1750) haben die Kohlenstoffvorräte in den Böden und der Vegetation um schätzungsweise 25 Gt abgenommen. Gleichzeitig wuchs die Menge an Kohlenstoff in der Atmosphäre um 280 Gt.
Canadell, J. G., Monteiro, P. M. S. et al.: Global carbon and other biogeochemical cycles and feedbacks. In: Masson-Delmotte, V. et al. (Hg.): Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Working Group I Contribution to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, 2021
Die Vorgänge in der organischen Bodensubstanz sind daher nicht nur von wissenschaftlichem, sondern auch von großem gesellschaftlichem Interesse. Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, die dahintersteckenden Kontrollmechanismen zu verstehen. Erhebliche Forschungsanstrengungen der letzten Jahre mündeten in eine Kooperation von Bodenkundlern – die sich als Spezialisten schon lange mit der Chemie unter der Erde befassen – mit Bodenökologen, die zum Beispiel das Schicksal von verrottenden Laubblättern auf der Oberfläche untersuchen. Gemeinsam führten sie zahlreiche Studien durch, um diese Mechanismen aufzuklären. Die erzielten Ergebnisse revolutionierten unser Verständnis von dem Zusammenspiel unter der Erde und vor allem von der Art und Weise, wie dort Kohlenstoff gespeichert wird. Am abgestorbenen Laub, das im Herbst von den Bäumen fällt, zeigt sich die Fähigkeit des Bodens, organisches Material umzuwandeln, besonders deutlich. Doch die neuen Studien offenbarten auch weitere bedeutende Mitspieler wie verschiedene Tonerden, bestimmte Pilze sowie kleine Tiere, die sich von pflanzlichen Abfällen ernähren.
Was ist ein Boden?
Was versteht man überhaupt unter einem »Boden«? Der Begriff bezeichnet die oberste Schicht der Erdkruste, die durch ihre Wechselwirkung mit der Hydrosphäre, der Atmosphäre sowie den lebenden Organismen verändert wird. Je nach Beschaffenheit des zu Grunde liegenden Ausgangsgesteins, des Klimas, der Topografie und des Bodenalters variiert ihre Dicke von mehreren Metern (etwa am Fuß von Hängen) bis zu wenigen Zentimetern (auf Berggipfeln). Der Boden ist ein zusammengesetztes Medium aus einer durch Abbau des Ausgangsgesteins hervorgegangenen mineralischen Matrix (zum Beispiel Ton) sowie aus Wasser, Gasen, aber auch aus organischer Substanz, die von den lebenden Organismen produziert wird und hauptsächlich aus Kohlenstoff besteht.
Grüne Pflanzen entnehmen Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre und wandeln es in organische Substanz um. Wenn Blätter, Wurzeln, Blüten, Stiele oder Stämme absterben, kehrt dieses Material als Streuschicht zum Boden zurück und bildet die Grundressource für zahlreiche, oft wenig bekannte, meist mikroskopisch kleine Bodenorganismen. Diese ernähren sich von der organischen Substanz und mineralisieren sie: Kohlenstoff wird als CO2 ausgeatmet und gelangt so zurück in die Atmosphäre, während weitere Elemente wie Stickstoff oder Phosphor zu anderen mineralischen Formen abgebaut werden (Phosphat- und Nitrationen, diverse Mineralsalze sowie Wasser), die wiederum von den Pflanzen aufgenommen werden können.
Dieser Kreislauf bildet die Grundlage der terrestrischen Ökosysteme. Doch ein Teil der organischen Substanz entkommt zumindest anfangs dem Mineralisierungsprozess und wird nach und nach in unterschiedlichen Formen in den Boden integriert. Einerseits sickern gelöste, vom Regenwasser ausgewaschene Bestandteile in den Untergrund ein. Andererseits werden kleine Fragmente, vor allem dank der Aktivität von Regenwürmern, als »partikuläre organische Substanz« mit der Zeit eingegraben. Schließlich wachsen und gedeihen Mikroorganismen in den Streuschichten und führen nach ihrem Absterben ebenfalls zu deren – indirektem – Zuwachs. So stellt die organische Substanz eines Bodens zu einem gegebenen Zeitpunkt die Summe all dieser über Jahrzehnte ablaufenden Einträge dar, wobei sie primär pflanzlichen Ursprungs ist.
Ein Milieu von unermesslicher Komplexität
Zwischen Pflanzen und der stabilisierten organischen Substanz finden allerdings viele Prozesse statt, die man gerade erst zu verstehen beginnt. Tatsächlich stellt der Boden ein Milieu von unermesslicher Komplexität dar, dessen Funktionsweise und Dynamik sich nur durch einen ständigen Wechsel zwischen den unterschiedlichsten Größenskalen analysieren lässt: von der molekularen Struktur der Bodensubstanz über die Nahrungsnetze zwischen Bakterien und Tieren bis hin zu ganzen Landschaften
Entsprechend bildet sich stabilisierte organische Bodensubstanz als Grundlage der Kohlenstoffspeicherung im Boden mittels unterschiedlicher Mechanismen, die über mehrere Zeitskalen von wenigen Jahren bis zu Jahrtausenden wirken. Dieser multidimensionale Ansatz stellt bisherige Annahmen in Frage.
Die klassische Sichtweise wurzelt vor allem in der Arbeit von Ökologen, die schon seit Langem versuchen, die Zersetzung der Streuschichten zu charakterisieren – ein Phänomen, das leicht am jährlichen Verschwinden des Herbstlaubs erkennbar ist. Wie ihre Untersuchungen im 20. Jahrhunderts gezeigt haben, wird der labile Anteil der Streuschicht rasch vom Wasser ausgewaschen und von Bakterien und Pilzen verzehrt. Die widerstandsfähigen Anteile sind weniger mobil und werden nicht so schnell von Organismen zersetzt. Dazu gehören vor allem das Polymer Lignin, das den Zusammenhalt pflanzlicher Gewebe ermöglicht, sowie die Tannine, komplexe und schwer abbaubare Moleküle, die Pflanzen häufig als chemische Abwehr gegen pathogene Mikroorganismen und Pflanzenfresser einsetzen. Die Forscher schlossen daraus, dass sich diese widerstandsfähigen Partikel anreichern müssten und damit als Vorläufer der organischen Bodensubstanz dienten. Demnach sollte sich also alles, was sich nicht zersetzt, ansammeln und die Kohlenstoffspeicher des Bodens füllen.
Doch die Studien des vergangenen Jahrzehnts sowie ein intensiverer Austausch zwischen Ökologen und Bodenkundlern haben die Sichtweise stark verändert. Einige Befunde passen in der Tat schlecht zu diesem Modell. Zunächst einmal ergaben Messungen des spezifischen Lignin-Umsatzes, dass sich das Polymer mitunter viel schneller zersetzt als erwartet – zu schnell, um allein mit dessen Widerstandsfähigkeit die Langzeitspeicherung von organischem Material im Boden erklären zu können. Umgekehrt hat man auch festgestellt, dass sich ein erstaunlich großer Anteil des Kohlenstoffs aus den zersetzten Schichten rasch im Boden ansammelt. Diese Erkenntnisse gehen vor allem auf die Arbeitsgruppe der US-amerikanischen Bodenökologin Francesca Cotrufo von der Colorado State University zurück.
Um die Zusammenhänge zwischen Streuschicht und stabilisierter organischer Bodensubstanz zu analysieren, brachten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Cotrufo Anfang der 2010er Jahre mit radioaktivem Kohlenstoff und Stickstoff markierte Streu auf einen Prärieboden im US-Bundesstaat Kansas auf und verfolgten drei Jahre lang den Weg der Isotope bis in eine Tiefe von 20 Zentimetern. Ergebnis: Entgegen der Vorhersage des klassischen Modells hat sich der aus der Streuschicht verschwundene Kohlenstoff keineswegs vollständig in Form von CO2 verflüchtigt. Ein Anteil von immerhin 19 Prozent konnte im Boden nachgewiesen werden und trug dort zur Speicherung von organischem Material bei. Die als »labil« eingestufte Fraktion ist also in den ersten Phasen der Zersetzung keineswegs komplett verschwunden, sondern hat den Vorrat an solcher Substanz im Boden vergrößert. Darüber hinaus beobachteten die Forscher einen gleichzeitigen starken Einbau von markiertem Kohlenstoff in die Biomasse der Mikroorganismen.
Die Schlüsselrolle der Mikroorganismen
Wie lassen sich diese überraschenden Ergebnisse erklären? Für ein neues Modell zur Stabilisierung der organischen Bodensubstanz müssen wir weitere zentrale Mitspieler sowie mehrere Mechanismen mit einbeziehen (siehe »Vier unterirdische Akteure«). Bereits in der frühen Phase der Zersetzung vermehren sich Bakterien und Pilze sowohl in der Streuschicht als auch im darunterliegenden Bereich, da beide Zonen über das Regenwasser stark mit Nährstoffen angereicht sind. Diese Mikroorganismen haften oft an den mineralischen Bestandteilen des Bodens, zum Beispiel Ton, und überdauern dort bis zu ihrem Absterben. Der enge Kontakt zu Mineralen führt dazu, dass die organische Substanz der Mikroben kaum von Enzymen anderer Organismen angegriffen werden kann und damit über lange Zeit extrem stabil bleibt.
Außerdem verbindet sich wohl ein weiterer Teil der löslichen organischen Substanzen, der vom Regenwasser aus der Streuschicht gewaschen wird, auch ohne die Mitwirkung von Mikroorganismen direkt mit Tonmineralen. Hierbei entsteht ebenfalls ein enger Kontakt, der das pflanzliche Material nur sehr schwer zugänglich für Mikroorganismen macht und es somit stabilisiert. Dieser langfristig stabilisierte Speicher mikrobiellen oder pflanzlichen Ursprungs wird »adsorbierte organische Bodensubstanz« genannt.
Parallel dazu kommt noch ein zweiter Mechanismus ins Spiel: Im Lauf der Zeit dringen kleine Fragmente aus der Streuschicht nach und nach in den Boden ein und helfen Aggregate zu bilden, vor allem durch die Bodentiere. Diese Gebilde halten die organischen Bestandteile zusammen und schützen sie vor äußeren Einflüssen.
Während also nach der klassischen Sichtweise der im Boden stabilisierte Kohlenstoff vorwiegend aus schlecht zersetzbarer pflanzlicher Substanz stammt, hebt das neue Modell die Rolle des sich leicht zersetzenden Anteils hervor, der auf lange Zeit stabilisiert wird. Diese Stabilität beruht weniger auf der chemischen Zusammensetzung, sondern vielmehr darauf, dass die organischen Materialien für die Enzyme der Bakterien und Pilze vor allem wegen Adsorption durch Tonerde sowie Einbau in Aggregate nur noch beschränkt zugänglich sind.
Die organischen Materialien sind für die Enzyme der Bakterien und Pilze wegen der Adsorption durch Tonerde nur beschränkt zugänglich
Hinzu kommt der zeitliche Faktor. Langfristig spielen nämlich die chemische Natur sowie die Widerstandsfähigkeit des organischen Materials wohl eine geringere Rolle als bislang angenommen. Laut Radiokarbondatierungen wirken hier eher die neu entdeckten Mechanismen: Während der Einschluss in Bodenaggregate die organische Substanz über mehrere Jahrzehnte stabilisiert, wirkt die Adsorption an mineralische Partikel sogar über Zeiträume von Jahrtausenden.
Der Beitrag der Wurzeln
Beim Verständnis solcher Abläufe standen lange die toten Blätter im Fokus, stellen sie doch den sichtbarsten und am einfachsten zu untersuchenden Aspekt dar. In den letzten Jahren rückten zudem die Wurzeln in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Hier sind vor allem die feinen Wurzelhaare zu nennen, mit denen die Pflanze Wasser und mineralische Stoffe aufnimmt und die sich sehr schnell erneuern. Sobald die Ressourcen in einem bestimmten Bodenbereich erschöpft sind, sterben hier die Wurzeln ab, während sich ein Stück weiter entfernt neue bilden. Auf Grund ihrer hohen Regenerationsrate stellen die Wurzeln einen großen Anteil organischer Masse: In Wäldern bestehen 33 Prozent der jährlichen Streuschichten aus abgestorbenen Wurzeln mit einem Durchmesser von unter zwei Millimetern, in Wiesen sind es sogar 48 Prozent.
Die Bedeutung der unterirdischen Schichten für den Zyklus der organischen Substanz lag lange Zeit im Dunkeln. Wie indes die Arbeitsgruppe von Tao Sun von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Shenyang 2018 in chinesischen Wäldern beobachtete, zersetzen sich die feinsten Wurzeln, über die ein Großteil der Absorption abläuft, viel langsamer als die toten Blätter eines Baums. So verschwanden nach sechs Jahren 77 Prozent der Laubmasse, aber nur 35 Prozent der Wurzeln. Diese Widerstandsfähigkeit lässt sich durch den außerordentlich hohen Anteil an schwer abbaubaren Tanninen erklären, deren Rolle im Boden lange Zeit unterschätzt wurde.
Wie oben erwähnt beeinflusst die Beständigkeit der Tannine die kurzzeitige Dynamik des organischen Materials im Boden, stabilisiert sie jedoch nicht unbedingt auch über einen längeren Zeitraum. Es ist also wahrscheinlich, dass die starke Widerstandsfähigkeit der Wurzeln ebenfalls nur einen geringen langfristigen Einfluss ausübt. Es gibt aber noch andere Mechanismen, welche die Wurzeln in das Zentrum des Geschehens rücken.
Tatsächlich weiß man schon lange, dass Pflanzen über ihre Wurzelspitzen große Mengen an organischen Verbindungen freisetzen. Diese Wurzelexsudate bilden eine reiche Nahrungsquelle für die Mikroorganismen der Rhizosphäre, also im Bereich unmittelbar um die Wurzeln. Mit ihren Ausscheidungen fördern die Wurzeln die mikrobielle Stoffwechselaktivität und damit die Wiederverwertung mineralischer Elemente wie verschiedener stickstoffhaltiger Ionen, die wiederum als Nährstoffquelle für die Pflanzen dienen. Die Exsudate und die von ihnen profitierenden Mikroorganismen könnten sich ebenfalls an Tonpartikel festsetzen und so zusätzlich organische Substanz dauerhaft speichern – eine Vermutung, die Noah Sokol und seine Kollegen von der Yale University 2019 untermauerten: Allein die Produktion der Wurzelexsudate stabilisiert wesentlich mehr Kohlenstoff im Boden als alle Wurzeln, toten Blätter und Stiele derselben Pflanzen zusammen. Die ursprüngliche Annahme, nach der hauptsächlich das tote Laub den Kohlenstoffspeicher im Boden bildet, scheint sich demnach nicht zu bestätigen.
Trumpfkarte Mykorrhiza
Doch der Einfluss der Wurzeln endet hier keineswegs. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die als Mykorrhiza bezeichnete Symbiose zwischen Pilzen und Pflanzen. Dabei tauschen symbiontische Pilze mit den Wurzeln zahlreiche Substanzen untereinander aus: Die Pflanze liefert den Mykorrhizapilzen die für ihren Energiestoffwechsel benötigten Zuckerverbindungen, während Letztere dank ihrer langen, sich im Boden ausbreitenden Fäden (Hyphen) die Wurzeln mit Mineralien und Wasser versorgen.
Mykorrhizapilze stabilisieren wohl auf verschiedene Weise Kohlenstoff im Boden. Einerseits zersetzen sich ihre Gewebe, ähnlich wie die feinen Pflanzenwurzeln, nur sehr langsam. Andererseits aktiviert ihr Absterben einen weiteren Mechanismus, den eine finnische Arbeitsgruppe 2019 in den nördlichen Nadelwäldern entdeckte: Wie die Forscher um Bartosz Adamczyk von der Universität Helsinki in einem Laborversuch demonstrierten, bei dem sie den Mikrokosmos einer Waldkiefer (Pinus sylvestris) simulierten, verbinden sich die Tannine der Wurzeln gern mit Chitin, einem Hauptbestandteil der Pilzzellwände. Ähnliche Komplexe bilden sich im natürlichen Waldboden, fanden die Wissenschaftler gleichfalls heraus. Die innige Beziehung der Pflanzen als Tanninproduzenten mit Mykorrhizapilzen als Chitinlieferanten ist damit prädestiniert für die Ansammlung solcher Tannin-Chitin-Komplexe nach dem Absterben der Organismen (siehe »Doppelte Wirkung«).
Schließlich könnte die Aktivität der Mykorrhizapilze selbst zur organischen Bodensubstanz beitragen, allerdings eher auf indirekte Weise. Auch hier gibt es Studienergebnisse aus den nördlichen Wäldern, die auf Grund ihres hohen Anteils an organischem Material in den Böden besonders intensiv untersucht werden. Demnach besitzen einige Mykorrhizapilze die Fähigkeit, aus der Bodensubstanz selektiv bestimmte essenzielle Elemente zu entnehmen, zum Beispiel Stickstoff. Das gilt vor allem für solche Arten, die mit den Wurzeln der in jenen Wäldern dominierenden Nadelhölzer verbunden sind, sowie für diejenigen der Heidekrautgewächse im Unterholz.
Kohlenstoff verschmähen die Pilze allerdings, obwohl er einen Hauptbestandteil der organischen Substanz darstellt. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn dank Fotosynthese deckt die Pflanze den Bedarf ihrer Symbionten an Kohlenstoffverbindungen ab, so dass sich eine mühsame Suche des Rohstoffs im Boden erübrigt. Indem solche Mykorrhizapilze dem Boden Stickstoff, aber kaum Kohlenstoff entziehen, bekommen nichtsymbiontische Arten ein Problem: Der Boden verarmt an Stickstoff und wird für die Mikroorganismen, die zwingend darauf angewiesen sind, nahezu unbrauchbar. Daher können diese sich nicht entwickeln und keinen Kohlenstoff mineralisieren, der sich somit im Boden anreichert.
Die Spur der Fäkalpellets
Schließlich spielen auch die bodenlebenden Tiere eine wichtige Rolle. Das ist keine neue Erkenntnis: Bereits Charles Darwin (1809–1882) hat sein ganzes Leben lang akribisch untersucht, wie sich Regenwürmer auf den Boden auswirken. Dennoch steckt die Beschreibung der Vielzahl an Tieren, die auf und in der Erde leben, sowie ihrer jeweiligen Rolle für die Prozesse im Boden noch in den Anfängen. Vor allem wegen fehlender Daten wurde lange gemutmaßt, dass zahlreiche Arten gleiche Aufgaben übernehmen. Auf Grund dieser Hypothese der funktionellen Redundanz floss die Bedeutung der Bodentiere bisher kaum in die globalen Modelle des Kohlenstoffzyklus ein, mit denen die Dynamik des Elements weltweit vorhergesagt werden soll. Aber auch hier trägt der Wissensfortschritt bereits Früchte. So verstehen wir die Rolle der Saprophagen wie Tausendfüßer oder bestimmte Asseln, die sich von toter organischer Substanz ernähren, inzwischen immer besser.
In zahlreichen Ökosystemen verzehren solche Organismen bedeutende Mengen an verrottendem Laub. Doch die abgestorbenen Blätter enthalten nur wenig Nährstoffe. Um ihren Bedarf zu decken, müssen die Tiere große Mengen davon fressen, verwerten aber nur einen Bruchteil, während sie das meiste wieder ausscheiden in Form von Kot – von Fachleuten nüchtern als »Fäkalpellets« bezeichnet. Dabei handelt es sich hauptsächlich um fragmentierte Streu, die chemisch und mikrobiologisch verändert wurde.
In welchem Maß greift diese Umwandlung in die langfristigen Prozesse der Stabilisierung ein? Die Studien sind noch vorläufig, aber wahrscheinlich existiert hier ein Zusammenhang. Sicher ist jedenfalls, dass die verschiedenen Saprophagenspezies, anders als bislang angenommen, die Streu nicht gleichartig zersetzen. Indem wir unterschiedliche Tiere wie Tausendfüßer, Asseln oder Schnecken auf dieselbe Weise fütterten, konnten wir 2020 zeigen, dass sich deren Fäkalpellets deutlich voneinander unterscheiden, vor allem in der Größe der enthaltenen Fragmente wie auch in Bezug auf die chemische Zusammensetzung der umgewandelten Streu (siehe »Kotproben«). Unsere Ergebnisse widersprechen somit der Hypothese der funktionellen Redundanz der Bodentiere.
Das Ergebnis einer unermüdlichen Aktivität verschiedenster Akteure
Organische Bodensubstanz ist also keineswegs nur eine simple Ansammlung von nicht zersetztem Pflanzenmaterial. Vielmehr stellt sie das Ergebnis der unermüdlichen Aktivität verschiedenster Akteure im Boden wie Mikroorganismen, Mykorrhizapilze und Saprophagen dar. Die Rolle der einzelnen Organismengruppen wird mit dem wissenschaftlichen Fortschritt zunehmend klarer, doch die Forscher haben immer noch Mühe, ihre Erkenntnisse zu einem umfassenden Bild zusammenzusetzen. Zwar kann man mittlerweile einige generelle Empfehlungen abgeben, wie sich mehr organische Substanz bildet, etwa indem man die biologische Vielfalt in landwirtschaftlich genutzten Böden bewahrt. Gezielte Maßnahmen, die an die einzelnen Bodentypen und die jeweiligen klimatischen Bedingungen angepasst sind, müssen freilich erst erarbeitet werden.
Jenseits des generellen wissenschaftlichen Interesses sollten die neuen Erkenntnisse ebenfalls genutzt werden, um die Freisetzung von Kohlenstoff in die Atmosphäre zu begrenzen. In Anbetracht der Größe des Kohlenstoffvorrats im Boden wird sich dessen Entwicklung in den kommenden Jahren entscheidend auf das Klima auswirken. Böden stellen einen Eckpfeiler der globalen Kohlenstoffdynamik dar. Bisher konzentrierte man sich hier hauptsächlich auf die Kohlenstoffspeicherung in pflanzlicher Biomasse, was vor allem in dem Vorschlag mündete, im großen Stil Bäume anzupflanzen. Solche Bemühungen werden aber nur dann erfolgreich verlaufen, wenn man ihre Konsequenzen für die Bodenorganismen sowie die Bildung der organischen Bodensubstanz berücksichtigt. So haben Nina Friggens, heute an der University of Exeter (Großbritannien), und ihre Kollegen fast 40 Jahre lang untersucht, wie sich das Anpflanzen von Waldkiefern (Pinus sylvestris) und Moorbirken (Betula pubescens) auf Heideland im schottischen Hochland auswirkt. Wie ihre 2020 veröffentlichten Ergebnisse zeigen, vergrößerten diese Maßnahmen zwar die Kohlenstoffbestände in der pflanzlichen Biomasse, reduzierten aber auch den Kohlenstoffgehalt im Boden dramatisch, was vermutlich auf eine Veränderung der Mykorrhizagemeinschaft zurückzuführen ist.
Böden stellen einen Eckpfeiler der globalen Kohlenstoffdynamik dar
Dieses Beispiel unterstreicht die bedeutende Rolle der Kohlenstofffreisetzung aus den Böden in der globalen Bilanz. Neben dem Ziel, die Freisetzung zu begrenzen, darf die Kohlenstoffspeicherung keinesfalls der einzige weitere Faktor sein, den politische Entscheidungsträger berücksichtigen. Vor allem muss die Biodiversität – die ja gleichfalls tief in der Krise steckt (siehe »Spektrum« Februar 2024, S. 36) – in die Empfehlungen aus der Wissenschaft eingeschlossen werden. Verbesserte Biodiversität und erhöhte Kohlenstoffspeicherung in den Böden gehen meist Hand in Hand, doch jedes dieser Ziele ist für sich selbst wichtig und muss genauestens untersucht werden.
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