Meteoriten: 2024 BX1 – eine Feuerkugel mit Ansage
»Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, Ein Luftstein in seinem Garten fand …«
So könnten die ersten Zeilen eines berühmten Gedichts von Theodor Fontane lauten, hätte dieser 135 Jahre später gelebt. Aber fangen wir von vorn an.
Es war der 20. Januar 2024 um 22:48 Uhr, als der ungarische Astronom Krisztián Sárneczky am Piszkéstető-Observatorium in Ungarn mit einem 60-Zentimeter-Schmidt-Teleskop einen Himmelskörper entdeckte. Erste Berechnungen ergaben, dass dieser einen Durchmesser von ungefähr einem Meter und eine Masse von etwa 400 Kilogramm besaß. Der Himmelskörper bekam die Bezeichnung Sar2736 und wurde später als Asteroid 2024 BX1 registriert (siehe »Noch im All«). Nachdem die Entdeckung durch weitere Beobachtungen bestätigt worden war, war schnell klar, dass das frisch entdeckte Objekt zeitnah mit der Erde kollidieren wird. Um 23:53 Uhr gab die Europäische Weltraumbehörde ESA eine entsprechende Warnung über das Impaktwarnsystem Meerkat heraus. Weniger als zwei Stunden später, am 21. Januar 2024 um 01:32:43 Uhr, trat 2024 BX1 in die Atmosphäre der Erde ein und verglühte in Form einer spektakulären Feuerkugel über dem Havelland.
Die helle Feuerkugel wurde von zahlreichen Augenzeugen beobachtet. Unter anderem konnte sie von den vom Arbeitskreis Meteore (AKM) betriebenen AllSky7-Kameras aufgezeichnet und ausgewertet werden. Schnell zeigte sich, dass es zu einem Meteoritenfall gekommen sein musste. Noch in derselben Nacht berechnete Mike Hankey aus den USA, Gründer des Kameranetzwerks AllSky7, ein erstes Streufeld. Parallel dazu organisierte der AKM eine Suchaktion westlich von Berlin. So kam es, dass wir bereits 13 Stunden nach dem Meteoritenfall auf den Feldern um Pessin nach Bruchstücken von 2024 BX1 suchten.
In der Gegend gibt es weitläufige Felder, von denen einige mit einer dünnen Schneeschicht überdeckt waren. Vegetation war so gut wie gar nicht vorhanden, und der Boden war gefroren. Wie zu erwarten, blieb unsere erste Suche erfolglos, denn in der Berechnung wurde noch nicht der Wind berücksichtigt, der die Flugbahn der herunterfallenden Meteoriten beeinflusst. Auch das Museum für Naturkunde (MfN) und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), beide in Berlin, organisierten ein großes Team, bestehend aus Wissenschaftlern und Studenten der Freien Universität Berlin unter der Leitung von Lutz Hecht. Ihre Suche verlief ebenso ergebnislos.
Am 22. Januar publizierte das Team von Pavel Spurný vom Astronomischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik ein neues Streufeld, das die Winddaten mitberücksichtigte. Das mögliche Fallgebiet verteilte sich jetzt südlich der Dörfer Ribbeck, Berge und Lietzow. Zudem wurde das Spektrum des Boliden erfasst und ausgewertet. Interessanterweise erschienen die Eisenlinien schwächer als gewöhnlich. So ließ sich vermuten, dass es sich bei den gefallenen Meteoriten um keine gewöhnlichen Chondrite handeln konnte.
Ein erster Fund
Mit all diesen Informationen gelang den polnischen Meteoritensuchern Filip Nikodem, Michał Nebelski, Kryspin Kmieciak und Kazimierz Magnet am Nachmittag des 24. Januar schließlich der erste Fund. Gegen 11:50 Uhr entdeckte das Team einen in drei Teile zerbrochenen Meteoriten mit einem Gesamtgewicht von 171,7 Gramm. Die Schmelzkruste war grau, fleckig und außergewöhnlich hell. Um sich Gewissheit zu verschaffen, kontaktierten sie das MfN, das sich daraufhin den Fund genauer ansah (siehe »Glückliche Finder«). Alle waren sich einig, dass es sich bei den aufgesammelten Stücken um einen Meteoriten und letztlich die Überreste von 2024 BX1 handeln musste. Die Informationen wurden auf Facebook geteilt und gingen anschließend viral.
Jetzt wussten wir, nach was wir Ausschau halten mussten. Bis dahin hatten wir und das MfN/DLR-Team nach Meteoriten mit einer typischen schwarzen Schmelzkruste gesucht. Am darauffolgenden Tag fanden die MfN/DLR-Suchtrupps gleich zwei Meteoriten nahe dem Dorf Berge. Auch der Arbeitskreis Meteore verabredete sich am Samstag, den 27. Januar 2024, zu einer erneuten Aktion. Wir haben uns für ein Suchgebiet südlich der Bundesstraße 5 zwischen Ribbeck und Berge entschieden. Mit Streufeldkarte und viel Motivation im Gepäck ging es auf ein Rapsfeld. Es dauerte keine acht Minuten, bis unser Vorstandsmitglied Ina Rendtel über das Feld schrie: »Ich hab hier was. Könnt ihr mal schauen?« Und tatsächlich hatte Ina den ersten Meteoriten mit einer Masse von 14,8 Gramm gefunden.
Sofort wurde das nähere Umfeld abgesucht, und wir entdeckten im Umkreis von etwa fünf Metern weitere Bruchstücke. Der Meteorit muss wohl kurz vor oder beim Aufprall zerbrochen sein. Alle Bruchstücke zusammen kommen auf 45,9 Gramm. Im Verlauf des Tages konnten wir einen weiteren Meteoriten unweit der ersten Fundstelle bergen. Und auch ich war am Nachmittag erfolgreich und sah schon von Weitem die hell leuchtenden Trümmerstücke auf dem Feld liegen (siehe »Meteoritenausbeute«). Vermutlich zerbrach der Meteorit beim Aufprall auf das gefrorene Feld. Daher trägt er den Spitznamen »Krümelmeteorit«.
Achtung, Polizei!
Am späten Nachmittag tönte es über das Feld: »Achtung. Achtung. Hier spricht die Polizei!« Der Landwirt, dem das Feld gehört, hatte alle Sucher dazu aufgefordert, sein Feld zu verlassen. In einem netten Gespräch mit ihm tauschten wir uns aus. Wir erklärten, warum wir gerade sein Feld absuchten, und er erklärte uns, dass der auf dem Feld bestellte Winterraps sehr sensibel reagiert, wenn man auf ihn tritt. Verständnisvoll haben wir unsere Suche an einem anderen Ort fortgesetzt und dem Landwirt als Andenken einen echten Ribbeck-Meteoriten geschenkt.
Dank unseres unerwarteten Erfolgs bei der ersten Suche konnten wir gleich die ersten Proben der Wissenschaft übergeben. Addi Bischoff von der Universität Münster, der ebenfalls vor Ort war, nahm ein Bruchstück mit nach Hause, um es geologisch zu untersuchen. Ein weiterer Fund wurde ins Felsenkellerlabor des VKTA (Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung Rossendorf) nach Dresden gebracht. Dort wurde der Meteorit auf kurzlebige Nuklide untersucht, um dessen Echtheit zu verifizieren und sein Alter zu bestimmen.
Am darauffolgenden Sonntag verabredete sich der Arbeitskreis Meteore erneut. Dieses Mal gingen wir die Suche systematischer an und bildeten eine Reihe, um die Felder so effektiv wie möglich abzusuchen. Dabei trafen wir auf das MfN/DLR-Team und schlossen uns zur gemeinsamen Suche zusammen. Das Team, bestehend aus Studierenden, war auf Grund der hohen Anzahl von Suchern überaus erfolgreich und konnte gleich mehrere Funde verzeichnen. Wir selbst stießen an diesem Tag auf zwei Meteoriten. Einer davon wird im Konkoly-Observatorium in Budapest, dem Ort, an dem der Asteroid 2024 BX1 im Weltall entdeckt wurde, ausgestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Im Februar und März ging die Jagd nach den Meteoriten weiter. Der Ort Ribbeck selbst hat sich zu dieser Zeit bereits ganz auf den neuen Tourismus eingestellt. In »Frau Wescheʼs Waschhaus Café«, der »Alten Brennerei Ribbeck«, wurde Meteoritentorte, selbstverständlich mit Birnen, angeboten und zur Unterhaltung der Gäste sogar ein Meteoritensong vorgesungen. Das Wetter war uns Anfang Februar leider nicht wohlgesonnen. Dennoch haben wir bei Sturm und Regen die Felder weiter abgesucht, und so gelang es dem Arbeitskreis Meteore, in den beiden Monaten noch drei weitere Meteoriten aufzuspüren.
Ein ungewöhnliches Meteoritengestein
Am 16. Februar 2024 wurde der Meteorit in Rekordzeit klassifiziert und von der Meteoritical Society anerkannt. Er trägt seither den offiziellen Namen »Ribbeck«. Bei den Meteoriten handelt es sich um einen Aubrit, eine seltene Klasse der differenzierten Steinmeteoriten. Ein differenzierter Meteorit stammt von einem Himmelskörper, der im Inneren aus Schichten wie einem Kern aus metallischem Eisen, einem Mantel und einer Kruste aus silikatischen Gesteinen aufgebaut ist.
Der erste Aubrit ging am 18. September 1836 in der französischen Gemeinde Aubres nieder, nach der diese Meteoritenklasse benannt ist. Aubrite sind Achondrite, sie enthalten also keine Chondren und sind reich an Enstatit, einem Magnesiumsilikat. Sie besitzen nur einen geringen Anteil an Eisen. Somit bestätigte sich, was schon anhand des Spektrums der Feuerkugel vermutet worden war.
Das Besondere an den Ribbeck-Meteoriten ist, dass ihr Gestein einen außergewöhnlich hohen Anteil an Feldspäten aufweist. Ribbeck ist der zwölfte beobachtete Fall eines Aubriten. Da solche Meteoriten eine hellere Oberfläche als gewöhnliche Chondrite besitzen, ist die Albedo, das heißt das Rückstrahlvermögen, entsprechend größer. Somit wäre der Asteroid nur noch etwa halb so groß wie ursprünglich angenommen. Es wird geschätzt, dass das eintretende Objekt einen Durchmesser von 40 Zentimetern und eine Masse von 140 Kilogramm gehabt haben muss. Damit handelt es sich bis dato um den kleinsten natürlichen Himmelskörper, der von der Erde aus im All beobachtet wurde.
Eine Analyse der Bahndaten ergibt, dass 2024 BX1 aus dem Asteroidengürtel zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter stammt. Seine geologische Zusammensetzung lässt vermuten, dass der zugehörige Mutterkörper ebenfalls aus einem feinkörnigen und hellen Material besteht. Mögliche Kandidaten wären Asteroiden vom E-Typ wie (44) Nysa oder (3102) Eger, einer seltenen Klasse von Asteroiden, die reich an dem Silikatmineral Enstatit sind. Sie haben eine hohe Albedo und halten sich hauptsächlich im Bereich des inneren Asteroidengürtels näher zur Marsbahn auf. Es wird angenommen, dass Aubrite aus einem urzeitlichen Magma in einem Protoplaneten vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstanden sind. Durch gewaltige Kollisionen wurde das Material ins Weltall und schließlich in Richtung Erde geschleudert – Material, das wir gefunden haben und in unseren Händen halten durften.
Das Ende einer erfolgreichen Kampagne
Einige Sucher waren unermüdlich und verbrachten mehr als 60 Tage auf den Feldern um Ribbeck. Der letzte bekannte Meteoritenfund wurde am 11. Juli gemeldet. Dieser Meteorit war bereits stark verwittert und zerbröselte wortwörtlich in der Hand. Zu diesem Zeitpunkt wurden schon einige der Rapsfelder geerntet und gepflügt. Damit wurde auch das Ende der Suche eingeläutet.
Insgesamt gelang es dem Arbeitskreis Meteore, acht Meteoriten mit einer Gesamtmasse von 126,2 Gramm zu bergen. Während der gesamten Suche nach den Ribbeck-Meteoriten war ich stets im engen Austausch mit anderen Suchern, deren Funde ich mit Datum, Fundort und Gewicht protokolliert habe. So entstand nach und nach eine detaillierte Karte des Streufelds, das sich von Ribbeck bis nach Nauen erstreckt. Zum 21. Juli 2024 konnten wir 203 Funde mit einer bekannten Gesamtmasse von 1,79 Kilogramm dokumentieren (siehe »Die Verteilung aller Funde«). Wer die Havelland-Meteoriten einmal selbst bestaunen möchte, kann dies im Museum für Naturkunde in Berlin tun. Einige der Funde des Arbeitskreises Meteore sind außerdem im Astronomiemuseum der Sternwarte Sonneberg und dem Planetarium Wolfsburg für die Öffentlichkeit zugänglich.
Der Meteoritenfall von Ribbeck ist in vielerlei Hinsicht ein absoluter Glücksfall. Es ist erst das achte Mal, dass ein Asteroid im All entdeckt und dessen Eintritt in die Erdatmosphäre vorausgesagt wurde. Und es ist das vierte Mal, dass dabei auch Meteoriten gefunden werden konnten. Auf Grund der Beobachtung des Asteroiden vor dem Atmosphäreneintritt, der Aufzeichnung durch diverse Kameras und das AllSky7-Netzwerk sowie der detaillierten Dokumentation der Funde ist »Ribbeck« mit Abstand einer der am besten dokumentierten Meteoritenfälle in Deutschland.
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