Mineralienabbau in der Tiefsee: Ein Schatz zum Greifen fern
Die Tiefsee ist der älteste und größte Lebensraum der Erde – und der mit Abstand am wenigsten erforschte. Was dank neuer Technologien aus den bislang unzugänglichen Tiefen ans Tageslicht kommt, ist oft spektakulär. Kein Sauerstoff, enormer Druck, Dunkelheit und doch: Es wimmelt mancherorts förmlich vor Leben. Zwischen 6000 und 8000 verschiedene Arten von Vielzellern, dazu Fische, Korallen, Schwämme, Krustentiere und Muscheln – sogar Haie und Wale nutzen die tiefsten Schichten der Weltmeere bis hin zum Meeresboden. Doch diese letzten weitgehend unberührten Refugien der Natur auf dem Planeten sind bedroht. Denn neben Tieren und andere Lebewesen finden sich dort zuhauf auch mineralische Rohstoffe. Und für die gibt es einen weltweit wachsenden Markt. Ob Windräder, Solarpaneele, Elektroautos oder Kommunikationstechnik – sie alle sind auf Mineralien angewiesen. In der Tiefsee finden sich mit Kobalt, Kupfer, Mangan und Nickel vier bedeutsame Grundstoffe für die Energie- und Verkehrswende.
Ob auch sie wie die Rohstoffe an Land im industriellen Maßstab abgebaut werden dürfen, könnte nach jahrzehntelanger Debatte möglicherweise schon in den nächsten Wochen, vielleicht sogar Tagen beantwortet werden. Noch bis Ende kommender Woche verhandeln der Rat und die Vollversammlung der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston darüber, wie künftig mit Anträgen auf Ausbeutung der Bodenschätze in den internationalen Gewässern umgegangen werden soll.
Einigen sie sich auf eine gemeinsame Linie und ein Regelwerk, könnte theoretisch schon unmittelbar nach dem Ende der Beratungen der UN-Organisation erstmals grünes Licht dafür gegeben werden. Der pazifische Ministaat Nauru und die kanadische Firma The Metals Company stehen in den Startlöchern. Sie hatten die Tiefseebehörde schon vor zwei Jahren über Pläne informiert, Bodenschätze in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) ausbeuten zu wollen – in einem Gebiet von der Größe der Europäischen Union im Pazifik zwischen Mexiko und Hawaii. Einen konkreten Antrag hat Nauru aber noch nicht eingereicht. Dieser wird aber, je nach Ausgang der laufenden Sitzung, rasch erwartet.
Breite Allianz gegen Tiefseebergbau
Gegen die Genehmigung von Tiefseebergbau hat sich eine breite Allianz aus Wissenschaft und Umweltorganisationen gebildet, die auch von einer zunehmenden Zahl einflussreicher Staaten unterstützt wird. Sie warnen, mit der Ausbeutung der Tiefsee gerieten Tausende von Arten in Gefahr, die zum allergrößten Teil bisher noch nicht einmal wissenschaftlich beschrieben wurden. Aber auch für das gesamte Ökosystem Meer in all seinen Tiefenschichten könnte der Bergbau massive Auswirkungen haben. Befürchtet werden außerdem Beeinträchtigungen für die Fischfauna und damit die Fischerei. Selbst die herausragende Klimaschutz-Rolle der Weltmeere als einer der wichtigsten Kohlenstoffspeicher könne in Gefahr geraten. (Mehr dazu auf Spektrum.de: »Tiefseebergbau: Ein Kahlschlag auf 5000 Meter Tiefe«)
»Das größte Problem mit dem Tiefseebergbau ist, dass wir eine Region betreten, in der wir verschwindend wenig über die Biologie und Ökologie wissen«, sagt Peter Haugan, Direktor am norwegischen Meeresforschungsinstitut. »Es könnte ein Verbrechen an künftigen Generationen sein, wenn wir dort eindringen und die Ökosysteme zerstören würden, die so entscheidend für unser Überleben sind.« Auch die Bundesregierung tritt in den laufenden Verhandlungen der Internationalen Gemeinschaft auf die Bremse. Gemeinsam mit inzwischen mehr als 20 weiteren Staaten will sie bei den Beratungen in Kingston einen Aufschub erreichen. Sie fordern das Ausrufen einer »precautionary pause« – einer »vorsorglichen Pause«. Damit soll der Start des Tiefseebergbaus zumindest so lange verhindert werden, bis belastbare Aussagen über die ökologischen Folgen möglich sind. Das kann allerdings Jahrzehnte dauern. Bundesumweltministerin Steffi Lemke begründet ihre Haltung mit dem fehlenden Wissen über die Folgen des Bergbaus für Mensch und Umwelt. »Die einzig vernünftige Konsequenz ist, auf den Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee zu verzichten, solange ernste Schäden der Umwelt nicht ausgeschlossen werden können«, sagte Lemke im Vorfeld der Verhandlungen.
Greenpeace-Meeresexperte Till Seidensticker, der das Ringen vor Ort verfolgt, sieht Chancen auf eine klare Positionierung der Staaten: »In den letzten Wochen hat sich einiges bewegt«, sagt er am Telefon. Zugleich warnt er vor zu weichen Beschlüssen des UN-Gremiums: »Nur ein klarer Beschluss für ein Moratorium oder eine vorsorgliche Pause kann aber sofort Schutz für die Meere bringen.«
Mit Kanada und Brasilien hatten sich zuletzt zwei Schwergewichte des Bergbaus an Land der Allianz gegen die Zerstörung der Meeresböden angeschlossen. Brasilien ist zudem eine gewichtige Stimme des globalen Südens und Kanada die Heimat der Metals Company, des bisher einzigen Unternehmens, das einen Antrag auf Tiefseebergbau konkret angekündigt hat. Auf der anderen Seite des Spektrums versuchen mit China und Russland große Player der fossilen Energiegewinnung und des Landbergbaus, ihre Dominanz auf dem Rohstoffmarkt auch für eine Zukunft auf dem Meer abzusichern.
Zukunftssicherung oder irreführendes Narrativ?
Langfristig wird neben den ungeklärten ökologischen Folgen vor allem eine Frage über den Tiefseebergbau entscheiden: Brauchen wir überhaupt die Ausbeutung der Meeresböden, um die Transformation weg von der Fossilwirtschaft zu schaffen?
Einig sind sich Gegner wie Befürworter des Tiefseebergbaus immerhin darin, dass der Bedarf an Mineralen für Energie- und Mobilitätswende enorm ist. Eine kürzlich veröffentlichte Studie ergab, dass allein eine vollständige Umstellung auf Elektrofahrzeuge bis 2050 den Bedarf an Lithium um das 75-Fache, an Nickel um das 54-Fache, an Kobalt um das 27-Fache und an Mangan um das 28-Fache erhöhen könnte. Entsprechend verlockend klingt das Versprechen der Metals Company. Die Ausbeutung der auf dem Meeresboden liegenden Manganknollen biete die Möglichkeit, die Rohstoffversorgung zu gewährleisten und »die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Gewinnung kritischer Metalle im Vergleich zum Bergbau an Land zu verringern«, wirbt das Unternehmen auf seiner Website. »Wir sind der Auffassung, dass sie den geringsten Eingriff in den Planeten darstellen«, fasst das Unternehmen die beiden aus seiner Sicht wichtigsten Argumente zusammen: Versorgungssicherheit und Umweltfreundlichkeit.
Dieser Lesart widersprechen indes beinahe geschlossen Umweltverbände, viele Regierungen und Wissenschaftler aus aller Welt. Selbst führende Unternehmen der besonders auf diese Rohstoffe angewiesenen Branchen lehnen Tiefseebergbau ab und arbeiten an Alternativen.
»Tiefseebergbau wird nicht zu weniger Bergbau an Land führen«, sagt Greenpeace-Vertreter Seidensticker. »Es sind unterschiedliche Firmen in unterschiedlichen Ländern, die davon profitieren – wir werden eine zusätzliche Zerstörung erleben statt eines Ersatzes.« Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) befürchtet sogar eine Verschärfung globaler Ungerechtigkeiten: Von den Schäden, die der Tiefseebergbau an den globalen Fischbeständen anzurichten droht, wären vor allem die Menschen in den ärmeren Ländern betroffen. »Es besteht die Gefahr, dass die Profite von Tiefseebergbau im globalen Norden angehäuft werden, während die negativen Auswirkungen im globalen Süden auftreten«, sagt DUH-Expertin Lisa Babak. Auch zahlreiche indigene Gemeinschaften – die ja vielfach zu den Hauptbetroffenen des Landbergbaus zählen – sowie viele Pazifikstaaten und selbst der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, haben sich klar gegen den Tiefseebergbau ausgesprochen.
Die entscheidenden Rohstoffe sind andere
Besonders deutlich fällt die Zurückweisung des Rohstoffarguments aus. »Für die Energie- und Verkehrswende brauchen wir keinen Tiefseebergbau«, sagt Andreas Manhart. Der Experte des Freiburger Öko-Instituts kommt mit Kollegen in einer viel beachteten Studie im Auftrag von Greenpeace zu dem Ergebnis, dass Tiefseeknollen ein weitaus geringeres Potenzial zur Sicherung von Rohstoffen für die grüne Energiewende haben, als von Befürwortern behauptet: Mit polymetallischen Knollen könnten insgesamt nur vier oder fünf von Dutzenden Rohstoffen abgebaut werden – Mangan, Kupfer, Kobalt, Nickel und möglicherweise Molybdän. Nur Mangan, Kobalt und Nickel könnten dabei überhaupt weltmarktrelevante Mengen bereitstellen. Die beiden versorgungskritischsten Rohstoffe für Lithium-Ionen-Batterien und damit für die Verkehrswende sind aber Lithium und Graphit; sie ließen sich gar nicht aus den Knollen gewinnen. »Vor diesem Hintergrund kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Entscheidung gegen den Tiefseebergbau die weltweite Produktion von Lithium-Ionen-Batterien und die nachfolgenden Pläne für grüne Energietechnologien nicht zum Erliegen bringen wird«, bilanzieren die Gutachter. »Die Energie- und Verkehrswende kriegen wir anders hin«, sagt Manhart im Gespräch mit Spektrum.de.
Zu einer ebenso deutlichen Bewertung kommt eine Gruppe von Top-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern der europäischen Wissenschaftsakademien EASAC. In ihrer Analyse teilen sie nicht nur die Bedenken mit Blick auf katastrophale Folgen für die Meeresökosysteme. Sie stellen sogar in Frage, dass Tiefseebergbau jeglicher Art sinnvoll ist, solange das Recyclingpotenzial aus dem Produktionskreislauf nicht vollständig ausgenutzt ist. »Die Behauptung, der Tiefseebergbau sei für die Erreichung unserer Klimaziele unverzichtbar und daher eine grüne Technologie, ist irreführend«, erklärt Michael Norton, EASAC-Umweltdirektor, in einer Mitteilung.
Wie Manhart verweisen auch die Akademie-Fachleute darauf, dass der Tiefseebergbau viele der für die grüne Transformation und andere Hightechsektoren benötigten Rohstoffe nicht liefern könne. Stattdessen empfehlen die Akademien in ihrer Analyse einen anderen Weg. Sie setzen auf einen möglichst raschen Einstieg in die Kreislaufwirtschaft, um die Versorgung mit kritischen Rohstoffen zu gewährleisten. Unter Verweis auf Studien schätzen sie, dass Europa bis zur Jahrhundertmitte zwischen 40 und fast 80 Prozent seines Metallbedarfs für saubere Energien aus dem Recycling decken kann. Studien zeigten, dass die Mineralreserven an Land ausreichten, um genügend Metalle für erneuerbare Technologien zu erhalten, damit die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichbar bleiben.
Auch in der Industrie selbst ist viel in Bewegung geraten, um die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen zu verringern. Hersteller versuchen immer stärker, sich durch Ersatzstoffe unabhängiger zu machen. So hat der Autobauer Tesla in absatzstarken Schlüsselmärkten der Schwellenländer nach Angaben Manharts bereits in größerem Umfang auf Batterien umgestellt, die ohne Kobalt und Nickel auskommen. Zudem kündigte das Unternehmen kürzlich an, komplett auf so genannte seltene Erden zu verzichten, Elemente wie Neodym oder Dysprosium, die zum Beispiel häufig in Elektromotoren verwendet werden.
Die Stimme der Industrie gegen Tiefseebergbau, vor allem der Automobilunternehmen, ist auch deshalb besonders wichtig, weil sie die Branche mit dem höchsten Bedarf ist. Eine Gruppe von 34 Unternehmen unterzeichnete sogar eine Selbstverpflichtung gegen den Tiefseebergbau, die verknüpft ist mit dem Aufruf, den Tiefseebergbau unter ein Moratorium zu stellen. Unterschrieben haben führende Automobilhersteller wie VW, BMW, Renault, Volvo und Scania, aber auch Technologiekonzerne wie Google, Samsung, Philips sowie große Investmentgesellschaften, die Unternehmen mit Kapital versorgen.
Der Münchner Autobauer BMW entwickelte diese Selbstverpflichtung gemeinsam mit dem WWF. »Aktuell nehmen wir eine Art Goldrausch wahr«, sagte die bei BMW dafür zuständige Expertin Claudia Becker vor Kurzem in einer Veranstaltung des Forums Europe Calling. Sorgfalt gehe aber vor Tempo: »Es ist für uns entscheidend, dass vor einem Abbaubeginn nachgewiesen wird, dass dabei ein wirksamer Schutz des Meeresökosystems gewährleistet wird.« Ob das gelingt, wird sich vielleicht schon in wenigen Tagen herausstellen.
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